Ein Panorama der modernen Arbeitswelt
In der fiktiven kalifornischen Stadt Coca soll eine Brücke ins waldige Hinterland gebaut werden. Mit einem am amerikanischen Realismus geschulten Drive inspiziert der Roman von Maylis de Kerangal die Baustelle, die selber zur Stadt heranwächst - ein Heer von Wanderarbeitern anzieht.
Was darf es sein? Ein Fußballstadion in Chengdu vielleicht oder lieber eine Moschee in Casablanca? Eine Pipeline in Baku, eine mobile Kläranlage im Norden Saigons, ein Staudamm in Lagos? Georges Diderot macht es möglich, seine Ingenieurskunst kennt keine Grenzen, weder topografische noch technische. Er ist ein Söldner des Betons, der architektonische Fiktionen in die Landschaft stellt. "Gib mir die Pläne, und ich bau dir, was du willst, selbst eine Brücke in die Hölle", sagt er einmal.
Zweihundertsechzig Millionen Tonnen Beton. Achtzigtausend Tonnen Stahl. Einhundertneunzigtausend Kilometer Kabel: Das ist das Material, aus dem die Straße in die Zukunft geschmiedet wird. Für den Bürgermeister der fiktiven kalifornischen Stadt Coca sieht Wohlstand mindestens wie Dubai aus, wenn nicht prächtiger, und dafür braucht er eine Brücke ins waldige Hinterland. Dort hausen die Wilden und schlummern die Rohstoffe. Ein Investorentraum.
Dass die Französin Maylis de Kerangal ihren Helden nach einem französischen Aufklärer benannt hat, ist mehr als intellektuelle Koketterie. Der Baustellenleiter wird auf die Arbeiterin Katherine Thoreau treffen, der Architekt der Brücke heißt Ralph Waldo (man denke sich Emerson hinzu) – die Namen sprechen von der großen technikskeptischen Tradition der Moderne auf beiden Seiten des Atlantiks. Es gibt ein Leben jenseits materieller Erfüllung, war die Idee, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen entfremdet uns von unserer menschlichen Natur.
Aber genau diese Technikskepsis wird hier, in Gestalt eines Stahl- und Betonkolosses, buchstäblich umgebaut zu einer Vision der Effizienz und Rentabilität. "Seine Zeit ist die Gegenwart", heißt es von dem Ingenieur Diderot. "Jetzt oder nie, das Richtige tun. Immer draußen, konzentriert, empirisch, ungläubig."
Mit einem am amerikanischen Realismus geschulten Drive inspiziert der Roman die Baustelle, die selber zur Stadt heranwächst, ein Heer von Wanderarbeitern anzieht. Die Nomaden der Globalisierung kommen aus China wie der ängstliche Mo Yun oder aus Mexiko wie der Kranführer Sancho. Sie sind Spezialisten wie die arbeitswütige Zementexpertin Summer Diamantis oder, wie der Amerikaner Soren Cry, Tagelöhner mit düsterer Vergangenheit.
De Kerangal choreografiert ihre Lebensgeschichten zu einem Panorama der modernen Arbeitswelt, mal in extremer Aufsicht und mit Zeitraffer über Jahrzehnte hinwegsausend, dann in der Nahaufnahme bis in die hintersten Gedankenwinkel ihrer Protagonisten hineinzoomend. Der Wechsel der Tempi und Perspektiven ist atemberaubend und seinem Sujet vollkommen angemessen: ein Jahr, dann muss der Koloss stehen.
Auf einer Drei-Milliarden-Dollar-Baustelle kann es nichts Privates geben, was standhalte, erklärt Diderot, und genau an dieser Spannung zwischen wirtschaftlichem Zwang und biografischer Widerständigkeit arbeitet sich der Roman ab. De Kerangal weiß, dass der Einzelne der Zurichtung durch technische und ökonomische Strukturen nicht entgeht, sie gestattet ihren Figuren aber genug Irrationalität, Hoffnung und Begehren, um die Geschichte exakt auszubalancieren: zwischen Eloge auf die flexible Wirtschaftswelt einerseits und modernekritischer Fabel andererseits. Denn das hat sie mit ihrer Hauptfigur gemein: Sie konstruiert makellos.
Besprochen von Daniel Haas
Maylis de Kerangal: Die Brücke von Coca
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Suhrkamp, Berlin 2012
288 Seiten, 19,95 Euro
Zweihundertsechzig Millionen Tonnen Beton. Achtzigtausend Tonnen Stahl. Einhundertneunzigtausend Kilometer Kabel: Das ist das Material, aus dem die Straße in die Zukunft geschmiedet wird. Für den Bürgermeister der fiktiven kalifornischen Stadt Coca sieht Wohlstand mindestens wie Dubai aus, wenn nicht prächtiger, und dafür braucht er eine Brücke ins waldige Hinterland. Dort hausen die Wilden und schlummern die Rohstoffe. Ein Investorentraum.
Dass die Französin Maylis de Kerangal ihren Helden nach einem französischen Aufklärer benannt hat, ist mehr als intellektuelle Koketterie. Der Baustellenleiter wird auf die Arbeiterin Katherine Thoreau treffen, der Architekt der Brücke heißt Ralph Waldo (man denke sich Emerson hinzu) – die Namen sprechen von der großen technikskeptischen Tradition der Moderne auf beiden Seiten des Atlantiks. Es gibt ein Leben jenseits materieller Erfüllung, war die Idee, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen entfremdet uns von unserer menschlichen Natur.
Aber genau diese Technikskepsis wird hier, in Gestalt eines Stahl- und Betonkolosses, buchstäblich umgebaut zu einer Vision der Effizienz und Rentabilität. "Seine Zeit ist die Gegenwart", heißt es von dem Ingenieur Diderot. "Jetzt oder nie, das Richtige tun. Immer draußen, konzentriert, empirisch, ungläubig."
Mit einem am amerikanischen Realismus geschulten Drive inspiziert der Roman die Baustelle, die selber zur Stadt heranwächst, ein Heer von Wanderarbeitern anzieht. Die Nomaden der Globalisierung kommen aus China wie der ängstliche Mo Yun oder aus Mexiko wie der Kranführer Sancho. Sie sind Spezialisten wie die arbeitswütige Zementexpertin Summer Diamantis oder, wie der Amerikaner Soren Cry, Tagelöhner mit düsterer Vergangenheit.
De Kerangal choreografiert ihre Lebensgeschichten zu einem Panorama der modernen Arbeitswelt, mal in extremer Aufsicht und mit Zeitraffer über Jahrzehnte hinwegsausend, dann in der Nahaufnahme bis in die hintersten Gedankenwinkel ihrer Protagonisten hineinzoomend. Der Wechsel der Tempi und Perspektiven ist atemberaubend und seinem Sujet vollkommen angemessen: ein Jahr, dann muss der Koloss stehen.
Auf einer Drei-Milliarden-Dollar-Baustelle kann es nichts Privates geben, was standhalte, erklärt Diderot, und genau an dieser Spannung zwischen wirtschaftlichem Zwang und biografischer Widerständigkeit arbeitet sich der Roman ab. De Kerangal weiß, dass der Einzelne der Zurichtung durch technische und ökonomische Strukturen nicht entgeht, sie gestattet ihren Figuren aber genug Irrationalität, Hoffnung und Begehren, um die Geschichte exakt auszubalancieren: zwischen Eloge auf die flexible Wirtschaftswelt einerseits und modernekritischer Fabel andererseits. Denn das hat sie mit ihrer Hauptfigur gemein: Sie konstruiert makellos.
Besprochen von Daniel Haas
Maylis de Kerangal: Die Brücke von Coca
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Suhrkamp, Berlin 2012
288 Seiten, 19,95 Euro