Ein neuer Blick auf Henri Matisse
Etwa 90 Bilder von Henri Matisse zeigt eine Ausstellung im Pariser Centre Pompidou. Es sind fast ausnahmslos prominente Meisterwerke aus Sammlungen in aller Welt: Vom ersten Bilderpaar, zwei Stilleben von 1898-99, bis zur Serie der blauen Frauenaktbilder aus den 1950er-Jahren.
"Ich behaupte nicht, dass diese Ausstellung eine Retrospektive ist – eher vielleicht ein retrospektives Durchqueren des Werks von Matisse. Möglicherweise ist das ja ein Ding der Unmöglichkeit, aber ich wollte die Frage stellen: Warum gilt Matisse als ein Meister der Moderne?"
Als mögliche Antwort auf diese Frage präsentiert die Kuratorin Cécile Debray im Centre Pompidou rund 90 Gemälde und Zeichnungen von Matisse: Werke aus allen Schaffensperioden, die – und das ist der Clou der Ausstellung – immer paarweise oder in Serien gezeigt werden: Vom ersten Bilderpaar aus den Jahren 1898-99, zwei Stillleben mit Äpfeln und Orangen, bis zur Serie der "Nu bleus" der 50er-Jahre, den blauen Frauenaktbildern aus collagierten Papierschnitten.
Immer wieder hat Matisse dasselbe Motiv, dasselbe Thema auf unterschiedliche Weise zum Bild gemacht. Von einer Ansicht der Saint-Michel-Brücke in Paris zum Beispiel hängen im Centre Pompidou drei Versionen nebeneinander: Zunächst ein impressionistisches Gemälde – der Pont Saint Michel "effet de neige" im weißlich-grauen Winterlicht. Ganz anders dagegen die beiden anderen Brückenbilder. Die Lichtnuancen und Bewegungen der Wirklichkeit spielen hier keine Rolle mehr, Raum und Bild sind eine Komposition von Linien und glatten Farbflächen, die Brücke grün, der vorbeiziehende Lastkahn pink.
"Das sind ganz frühe Arbeiten, die zeigen, dass Serien bei Matisse etwas ganz anderes sind als bei Monet und den Impressionisten. Es geht ihm überhaupt nicht darum, unterschiedliche Atmosphären einzufangen oder den Wandel der Zeit. Ihm geht es um formale Experimente. Er bleibt sein ganzes Leben lang ein gegenständlicher Maler, aber ihn interessiert nicht, was er darstellt, sondern WIE er es darstellt."
Immer wieder scheint Matisse die Spannung und den Kontrast zu suchen zwischen einem ersten, spontan und sozusagen gefühlvoll hingeworfenen Bild und einer zweiten Version, einem durchdachteren, stilisierteren, in gewisser Weise abstrakteren Bild. Da sind zum Beispiel Le Luxe I und Le luxe II – zwei auf den ersten Blick fast identische großformatige Bilder einer etwas rätselhaften Szene mit drei nackten Frauenfiguren vor hügeliger Landschaft. Auf Bild Nummer eins, ein Ölgemälde aus der Sammlung des Centre Pompidou, sind Schatten und Volumen mit sichtbaren Pinselstrichen betont – Bild Nummer zwei aus dem Museum von Kopenhagen, gemalt mit Temperafarbe, besteht aus glatten Farbflächen und klaren Linien.
Matisse experimentiert auch mit der Bildsprache des Kubismus: 1914 malt er ein Interieur mit Goldfischglas, das in der zweiten Version quasi zerlegt wird in stilisierte Farbflächen.
Die vielen ungleich gleichen Bildpaare – fast ausnahmslos prominente Meisterwerke aus Sammlungen in aller Welt – machen diese Ausstellung zu einem Fest für die Augen – und sie öffnen die Augen für Matisse' lebenslange Erforschung der Möglichkeiten der Malerei. Auch ihm selbst lag offensichtlich daran, den Entstehungsprozess seiner Bildsprache sichtbar zu machen. 1945 zeigt er in einer Pariser Galerie Gemälde und daneben Fotografien, die die früheren Stadien der Bilder, also ihre Entstehung dokumentieren. Mit den Fotos, die jetzt auch im Centre Pompidou zu sehen sind, lässt sich zum Beispiel nachvollziehen, wie Matisse von der Skizze einer auf einen Tisch gelehnten Frau nach und nach zu den extrem vereinfachten und harmonischen Formen auf dem Bild "Der Traum" findet.
"Er zeigt 'Work in Progress' mithilfe der Fotografie und das ist sehr ungewöhnlich, denn er offenbart sozusagen das Ateliergeheimnis. Das hat fast schon etwas Konzeptuelles. Dahinter steht auch der Wille, die 'Geste des Malers' zu zeigen. Ein bisschen wie Jackson Pollock und die abstrakten Expressionisten, die den Körper des Malers im Bild sichtbar machen wollten."
"Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe", hat Matisse einmal gesagt. "Beruhigungsmittel" solle die Kunst sein und "wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich erholen kann". Für solche weltfernen apolitischen Ideen ist Matisse zu Recht viel kritisiert worden. Aber vielleicht hat die sehr schöne Matisse-Ausstellung im Centre Pompidou in diesen Krisenzeiten ja tatsächlich eine beruhigende Botschaft, nämlich die, dass man neue Formen findet, wenn man ernsthaft danach sucht.
Als mögliche Antwort auf diese Frage präsentiert die Kuratorin Cécile Debray im Centre Pompidou rund 90 Gemälde und Zeichnungen von Matisse: Werke aus allen Schaffensperioden, die – und das ist der Clou der Ausstellung – immer paarweise oder in Serien gezeigt werden: Vom ersten Bilderpaar aus den Jahren 1898-99, zwei Stillleben mit Äpfeln und Orangen, bis zur Serie der "Nu bleus" der 50er-Jahre, den blauen Frauenaktbildern aus collagierten Papierschnitten.
Immer wieder hat Matisse dasselbe Motiv, dasselbe Thema auf unterschiedliche Weise zum Bild gemacht. Von einer Ansicht der Saint-Michel-Brücke in Paris zum Beispiel hängen im Centre Pompidou drei Versionen nebeneinander: Zunächst ein impressionistisches Gemälde – der Pont Saint Michel "effet de neige" im weißlich-grauen Winterlicht. Ganz anders dagegen die beiden anderen Brückenbilder. Die Lichtnuancen und Bewegungen der Wirklichkeit spielen hier keine Rolle mehr, Raum und Bild sind eine Komposition von Linien und glatten Farbflächen, die Brücke grün, der vorbeiziehende Lastkahn pink.
"Das sind ganz frühe Arbeiten, die zeigen, dass Serien bei Matisse etwas ganz anderes sind als bei Monet und den Impressionisten. Es geht ihm überhaupt nicht darum, unterschiedliche Atmosphären einzufangen oder den Wandel der Zeit. Ihm geht es um formale Experimente. Er bleibt sein ganzes Leben lang ein gegenständlicher Maler, aber ihn interessiert nicht, was er darstellt, sondern WIE er es darstellt."
Immer wieder scheint Matisse die Spannung und den Kontrast zu suchen zwischen einem ersten, spontan und sozusagen gefühlvoll hingeworfenen Bild und einer zweiten Version, einem durchdachteren, stilisierteren, in gewisser Weise abstrakteren Bild. Da sind zum Beispiel Le Luxe I und Le luxe II – zwei auf den ersten Blick fast identische großformatige Bilder einer etwas rätselhaften Szene mit drei nackten Frauenfiguren vor hügeliger Landschaft. Auf Bild Nummer eins, ein Ölgemälde aus der Sammlung des Centre Pompidou, sind Schatten und Volumen mit sichtbaren Pinselstrichen betont – Bild Nummer zwei aus dem Museum von Kopenhagen, gemalt mit Temperafarbe, besteht aus glatten Farbflächen und klaren Linien.
Matisse experimentiert auch mit der Bildsprache des Kubismus: 1914 malt er ein Interieur mit Goldfischglas, das in der zweiten Version quasi zerlegt wird in stilisierte Farbflächen.
Die vielen ungleich gleichen Bildpaare – fast ausnahmslos prominente Meisterwerke aus Sammlungen in aller Welt – machen diese Ausstellung zu einem Fest für die Augen – und sie öffnen die Augen für Matisse' lebenslange Erforschung der Möglichkeiten der Malerei. Auch ihm selbst lag offensichtlich daran, den Entstehungsprozess seiner Bildsprache sichtbar zu machen. 1945 zeigt er in einer Pariser Galerie Gemälde und daneben Fotografien, die die früheren Stadien der Bilder, also ihre Entstehung dokumentieren. Mit den Fotos, die jetzt auch im Centre Pompidou zu sehen sind, lässt sich zum Beispiel nachvollziehen, wie Matisse von der Skizze einer auf einen Tisch gelehnten Frau nach und nach zu den extrem vereinfachten und harmonischen Formen auf dem Bild "Der Traum" findet.
"Er zeigt 'Work in Progress' mithilfe der Fotografie und das ist sehr ungewöhnlich, denn er offenbart sozusagen das Ateliergeheimnis. Das hat fast schon etwas Konzeptuelles. Dahinter steht auch der Wille, die 'Geste des Malers' zu zeigen. Ein bisschen wie Jackson Pollock und die abstrakten Expressionisten, die den Körper des Malers im Bild sichtbar machen wollten."
"Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe", hat Matisse einmal gesagt. "Beruhigungsmittel" solle die Kunst sein und "wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich erholen kann". Für solche weltfernen apolitischen Ideen ist Matisse zu Recht viel kritisiert worden. Aber vielleicht hat die sehr schöne Matisse-Ausstellung im Centre Pompidou in diesen Krisenzeiten ja tatsächlich eine beruhigende Botschaft, nämlich die, dass man neue Formen findet, wenn man ernsthaft danach sucht.