Ein "pastoraler Papst", weniger ein Intellektueller

Otto Kallscheuer im Gespräch mit Christopher Ricke |
Für den Philosophen und Politikwissenschaftler Otto Kallscheuer ist mit Jorge Mario Bergoglio ein Gegenbild zu dessen Vorgänger Papst Benedikt XVI. gewählt worden.
Christopher Ricke: Seit Jahren reden wir über die Rückkehr der Religion in die Mitte der Gesellschaft, und was das bedeutet, hat man gestern Abend erleben können. Wenn man das Programm von Deutschlandradio Kultur gehört hat oder vielleicht sogar den Fernseher angemacht hat: Wenn ein Champions-League-Spiel um einige Minuten verschoben wird, weil der Papst in Rom auf dem Balkon steht, dann zeigt das, dass die Religion mitten in der Gesellschaft zumindest in der medialen Wirklichkeit angekommen ist! Über den neuen Papst und diese Inszenierung möchte ich jetzt mit Otto Kallscheuer sprechen, der schrieb unter anderem "Die Wissenschaft vom Lieben Gott, eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten". Guten Morgen, Herr Kallscheuer!

Otto Kallscheuer: Ja, schönen guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Wissen alle den Unterschied zwischen Agnostiker und Atheist, der eine zweifelt, der andere bestreitet?

Kallscheuer: Ja, der eine … Das stimmt, der eine enthält sich der Aussage! Also, er stimmt nicht mal ab, dafür oder dagegen, sondern er gehört zu den Stimmenthaltern!

Ricke: Jetzt haben wir gestern eine Sache gesehen, die man durchaus als Inszenierung bezeichnen kann, vielleicht noch schöner als dieser Abflug des alten Papstes mit dem Hubschrauber nach Castel Gandolfo. Wie haben Sie denn dieses mediale Ereignis erlebt?

Kallscheuer: Also, wie eine gute Inszenierung, muss ich sagen! Also, das Publikum war dabei, das gehört auch bei jedem vernünftigen Rockkonzert dazu. Wenn es hier natürlich nicht um Musik ging und der Papst ganz bestimmt kein Rockstar ist, aber die Nähe zum Publikum, in diesem Falle also zum Volk Roms, deren Bischof der Papst ja als Allererster ist, hat relativ gut funktioniert, und in dem Volk von Rom waren eine ganze Reihe von argentinischen Fähnchen, die also voller Begeisterung dann geschwungen sind. Und ich fand auch, hätte der Papst, also der Neue, Franz, hat einen sehr guten Akzent der Bescheidenheit gewählt: Jetzt beten wir erst mal, jetzt hoffen wir, dass wir gemeinsam gehen können! Also, in der Hinsicht waren die ersten Schritte sehr gut überlegt, aber auch nicht überprofessionell. Also, er war ja kein Johannes Paul II., der sozusagen die Medien und Massen im Griff hatte!

Ricke: Jetzt hat die katholische Kirche ja durchaus einen universellen Anspruch. Ist denn dieser Papst vielleicht auch jemand, der es schaffen kann, den Recht- und Andersgläubigen, den Agnostikern und Atheisten – um noch mal Ihren Buchtitel aufzunehmen – zu erklären, was katholisch sein heißt?

Kallscheuer: Also, bei dieser Wahl ist deutlich, dass man, obwohl dieser Jorge Bergoglio ja ein Intellektueller ist, der ist also aus eigener Berufung vom Chemiearbeitersohn eines italienischen eingewanderten Arbeiters, also vom Chemiker dann zum Literaturwissenschaftler und dann zum Theologen geworden, ist er doch wohl gewählt worden als, wie das im katholischen Jargon so heißt, pastoraler Papst. Also einer, der der Seelsorge seiner Gemeinde auch physisch nahestehen will, im Unterschied zum deutschen intellektuellen Papst. Wobei man sagen muss, auch Bergoglio hat in Deutschland studiert, an der Frankfurter Jesuitenschule. Also, sein erster … seine erste Leistung als Seelsorger dürfte eher sein, Präsenz zu zeigen, als dafür zu argumentieren. Vielleicht wird das Argumentieren ja auch überschätzt, der argumentierende Papst Benedikt, der ja kurz vor seiner Wahl aufgrund seiner Debatte mit Jürgen Habermas sozusagen große Hoffnungen erweckt hatte, hat sich dann als Kirchenführer als vergleichsweise unfähig erwiesen. Insofern … Also, Vorschusslorbeeren ja, aber ob er nun ausgerechnet der Richtige ist, um die Mission gegenüber Heiden und Zweiflern zu verkörpern, weiß ich nicht, ist aber vielleicht auch nicht das Wichtigste im Moment!

Ricke: Es gibt noch eine andere Mission, die ist wichtig, die heißt aufräumen im Vatikan! Vielleicht hat man sich ja durchaus bewusst für einen Lateinamerikaner entschieden, der nicht so sehr in dem üblichen Filz gefangen ist wie vielleicht andere Kurienkardinäle? Was sagen Sie zu diesem Aspekt?

Kallscheuer: Ja, das ist sicher … Das ist sicher eine richtige Vermutung. Auf der anderen Seite bin ich mir allerdings nicht sicher, ob er sozusagen der Mann, der Durchgreifer ist. In einer amerikanischen Zeitung stand mal, was sehr viele – sprich, vor allem auch Nordamerikaner – von dem neuen Papst erwarten, wie sie sich ausdrücken: in der Erwartung eines nicht … also Benedikt Pius, sondern eines Rambo I., der da erst mal ordentlich Ordnung schafft! Da bin ich mir nicht so sicher, ob ein Papst, der zwar den Vatikan gut kennt, aber eben nicht von innen kommt und der in seinem Alter also fast genau so alt ist wie Benedikt beim letzten Mal … Man sollte kurz da einfügen: Er war ja auch beim letzten Mal bereits auf dem Schirm des Konklaves, bereits etwa 50 der Kardinäle, die ihn diesmal gewählt haben, waren beim letzten Mal auch dabei, und wenn die Gerüchte stimmen, so war Bergoglio der aussichtsreichste mögliche Gegenkandidat für Benedikt oder für Ratzinger gewesen. Dass jetzt nun acht Jahre danach – Benedikt hat es nicht geschafft, sehr vereinfacht gesprochen, eine Kurienreform durchzusetzen, sogar seine eigenen löblichen Initiativen sind mehr oder weniger am Apparat gescheitert –, sondern jetzt einen acht Jahre älteren Menschen ohne sehr spezifische eigene Kurienerfahrung nimmt, könnte auch darauf hinauslaufen, dass die Kurie – also das Imperium im Vatikan – sagt, egal, wer unter uns Papst wird, wir wählen einen pastoralen Papst, der sehr die Menschen anspricht, aber wir lassen uns in unsere eigenen Apparate nicht reinreden! Das wird sich weisen. Er ist in jedem Fall von seinem … wie soll ich sagen, von seinen kirchenpolitischen Bezügen ein Mann, der Brücken schlagen könnte. Er kommt ja aus dem Jesuitenorden, das drückt sich auch in einer Komponente seines Namens aus, Franziskus kann sich auch auf Franz Xaver beziehen, einen der ersten Missionare, großen Missionare der Weltkirche, einer der Mitgründer des Jesuitenordens, der also in Indien, China, in Ostasien gewesen ist. Also, er kommt aus dem Jesuitenorden, repräsentiert allerdings in den politischen …

Ricke: Also, die nächsten Monate und …

Kallscheuer: … in den letzten 20 Jahren nicht gerade die eher linke, liberale Ausprägung des Jesuitenordens, sondern einen sehr viel, könnte man sagen, konservativeren Kurs, der auf stärkere Selbstbehauptung katholischer Identität auch ausgeht!

Ricke: Das kann also noch spannend werden! Otto Kallscheuer, der Politikwissenschaftler und Philosoph, ich danke Ihnen sehr, Professor Kallscheuer!

Kallscheuer: Ja, bitte, bitte!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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