Ein neues Museum in historischem Kontext

Moderation: Dieter Kassel |
Der Entwurf muss vielen Anforderungen gerecht werden: Er soll auf dem Kölner Rathausplatz sowohl Reste einer mittelalterlichen jüdischen Siedlung zugänglich machen als auch ein Gebäude für ein Jüdisches Museum schaffen. Eine Jury hat sich bereits für einen Favoriten entschieden. Jetzt kann die Öffentlichkeit die verschiedenen Bewerbungen in Augenschein nehmen. Ein Gespräch mit dem Architekten Wolfgang Lorch vom Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch und Hirsch aus Saarbrücken, das den Wettbewerb gewann.
Dieter Kassel: Ab Morgen sind in Köln sämtliche Entwürfe für den Bau eines Hauses und Museums der jüdischen Kultur zu sehen – was zunächst ganz normal anmutet, ist ein kleines bisschen eigenartig, was die Reihenfolge angeht. Denn in Köln hat zuvor bereits eine offiziell von der Stadt eingerichtete Kommission einen der Entwürfe ausgewählt, und das mit ziemlich großer Mehrheit. 22 von 23 Juroren haben sich für einen Entwurf des Architekturbüros Wandel Hoefer Lorch und Hirsch aus Saarbrücken entschieden und sogar ausdrücklich die Empfehlung ausgesprochen, diesen Entwurf auch umzusetzen. Ob das passiert, ist im Moment wieder ein bisschen offen, aber da die berechtigte Hoffnung besteht, wollen wir mit einem der Architekten dieses Büros, eines Büros, das übrigens unter anderem auch schon das Jüdische Museum in München gebaut und entworfen hat und die Synagoge in Dresden, mit einem dieser Architekten wollen wir jetzt sprechen. Er ist für uns in unser Studio in Saarbrücken gegangen, Wolfgang Lorch. Schönen guten Tag, Herr Lorch!

Wolfgang Lorch: Guten Morgen!

Kassel: Wenn ich das komplett verstanden habe, was die Aufgabe war beim Entwurf dieses Gebäudes, dann geht es doch um zwei bis drei verschiedene Aufgaben. Es gibt zum einen auf dem Rathausplatz in Köln, um den es geht, die Reste einer mittelalterlichen jüdischen Siedlung, die zugänglich gemacht werden sollen der Öffentlichkeit, gleichzeitig aber auch geschützt werden müssen, und dann muss dieses Gebäude natürlich Raum und Platz bieten für das Haus und Museum der jüdischen Kultur. Wie wollen Sie diese doppelt bis dreifache Aufgabe erfüllen?

Lorch: Der größte Teil der Aufgabe ist noch gar nicht angesprochen worden, das heißt die sogenannte archäologische Zone, das heißt, an dieser Stelle ist ja auch ein Gutteil Praetorium, ein Gutteil des römischen Köln liegt unter dieser Platzoberfläche. Das ist zu integrieren. Das ist auch der erste Teil. Der zweite Teil, diese mittelalterliche Schicht, die damit untrennbar eigentlich verwoben ist, die darüber liegt und Teile eben des jüdischen Gettos, auch nicht des Gettos, sondern die Synagoge und eine Mikwe beinhaltet. Und als dritte Schicht darüber oder als Neubau dort gewünscht, in der Auslobung so gefordert und gewünscht, das Jüdische Museum oder das Haus der jüdischen Kultur, das sich darüber legt und das eben nicht den Platz bebaut, sondern den Platzgrundriss, wie er über mehr als ein halbes Jahrtausend bestanden hat, eigentlich wieder aufnimmt, auch die räumlichen Dispositionen, wie die jetzige Situation seit dem Krieg eigentlich nur ein Zufallsprodukt des Platzes, wie sie das eigentlich aufnimmt.

Kassel: Reden wir doch mal über diese verschiedenen Aufgaben. Ich könnte mir vorstellen, dass – Sie haben es erklärt – diese verschiedenen Dinge, also Vorhandenes schützen, aber eben auch zugänglich machen. Vieles, was sie erwähnt haben, ist ja bisher so den Kölnern nicht zugänglich. Man kann die Mikwe, also das jüdische Bad durch eine Platte sehen, aber der Rest ist überwiegend nicht richtig zugänglich für die Bevölkerung. Wie wollen Sie zunächst mal diesen Teil technisch und, so weit da Dinge zu sehen sein werden, auch ästhetisch lösen?

Lorch: Unser Entwurf, die Grundidee des Museums legt sich wie eine Art Schutzbau über die römischen und mittelalterlichen Ausgrabungen, macht sie dadurch auch begehbar. Gleichzeitig wird die Platzfassung hergestellt und, das ist das Wesentliche dieser einzelnen Schichten, die Geschichte ist natürlich nicht trennbar, diese einzelnen Zeitschichten, die werden natürlich letztlich trotzen einer gewissen Trennung, die werden natürlich miteinander erlebbar und miteinander begehbar in einer anderen Form, als das jetzt derzeit diese Vitrinen oder diese Einsicht, über diese partielle Einsicht von dem Platz, über diese in den 80er Jahren geschaffenen Glaskisten auf dem Platz ermöglichen.

Kassel: Nun ist ja ein gewisser Streit darüber in Köln entbrannt, wie nun das Gebäude, der sichtbare obere Teil des von ihnen entworfenen Gebäudes auf diesen Rathausplatz passt. Sie haben ja schon gesagt, diese Freifläche, die es nun seit einigen Jahrzehnten gibt, das ist ja nichts Historisches und auch nichts städteplanerisch Gewünschtes, das ist einfach eine Folge des Zweiten Weltkrieges. Wie soll sich denn nun Ihr neues Gebäude, das Haus der jüdischen Kultur und das Jüdische Museum, wie soll sich das Anpassen an diese Freifläche?

Lorch: Es passt sich insofern an, als dass es den, wenn man das sagen kann, den historischen Stadtgrundriss erst mal wieder herstellt, also durch die räumliche Fassung insbesondere des Praetorium-Platzes, der die Rückseite... oder der auch die Rathauslaube, dass die in die eigentlich über lange Jahrhunderte bestehende Achssituation gestellt wird, dadurch dass eine räumliche Fassung hergestellt wird. Und die jetzige Proportion des Platzes, die wirklich, wie schon gesagt, eine zufällige ist, dass die einfach wieder korrigiert wird. Das ist mal die räumliche Disposition. Der Entwurf will in der Stadt ankommen, er kommt in der Stadt an insofern, als dass er über die Dächer eine Körnigkeit dieser Stadt berücksichtigt. An dieser Stelle ist ja die Stadt sehr dicht immer gewesen, auch wiederum über Jahrhunderte. Und solche Dinge zu verändern, halte ich für falsch. Man muss auf diese Körnung, auf diese Dimension wie eine Traufe auf eine Proportion reagieren. Ich denke, unser Entwurf tut dies.

Kassel: Nun gibt es ein paar Kritiker, die gerade bei den Proportionen ja ansetzen. Es ist im Moment so, dass auf der einen Seite dieser großen Freifläche eben das Rathaus ist, deshalb heißt das Ganze ja auch Rathausplatz, und auf der anderen Seite ist das noch relativ neue Wallraf-Richartz-Museum, so eine Art Kubus. Und manche sagen jetzt, die Sichtachse, die es jetzt gibt zwischen dem Rathaus und dem Museum, die wird zerstört durch Ihr Gebäude.

Lorch: A) ist das Wallraf-Richartz-Museum ist natürlich ein relativ großer Baukörper. Diese Sichtachse ist völlig ahistorisch, wir reagieren natürlich auf das Vis-à-vis des Wallraf-Richartz-Museums. Ich denke, das ist auch ein Gewinn für diese eigentlich drei Museen, die da entstehen insofern, als dass wir erst einmal die Sichtachse zum Dom durch die Höhenentwicklung... Das ist möglich, dass die frei bleibt. Das ist die erste Position. Das Zweite, die Sichtachse zum Wallraf-Richartz-Museum ist weder historisch noch ist das eben mit den Raumdispositionen zusammengefasst. Und das Dritte, der Entwurf bietet die Chance eben zwei Platzräume zu schaffen, A) den historischen vor dem Praetorium und zum anderen durch eine geringfügige Modifikation unseres Entwurfes – das haben wir auch schon signalisiert und das war ein Wunsch auch der Jury, dass man zwischen Wallraf-Richartz-Museum und dem neu geschaffenen jüdischen Museum und der archäologischen Zone ein Stück mehr Distanz schafft, um beiden ein adäquates Vis-à-vis und eine Eingangssituation zu geben.

Kassel: Ist es denn, was Ihren Entwurf angeht, prinzipiell möglich, einem Vorschlag zu folgen, den einige gemacht haben in der Politik in Köln, nämlich dass neue Jüdische Museum nicht exakt auf diesem Platz zu bauen, so wie bisher geplant und wie es der Förderverein ja auch haben will, sondern ein bisschen mehr, ich sage es mal salopp, zur Seite zu setzen auf das Gelände des ehemaligen Kaufhauses Kutz. Wäre das vereinbar mit Ihren Entwürfen prinzipiell?

Lorch: Für manche Leute scheint alles möglich. Die archäologische Zone und Jüdisches Museum sind eine Einheit, weil diese Zeitschichten nicht auseinanderzunehmen sind. Das heißt, ich glaube, es gehört an den authentischen Ort. Der authentische Ort dort, wo über diesen Exponaten - und nicht nur des Jüdische Museums, sondern auch die archäologische Zone. Es wird nicht darüber diskutiert, ob man die archäologische Zone an eine andere Stelle setzt. Gleichermaßen würde ich sagen, auch der richtige authentische Ort für die archäologische Zone und das Jüdische Museum ist diese Stelle, das scheint mir logisch nachvollziehbar und war auch Grundlage der Auslobung.

Kassel: Es gibt eine kleine technische Diskussion noch darüber, dass – so ist das in Deutschland ja – verwaltungstechnisch das nicht so eine Einheit bildet, die archäologische Zone und das Jüdische Museum, wie Sie gesagt haben. Historisch mag das so sein, aber es muss ja immer jemand bezahlen. Und für die archäologische Zone ist im Rahmen einer Aktion namens Regionale 2010 das Land Nordrhein-Westfalen zuständig, den Bau des Jüdischen Museums will ein Förderverein, den es in Köln bereits gibt mit über 100 Mitgliedern, finanzieren. Und deshalb wird in Köln ja darüber diskutiert, ob man das Ganze entzerren kann. Ginge denn das, so wie Sie mir Ihr Gebäude beschrieben haben, dass man sozusagen den Teil, der die archäologische Zone auch schützen und zugänglich machen soll, zuerst baut und das Museum erst später? Das fordern ja auch manche.

Lorch: Da sind wir aufgefordert von der Stadt, darüber, was wir ja auch schon eigentlich gesagt haben, es gäbe eine mögliche Entzerrung oder Zweiteilung. Da scheint es Möglichkeiten zu geben. Wir sind auch derzeit aufgefordert, darüber nachzudenken, entsprechende Vorschläge zu machen. Ich möchte aber dazusagen, ich glaube schon, dass es, wenn man in diesen zeitlichen Dimensionen, 2000 Jahre römische Ausgrabungen und über ein halbes Jahrtausend mittelalterliche Geschichte dort agiert, dann sollte man sich nicht um ein, zwei Jahre dort Gedanken machen. Ich glaube, es geht um eine stabile langfristige auch Disposition dieses Stadtgrundrisses und der Stelle in dieser Stadt, die keine unwesentliche ist, sondern eine sehr, sehr wichtige.

Kassel: Sie haben, Herr Lorch, bei den Planungen und am Ende dann auch den Bau für das Jüdische Museum in München, für die Synagoge in Dresden, und diese beiden Beispiele sind auch noch nicht alles, was Sie, damit meine ich jetzt auch Ihr Büro, gebaut haben in Deutschland im Zusammenhang mit jüdischer Geschichte und Kultur – Sie haben da ja auch Diskussionen erlebt. Ich glaube, das ist auch normal bei großen Bauvorhaben, dass es verschiedene Meinungen gibt, die nicht am Anfang sofort unter einen Hut zu bringen sind. Sind insofern die Diskussionen, die es jetzt in Köln gibt, für Sie noch relativ normal oder hat das schon ein außergewöhnlich großes Ausmaß angenommen?

Lorch: Zum einen wird natürlich auch über eine zeitgenössische Architektur in historischen Kontexten momentan in Deutschland ganz stark diskutiert. Das ist ein Fakt, das ist in Köln nicht anders, wie es in München und in Dresden mit einer architekturinteressierten Bürgerschaft der Fall war. Ich würde jetzt erst mal keinen Unterschied machen. Ich glaube jetzt doch, dass es in Dresden und in München ganz klar den Willen und den Wunsch gab, dort diese Einrichtungen in die Stadt und nicht in die Peripherie zu holen und dort zu bauen.

Kassel: Ab Morgen können nun alle alle Entwürfe sehen. Wollen wir mal nicht darüber diskutieren, dass das zwar einerseits ganz normal, andererseits die Reihenfolge ein bisschen Köln-typisch ist. Die Entscheidung der Jury war ja sehr eindeutig. 22 von 23 Stimmen, das ist so nicht üblich. Also Mehrheitsentscheidungen natürlich, man muss eine Entscheidung treffen, aber das ist nun eine eindeutige Empfehlung für den Entwurf Ihres Büros gewesen. Sind Sie denn optimistisch, dass die Laien, die sich das jetzt ein paar Wochen angucken können, ähnlich überzeugt sein werden am Ende?

Lorch: Es ist erst mal ungewöhnlich, dass nach einem Wettbewerb, der klar auch politische Rahmensetzungen hatte, diese Diskussion über das Grundsätzliche nachgelagert geführt wird. Das ist sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal der Kölner Debatte.

Kassel: Danke schön. Wolfgang Lorch war das, vom Architekturbüros Wandel Hoefer Lorch und Hirsch über den Entwurf für ein Haus und Museum der jüdischen Kultur in Köln und die Frage, ob und wie es am Ende gebaut wird.