Ein neues Konzept für ein neues Gedenken

Von Sven-Claude Bettinger · 26.11.2012
Belgiens König Albert II. hat am Montag das neue Holocaust-Museum in Mechelen eingeweiht. Der Entwurf für den Bau stammt vom Stararchitekten Bob van Reeth. Er war nötig, weil das bisherige Museum viel zu klein geworden war. Jahrelang stritten Historiker und die jüdischen Verbände heftig über das neue Konzept.
"Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte" heißt der neue Komplex im belgischen Mechelen offiziell. Für den alltäglichen Sprachgebrauch wurde "Kaserne Dossin" gewählt. Das Geviert der belgischen Armee diente 1942 bis 1944 als Sammellager, von dem 28 Transportzüge mit fast 26.000 Juden und Roma aus Belgien und Nordfrankreich nach Auschwitz abfuhren. Drei Flügel des Gebäudes wurden zu Luxus-Appartements umgebaut, in einem konnte die Gedenkstätte untergebracht werden:

Das Erdgeschoß zeigt die letzten Spuren des Lebens, Habseligkeiten, Briefe an Angehörige, Zeichnungen. Im gruseligen Kellergewölbe hängen die Passfotos der Deportierten, aus Lautsprechern erklingen ihre Namen und ihr Alter.

Eine lange, weiße Mauer und ein weiß ausgelegter Platz mit wenigen Bäumen verbindet die Gedenkstätte am historischen Ort des Geschehens mit dem Museums-Neubau. Die weiße Steinverkleidung dämpft einigermaßen Masse und Wucht des vier Stockwerke hohen Kubus. Subtil und symbolisch hat Architekt Bob van Reeth einen direkten Bezug zur Gedenkstätte verarbeitet:

"Am wichtigsten sind Volumen und Fenster. Das Volumen des Museums entspricht dem der Waggons der 28 Transporte. Die Fenster wurden mit XX.XXX Steinen zugemauert, so viele Menschen wurden deportiert. Diese Abschottung des Gebäudes von der Stadt ist ebenfalls symbolisch."

In der hell beleuchteten, weiten Eingangshalle schlagen die Fotos der Deportierten auf einer Wand und Touchscreen zum Aufrufen ihrer Personalien eine weitere Brücke zur Gedenkstätte. An zwei anderen Wänden führen Glas-Treppen in die oberen Stockwerke. Bereits im ersten besticht die klare Aufteilung: In der Raummitte illustrieren schwarze Kojen einerseits den deutschen Nationalismus vor dem Ersten Weltkrieg, das Erstarken und die Machtübernahme der Nationalsozialisten danach, den Rassenwahn und die Planung der "Endlösung".

Andererseits wird in die belgische Politik und in das Leben der - überwiegend aus Osteuropa geflohenen, armen - Juden und Roma eingeführt. An den Wänden des weiten Saals gehen Abbildungen und Texte auf andere Völkermorde ein, von der Ausrottung der Maya durch die Spanier über das armenische Drama bis zum Genozid in Ruanda. Museumsdirektor Professor Herman van Goethem verteidigt dieses Konzept, das in der jüdischen Gemeinschaft Belgiens heftig umstritten war:

"Das Einzigartige des Holocaust sollte nicht isoliert werden. Denn in 50 Jahren wird er als Kuriosum betrachtet werden. Meine Studenten an der Universität werfen bereits den Ersten und den Zweiten Weltkrieg durcheinander. Für sie ist die Periode 1940-1945 unvorstellbar lange her. Daraus ergibt sich eine wichtige Folge für die Darstellung des Holocaust: Es hat keinen Sinn mehr, die Täter als Teufel zu dämonisieren. Wir müssen die Psychologie der Täter analysieren und zeigen. Das waren meistens ganz gewöhnliche Leute. Wir müssen also die Frage stellen: Warum handelten sie dann so? Und: Wie können wir vermeiden, dass wir einmal so handeln?"

Im zweiten Stock wird die Dialektik noch deutlicher.

Wiederum in der Mitte erinnern Fotos, Filme, Dokumente und vor allem 25 Berichte von Überlebenden an die Judenverfolgung im besetzten Belgien, die Kollaboration von einheimischen Anhängern der nationalsozialistischen Ideologie und von manchen Behörden. Breiteren Raum nehmen die verschiedenen Formen des Widerstands an, wodurch seinerzeit fast zwei Drittel aller Juden Besetzung und Verfolgung überlebten. Auch diese Gewichtung geschah bewusst.

"Wir analysieren auf eine pädagogisch sehr wertvolle Weise: Einem erschreckenden Menschenbild steht die Erkenntnis gegenüber, dass man in fast jeder Situation auch 'Nein!' sagen kann."

Rundherum wird an andere Formen von Diskriminierung erinnert: An die Apartheid in den USA und in Südafrika, an die schwierige Lage vieler afrikanischer oder asiatischer Flüchtlinge heute, an die Benachteiligung vieler Belgier, deren Eltern oder Großeltern in den 1970er Jahren aus Marokko oder der Türkei eingewandert sind. Gerade diese "verlorene Generation" möchte das Museum ansprechen:

"Wenn muslimische Jugendliche sehen, dass man die Juden von damals mit ihnen heute vergleichen kann, dann können wir vielleicht der zunehmenden Polarisierung in unserer Gesellschaft vorbeugen, dieser nefasten Vorstellung eines Konflikts zwischen der westlichen und der islamischen Kultur."

Wieder einen Stock höher werfen die Berichte von jüdischen Überlebenden die Frage nach der Identität auf. Den Rahmen bilden hier Auszüge aus der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen und die Darstellung der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag und von Sondertribunalen. Da vermittelt das Museum ein bisschen Trost und Hoffnung. Allerdings fällt hier auch ein Manko auf: Eine Illustration des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern fehlt. Er, so heißt es beschwichtigend, kann durchaus bei Besuchen von Schulklassen angesprochen oder einmal mit einer Sonderausstellung dokumentiert werden. Ein schwacher Trost.

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