Verkehrswende-Pionier Helmut Holzapfel
Setzte schon vor Jahrzehnten aufs Rad: Stadtplaner Helmut Holzapfel (r), hier 1996 unterwegs mit dem damaligen Verkehrsminister Sachsen-Anhalts, Jürgen Heyer, (l) und seinem Staatssekretär. © picture-alliance / dpa / Peter Förster
„Hört auf, neue Autobahnen zu bauen“
06:18 Minuten
Je weniger Straßen gebaut werden, desto besser, findet der Verkehrswissenschaftler Helmut Holzapfel. Schon lange rückt er Mensch und Natur ins Zentrum der Stadtplanung – und ist damit ein Vordenker der Verkehrswende.
Im nordhessischen Kassel macht sich Helmut Holzapfel auf den Weg zur Arbeit. Normalerweise würde der 72-Jährige sein Fahrrad nehmen, doch dafür liegt an diesem Tag zu viel Schnee. Also geht es dick eingepackt und in Wanderschuhen los. Seit rund 30 Jahren wohnt der studierte Bauingenieur nun schon mit seiner Frau in Kassel.
Sein beruflicher Werdegang hat ihn in zahlreiche Positionen geführt. Noch heute hat er einen Lehrauftrag an der Uni Kassel und sitzt im Beirat für Integrität und Nachhaltigkeit von Mercedes-Benz. Zusätzlich leitet er das Zentrum für Mobilitätskultur in Kassel.
Verkehrsplanung für den Menschen
Obwohl sich seine Karriere ums Auto dreht, betont Holzapfel: „Ich finde es wichtig, dass, wenn wir über das Auto reden, eigentlich nicht übers Auto reden, wenn wir die Stadt verändern wollen, verbessern wollen, zukunftsfähig machen wollen, sondern, dass wir über Häuser, Straße, Bebauung reden und über das Leben an sich.“
Ein Kollege von Helmut Holzapfel ist Achim Vorreiter. Sie kennen sich seit über zehn Jahren, arbeiten gemeinsam im Zentrum für Mobilitätskultur. Achim Vorreiter ist außerdem Leiter der Stabsstelle für Mobilität im Ländlichen Raum des Nordhessischen Verkehrsverbunds. Das Zentrum vermittelt Kontakte in der Straßen- und Verkehrsplanung, unterstützt aber auch Forschungsprojekte, zum Beispiel eins der Stadt Kassel: Es wurde untersucht, welche Straßen besonders fahrradfreundlich sind und woran das liegt.
Ein Vorreiter der Verkehrswende
Achim Vorreiter schätzt den Ansatz, dass es bei Mobilität nicht nur um Autos geht, sondern auch um die Menschen vor Ort. „Ganz anders als andere Bauingenieure hat er schon sehr, sehr früh erkannt, dass es eben mehr braucht, wenn man Städte bauen will und vor allen Dingen auch Straßen. Ich glaube, das ist ihm hoch anzurechnen, dass er da eigentlich den Grundstein gelegt hat für das, was jetzt auch breiter diskutiert wird.“
Auch Professor Christian Kopetzki, ein ehemaliger Kollege vom Institut für Urbane Entwicklungen der Uni Kassel, sieht in Helmut Holzapfel einen Wegbereiter der aktuellen Diskussionen, wie er in einer Mail schreibt: „Professor Holzapfel ist zweifellos eine wichtige, frühe Stimme in dem, was wir heute ‚Verkehrswende‘ nennen.“
Ab Mitte der 70er-Jahre hat Helmut Holzapfel in Berlin gelebt: einer geteilten Stadt, geprägt von Hausbesetzungen, David Bowie und Protesten der Bürgerinitiative Westtangente. Die Initiative hat gegen die geplante Stadtautobahn demonstriert – und Helmut Holzapfel auf den Themenkomplex aufmerksam gemacht. „Da bin ich politisiert worden“, sagt er. „Demzufolge ist für mich dieser Straßenbau, der dann nur zu Belastungen führt, zu mehr CO2 insgesamt, von vornherein ein Grund gewesen, mich zu engagieren im Verkehrsbereich.“
Der Widerstand der Bürgerinitiative gegen die Stadtautobahn hatte Erfolg. Die Westtangente wurde nie vollständig gebaut. Ein Nicht-Bauen von Autobahnen hält Helmut Holzapfel auch immer noch für die beste Lösung, denn durch die neuen Strecken entstünden zu viele Probleme. „Wir haben eine ungeheure Straßendichte. Das gefährdet die Natur. Ich bin gegen weiteren Autobahnbau auch deshalb, weil wir viel zu viel Fläche bereits versiegelt haben in diesem Land, und das macht sich in Naturkatastrophen nicht so besonders gut.“
Der Widerstand der Bürgerinitiative gegen die Stadtautobahn hatte Erfolg. Die Westtangente wurde nie vollständig gebaut. Ein Nicht-Bauen von Autobahnen hält Helmut Holzapfel auch immer noch für die beste Lösung, denn durch die neuen Strecken entstünden zu viele Probleme. „Wir haben eine ungeheure Straßendichte. Das gefährdet die Natur. Ich bin gegen weiteren Autobahnbau auch deshalb, weil wir viel zu viel Fläche bereits versiegelt haben in diesem Land, und das macht sich in Naturkatastrophen nicht so besonders gut.“
Bessere regionale Angebote, weniger Straßen
Hierfür ist der Bau der A20 ein Beispiel. Die Autobahn soll, einmal fertig, durch Niedersachsen und Schleswig-Holstein führen. Dabei geht die Hälfte durch Marsch- und Moorfläche, versiegelt sie. Für Umweltschützer ist das eine Katastrophe. Befürworter des Autobahnausbaus, dazu gehören FDP und CDU, sehen das anders. Sie denken: Erst durch einen Autobahnanschluss hat eine Region überhaupt die Möglichkeit, wirtschaftlich zu wachsen.
Helmut Holzapfel kann das nicht nachvollziehen. „Es gibt keine einzige Studie, die einen ökonomischen Vorteil einer Region durch Autobahnbau zeigt“, sagt er. Es sei vielmehr sinnvoll, die Regionen so zu strukturieren, dass eine Autobahn überflüssig werde. Sprich: Alles, was im Leben der Menschen wichtig ist, findet sich in der Nähe, kann zu Fuß, mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden – wie zum Beispiel in Münster oder Tübingen. Das Verhalten der Menschen verändere sich entsprechend. Das belegten empirische Studien, sagt Holzapfel. „Man fährt dort automatisch weniger Auto, ohne dass irgendjemand sagt: Ich muss verzichten. Darum geht es ja.“
Doch bei Autobahnen, da müsse die Politik umdenken und anders planen. „Wenn man von vornherein auch bei jeder neuen Straße bedenken würde, dass man sie dann hundert Jahre erhalten muss und diese Kosten mit einbeziehen würde, dann würde man sich das beim Bau viel besser überlegen.“
Die Menschen ins Gespräch bringen
Aufgrund seiner Expertise wurde Helmut Holzapfel für den Beirat für Integrität und Nachhaltigkeit von Mercedes-Benz angefragt. Gemeinsam mit anderen Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten überlegt er, wie Verkehr nachhaltiger und sicherer gestaltet werden kann – zum Beispiel durch E-Autos oder Abbiegeassistenten in LKW. Der Kontakt zur Führungsebene des Konzerns habe ihm sehr geholfen, die Autolobby als solche zu verstehen. „Ich weiß mittlerweile, wie die Autoindustrie organisiert ist, welche Denkmuster sozusagen dort in den Köpfen sind“, sagt Holzapfel.
Trotzdem wirkt es widersprüchlich, dass jemand, der sich gegen den Ausbau von Autobahnen ausspricht und gegen große, schwere PKW ist, für Mercedes-Benz tätig ist. Helmut Holzapfel ist sich dessen bewusst. „Wenn Sie die Publikationen, den Umweltbericht von Mercedes angucken, dann stehe ich da drin als Beirat. Dann sagen die Leute: Was macht der denn da? Ist man da ein Weißwascher des Unternehmens? Natürlich irgendwie schon. Aber das ist, denke ich, auszuhalten, was ich da mache.“
Er nutze seine Position zum Beispiel, um verschiedene Parteien – Umweltorganisationen und Autoindustrie – ins Gespräch zu bringen. „Ich halte es für wichtig, dass man, wenn man ein Umdenken fördern will, die Leute zusammenbringt, so Holzapfel.
So ein Umdenken braucht Zeit. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich bereits einiges verändert, und Helmut Holzapfel hofft, weitere Veränderungen vorantreiben zu können, sei es ein Tempolimit auf Autobahnen oder ein für Fußgänger und Radfahrer freundlicherer Stadtverkehr. Die Ausdauer dafür hat er.