Ein neues Bild von Erika Mann
Die Musikjournalistin und Dramaturgin Signe von Scanzoni war eine Geliebte von Erika Mann. Sie zeichnet das Porträt einer Frau, die mehr, als bisher vermutet, durch die Jahre des Exils und den Tod des Vaters Thomas Mann gezeichnet war.
Erika Mann ist Mitte 50, als sie 1957 der zehn Jahre jüngeren Musikjournalistin und Dramaturgin Signe von Scanzoni wieder begegnet. Die beiden Frauen, die sich als Kinder in München nur oberflächlich gekannt hatten, werden ein Paar. Ein Paar, das zwölf Jahre füreinander hat, und für das es dennoch auf verzweifelte Weise zu spät ist. "Unser Irrtum" schreibt Scanzoni in ihrem "Bericht über Erika Mann", "bestand darin, dass wir glaubten, dass man zu später Lebensstunde durch Veränderungen äußerer Umstände Fehlhaltungen korrigieren kann."
Erika lebt unstet, ohne eigene Wohnung, meist in Hotels oder als Gast im Haus ihrer Eltern Thomas und Katia Mann. Der Traum von einem "Niemandsland", in das sie sich mit der Freundin wünscht, wird unerfüllt bleiben. Das Ausleben der Beziehung ist dank Dauerbeobachtung durch die Familie nur an wechselnden Orten möglich. Zudem entsprach "jede direkte, unstilisierte Aussage von Schmerz, Lust oder Liebe ... nicht dem Gefühlsklima der Familie." So blieb es. Signe ist dennoch von der Freundin fasziniert, von deren "unbedingtem Passioniertsein", der Frau, der jede politische, künstlerische und persönliche Frage zu "brennender, ja verzehrender Substanz" gerät – während sie sich selbst als eher "auf Sparflamme geschraubt" beschreibt.
Die letzten fünf Lebensmonate Erika Manns bilden den zeitlichen Rahmen für Scanzonis "Bericht", den eigentlichen Zusammenhang aber liefern Thomas Mann und dessen Werk. Immer wieder verwenden die beiden Zitate und Anspielungen aus Thomas Manns Büchern. Scanzoni nimmt die Sterbeszene der alten Konsulin aus den "Buddenbrooks" auf, um das Zürcher Spital zu beschreiben, in dem Erika Mann an einem Hirntumor zugrunde geht.
Vielen dieser feinen Spuren kann man dank Irmela von der Lühes hilfreichem Nachwort folgen. Dass sich Erika Mann in ein "Familiengefängnis" gesperrt hatte – zuerst als "Tochter-Adjutantin" des Vaters und später, nach dem Selbstmord von Bruder Klaus und dem Tod Thomas Manns, als "Nachlass-Eule" –, das lässt sich anhand von Scanzonis Bericht nachvollziehen. Es ist eine Entscheidung aus Disziplin wie Überheblichkeit, denn sie hielt sich als Einzige für befugt und befähigt, über das Mann’sche Erbe zu wachen. Lebend sollte sie aus diesem Gefängnis nicht mehr herauskommen: "Mit der grausamen Logik der Natur", schreibt Signe von Scanzoni 1969, "setzte die tödliche Wucherung den Denkapparat außer Funktion und erlöste dich auf wohl makabre, aber kaum unergründliche Art von einer Last, die du schon lange nicht mehr tragen wolltest."
Wer Erika Mann als aggressive Furie in der Erinnerung hat, die nicht davor zurückschreckte, auch in persönlich verletzender Weise Thomas-Mann-Biografen, Journalisten und Kritikern der von ihr herausgegebenen Editionen zu begegnen, und zahllose Prozesse anzustrengen, der dürfte überrascht sein, in welch ruhigem Ton die beiden Frauen ihre gegensätzlichen Standpunkte austauschen. Anders als Erika Mann weigerte sich Signe von Scanzoni, die Leistungen von Künstlern an deren scheinbarer politischer Gesinnung zu messen. Sie nahm den von ihr geschätzten Dirigenten Clemens Krauss ebenso in Schutz wie Gustav Gründgens, das Vorbild für Klaus Manns Roman "Mephisto". Dessen Verbleib im nationalsozialistischen Deutschland hatten Erika wie Klaus Mann stets heftig kritisiert. Scanzoni nennt ihn einen "glanzvollen Theatermann, von dem man über das Wesen dieser Kunst sehr viel lernen kann." Die überraschende Antwort Erikas lautet nun, in ihren späten Jahren: "Die Woge deines Zorns bricht sich an meiner Streitunlust, an dem ruhigen Ton."
Es ist dieser unerwartete Ton, in dem Scanzonis ihren "Bericht" verfasst hat, diese genaue, niemals diffamierende, aber auch nichts beschönigende Art, mit dem sie eine neue Farbe ins Bild der Erika Mann hinzumischt. Es entsteht das Bild einer Frau, die viel mehr, als bisher vermutet, durch die Jahre des Exils und den Tod des Vaters gezeichnet war.
Besprochen von Liane von Billerbeck
Signe von Scanzoni: Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann,
Wallstein Verlag, Göttingen 2010, 22 Seiten, 22 Euro
Erika lebt unstet, ohne eigene Wohnung, meist in Hotels oder als Gast im Haus ihrer Eltern Thomas und Katia Mann. Der Traum von einem "Niemandsland", in das sie sich mit der Freundin wünscht, wird unerfüllt bleiben. Das Ausleben der Beziehung ist dank Dauerbeobachtung durch die Familie nur an wechselnden Orten möglich. Zudem entsprach "jede direkte, unstilisierte Aussage von Schmerz, Lust oder Liebe ... nicht dem Gefühlsklima der Familie." So blieb es. Signe ist dennoch von der Freundin fasziniert, von deren "unbedingtem Passioniertsein", der Frau, der jede politische, künstlerische und persönliche Frage zu "brennender, ja verzehrender Substanz" gerät – während sie sich selbst als eher "auf Sparflamme geschraubt" beschreibt.
Die letzten fünf Lebensmonate Erika Manns bilden den zeitlichen Rahmen für Scanzonis "Bericht", den eigentlichen Zusammenhang aber liefern Thomas Mann und dessen Werk. Immer wieder verwenden die beiden Zitate und Anspielungen aus Thomas Manns Büchern. Scanzoni nimmt die Sterbeszene der alten Konsulin aus den "Buddenbrooks" auf, um das Zürcher Spital zu beschreiben, in dem Erika Mann an einem Hirntumor zugrunde geht.
Vielen dieser feinen Spuren kann man dank Irmela von der Lühes hilfreichem Nachwort folgen. Dass sich Erika Mann in ein "Familiengefängnis" gesperrt hatte – zuerst als "Tochter-Adjutantin" des Vaters und später, nach dem Selbstmord von Bruder Klaus und dem Tod Thomas Manns, als "Nachlass-Eule" –, das lässt sich anhand von Scanzonis Bericht nachvollziehen. Es ist eine Entscheidung aus Disziplin wie Überheblichkeit, denn sie hielt sich als Einzige für befugt und befähigt, über das Mann’sche Erbe zu wachen. Lebend sollte sie aus diesem Gefängnis nicht mehr herauskommen: "Mit der grausamen Logik der Natur", schreibt Signe von Scanzoni 1969, "setzte die tödliche Wucherung den Denkapparat außer Funktion und erlöste dich auf wohl makabre, aber kaum unergründliche Art von einer Last, die du schon lange nicht mehr tragen wolltest."
Wer Erika Mann als aggressive Furie in der Erinnerung hat, die nicht davor zurückschreckte, auch in persönlich verletzender Weise Thomas-Mann-Biografen, Journalisten und Kritikern der von ihr herausgegebenen Editionen zu begegnen, und zahllose Prozesse anzustrengen, der dürfte überrascht sein, in welch ruhigem Ton die beiden Frauen ihre gegensätzlichen Standpunkte austauschen. Anders als Erika Mann weigerte sich Signe von Scanzoni, die Leistungen von Künstlern an deren scheinbarer politischer Gesinnung zu messen. Sie nahm den von ihr geschätzten Dirigenten Clemens Krauss ebenso in Schutz wie Gustav Gründgens, das Vorbild für Klaus Manns Roman "Mephisto". Dessen Verbleib im nationalsozialistischen Deutschland hatten Erika wie Klaus Mann stets heftig kritisiert. Scanzoni nennt ihn einen "glanzvollen Theatermann, von dem man über das Wesen dieser Kunst sehr viel lernen kann." Die überraschende Antwort Erikas lautet nun, in ihren späten Jahren: "Die Woge deines Zorns bricht sich an meiner Streitunlust, an dem ruhigen Ton."
Es ist dieser unerwartete Ton, in dem Scanzonis ihren "Bericht" verfasst hat, diese genaue, niemals diffamierende, aber auch nichts beschönigende Art, mit dem sie eine neue Farbe ins Bild der Erika Mann hinzumischt. Es entsteht das Bild einer Frau, die viel mehr, als bisher vermutet, durch die Jahre des Exils und den Tod des Vaters gezeichnet war.
Besprochen von Liane von Billerbeck
Signe von Scanzoni: Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann,
Wallstein Verlag, Göttingen 2010, 22 Seiten, 22 Euro