Ein neuer Stern am Pressehimmel

Von Michael Meyer |
Magazine in Deutschland müssen um Anzeigen und Auflage kämpfen - und sich jede Woche neu bewähren. Auch das 1948 von Henri Nannen gegründete Reportageheft "Stern" bekommt das seit einigen Jahren zu spüren. Um in Zukunft bestehen zu können, wurde die Zeitschrift nun überholt.
Die Titelgeschichte passt perfekt zur Papstwahl gestern: Auf dem Titelbild schaut ein Priester direkt in die Kamera, gekleidet mit einem katholischen Priesterhemd. Die Schlagzeile lautet: "Ich liebe Gott - und eine Frau." Bei genauerem Nachlesen erfährt man, der Priester ist mittlerweile nicht mehr für die katholische Kirche tätig - er verließ sie für seine Frau. Die Geschichte ähnelt ein wenig dem berühmten Titelbild von 1971, in dem 374 Frauen bekannten: "Wir haben abgetrieben" - damals ein Skandal. Heute wird die Forderung der Priester nach der Abschaffung des Zölibats wohl nicht mehr so viele Leser zum "Stern" greifen lassen, auch wenn diese Ausgabe nur einen Euro kostet.

Insgesamt wirkt das Heft in seiner neuen Struktur aufgeräumter, als früher - wobei sich nicht so viel grundlegend geändert hat. Die Rubriken sind mehr oder weniger noch dieselben: Politik, Gesellschaft, Wissen, Wirtschaft, Unterhaltung, Lebensart und Kulturtipps. Eine eigene Rubrik für herausragende Fotografie gibt es nun, dafür hat man unter anderem den berühmten Fotografen James Nachtwey engagiert. Der Amerikaner hat sich bereits in vielen Kriegs- und Krisenregionen aufgehalten und faszinierende Fotos abgeliefert. Im aktuellen Heft sind spektakuläre Naturaufnahmen des brasilianischen Fotografen Sabastiao Salgado zu sehen.

Man muss auch beim neuen "Stern" unwillkürlich an Verleger Henri Nannen denken, der seiner Redaktion immer wieder den Satz eingebläut hat, doch bitte immer auch an Lieschen Müller zu denken, die sich im Heft wiederfinden soll. Und Nannen sagte auch:

""Unterhaltung ist auch ein Wert an sich. Menschen für eine halbe Stunde oder Stunde die Möglichkeit zu geben, aus ihren Klamotten, aus ihrer Arbeitskluft, aus ihrer eigenen Wichtigkeit, aus ihrem Beruf auszusteigen und einfach mal zuzuhören, sich zu amüsieren, etwas lächelnd entgegenzunehmen und so. Und deswegen glaube ich, dass der Erfolg des 'Stern', dass der Erfolg des 'Sterns' darin lag, dass er eine Substanz hatte, dass er die aber nicht bierernst vortrug."

Das Konzept der "Wundertüte" funktioniert nicht mehr
Humor hat der "Stern" ganz gewiss noch immer. Beispielsweise findet man in kaum einer anderen Zeitschrift so gut gemachte und komische Cartoons. Doch insgesamt vermisst man bei dem jetzt erfolgten Relaunch den großen Wurf, die große Idee - und das, obwohl die Redaktion ein Jahr lang an dem neuen Heftkonzept arbeitete. Zwar haben die Rubriken nun feste Längen und das Layout ist deutlich übersichtlicher, vergleichbar etwa dem amerikanischen Magazin "Time". Aber insgesamt ist der "Stern" noch immer nicht von jener berühmten Idee der "Wundertüte" weggekommen, von der Henri Nannen gerne sprach - und damit meinte: Für jeden soll etwas im Heft sein.

Doch dieses Konzept läuft nicht mehr so gut wie früher. Es ist eine gewisse Beliebigkeit der Themen zu spüren - auch bei anderen Magazinen wie dem "Spiegel" und "Focus". Daran zu arbeiten, wird die große Aufgabe des Chefredakteurs Dominik Wichmann und seinem Team sein. Immerhin hat der "Stern" in der Vergangenheit einige große Skandale aufgedeckt, etwa 2008, als herauskam, dass LIDL seine Mitarbeiter bespitzelte, oder 2009 eine ähnliche Geschichte über die Deutsche Bahn. Derlei Scoops sind natürlich nicht beliebig reproduzierbar. Aber wieder mehr Relevanz, mehr politische Geschichten zu bringen - daran muss der "Stern" arbeiten, um wieder nach vorn zu kommen.


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