Ein poetisches Prosawunder
In diesem Buch geht es um zwei Johannas. Johanna 1 lebt in der Gegenwart und versucht, über Johanna 2, besser bekannt als Jeanne d'Arc, zu promovieren. Von einer existenziellen Herausforderung erzählt Felicitas Hoppe mit größtmöglicher Leichtigkeit. Sie bestätigt einmal mehr ihren Ruf als eine unvergleichliche Quartiersmacherin der Phantasie.
"Johanna", das neue Buch von Felicitas Hoppe, liest sich wie die höchst disziplinierte Fieberphantasie einer Jungfrau (oder einer jungen Frau, der Erzählerin) über eine andere Jungfrau. Die erste bleibt namenlos, dafür erzählt sie und steht kurz vor ihrer Promotion. Deren Thema ist die zweite Jungfrau mit Namen Johanna, besser bekannt als "La Pucelle" oder Jeanne d’Arc, jene 19-Jährige, die Stimmen von drei Erzengeln hört, daraufhin die Franzosen 1430 gegen die englische Besatzungsmacht führt und 1431, weil ihr anfängliches Schlachtenglück endet, in Paris als Gotteslästerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird.
Jungfrau 1 sehnt sich ganz unakademisch nach Jungfrau 2 und will ihr über 600 Jahre hinweg nahe kommen, ist aber voller Respekt vor dem lodernden Feuer unter Johanna: "Ich fürchte den Wind und um meine Finger." So zierlich können handfeste Bedenken klingen.
Ein gewisser Dr. Peitsche ist fast immer um Jungfrau 1. Auch er schreibt über Johanna. Vor allem aber faltet Peitsche Papiermützen für sämtliche Personen, die mit ihrem Schicksal zu tun haben, und beschriftet sie. " Ich will dich ertränken", steht auf der des Vaters, der Johanna zu Hause halten möchte. "Wir können auch anders" auf denen der Soldaten. "Ich muss" auf der des Bischof Cauchon, der Johanna auf Geheiß der Engländer zum Tode verurteilt.
Dem Mützenexperten misslingt nur eine Mütze: jene, die Johanna in ihren letzten Minuten aufgesetzt wird. Jungfrau 2 bleibt mützenlos und unbeschriftet – ein Rätsel für die Wissenschaft. Und eine Provokation, der die Akademiker Peitsche und Jungfrau 1 forschend nicht beikommen. Wie aber sonst? Mit Hohn über Johanna, diesen "Prahlhans, Aufschneider Gottes"? Das wäre allzu wohlfeil, weiß Jungfrau 1: "Johanna brennt, und ich sitze im Hörsaal."
Dann durchs Hineinschlüpfen in sie? Das bleibt Zitat und glückt Jungfrau 1 nur betrunken, doch Johanna ist immer nüchtern. Also womit? Mit der Angst vor der Herausforderung des Unbedingten, das Johanna verkörpert? "Wenn die Angst bei mir ist, habe ich keine Angst", weiß Jungfrau 1, der Felicitas Hoppe einen Satz des russischen Lyrikers Ossip Mandelstam untergeschoben hat. Dann also her mit der Angst: Sie ist der rote Faden durch dieses zwischen Zeiten und Räumen, Wundern und Wirklichkeiten, Himmel und Erde traumwandelnden Buch.
Von Aufbrüchen und Reisen erzählen alle Bücher von Felicitas Hoppe. In ihrer wunderbaren Erzählung "Paradiese, Übersee" (20001) ziehen ein Ritter und ein Zeitungsjournalist kreuz und quer durch die Welt und wissen nicht einmal, was sie eigentlich suchen; heim bringt sie ein "kleiner Baedeker", der fortwährend Sterne verteilt, einen für "sehenswert" und zwei "für alles, was man nie zu sehen bekommt, das ist der Stern der Verheißung".
"Pigafetta" (1999), Hoppes zweites, nach dem Reisegefährten Magellans benanntes Buch, ist eine träumerisch-absurde Szenenfolge über eine Weltumrundung auf einem Frachter; eine solche Fahrt hatte die 1960 geborene Schriftstellerin mit dem Preisgeld für ihr Debüt "Picknick der Friseure" (1996) tatsächlich unternommen. Und auch die Menschen in den fünf Erzählungen ihres letzten Buches "Verbrecher und Versager" (2005) entfernen sich vom Ort ihrer Untaten und ihres Versagens ins Fremde.
In "Johanna" scheitert Jungfrau 1 an der Promotion über Jungfrau 2, fährt mit einem Zug deren Leidensstationen ab, nimmt am Ende dort, wo in der Seine das nicht brennbare Herz der Jungfrau liegen soll, mit Dr. Peitsche ein erfrischendes Bad, und fasst einen mutigen Vorsatz: "Und morgen, falls es das Wetter erlaubt, werden wir uns duzen." "Johanna" erzählt von der Sehnsucht einer jungen Frau, ihr eigenes Leben zu leben – ohne Gewissheit und Auftrag und ohne den Glauben.
Von dieser existenziellen Herausforderung erzählt Felicitas Hoppe mit größtmöglicher Leichtigkeit. Sie wirft beständig Worte und Wendungen aus der Geschichte beider Jungfrauen in die raucherfüllte Luft: Eine Feier in Peitsches Wohnung ist zugleich ein Heerlager, das Grillfeuer unter den Würsten "ein kleines Feuer danach", nach dem Scheiterhaufen.
Aus 880 Soldaten werden 880 Konferenzen über Angst und ebenso viele verwirrte Stimmen, sinnlose Fragen, geflügelte Engel und sensationelle Fußballspiele. Dreizehn Anklagepunkte gegen Johanna gibt es, dreizehn Schnäpse und Jünger, dazu sieben Finger, Tugenden, Stufen, Könige sowie den siebenten Himmel.
Eine anarchische Kombinationslust bringt Überlieferung und Gegenwart im Schweben zur flüchtigen Übereinstimmung. "Johanna" ist ein poetisches Prosawunder und bestätigt einmal mehr Felicitas Hoppes Ruf als eine ganz und gar unvergleichliche Quartiersmacherin der Phantasie.
Felicitas Hoppe: Johanna.
Roman. S. Fischer Verlag. 174 S., 17,90 Euro
Jungfrau 1 sehnt sich ganz unakademisch nach Jungfrau 2 und will ihr über 600 Jahre hinweg nahe kommen, ist aber voller Respekt vor dem lodernden Feuer unter Johanna: "Ich fürchte den Wind und um meine Finger." So zierlich können handfeste Bedenken klingen.
Ein gewisser Dr. Peitsche ist fast immer um Jungfrau 1. Auch er schreibt über Johanna. Vor allem aber faltet Peitsche Papiermützen für sämtliche Personen, die mit ihrem Schicksal zu tun haben, und beschriftet sie. " Ich will dich ertränken", steht auf der des Vaters, der Johanna zu Hause halten möchte. "Wir können auch anders" auf denen der Soldaten. "Ich muss" auf der des Bischof Cauchon, der Johanna auf Geheiß der Engländer zum Tode verurteilt.
Dem Mützenexperten misslingt nur eine Mütze: jene, die Johanna in ihren letzten Minuten aufgesetzt wird. Jungfrau 2 bleibt mützenlos und unbeschriftet – ein Rätsel für die Wissenschaft. Und eine Provokation, der die Akademiker Peitsche und Jungfrau 1 forschend nicht beikommen. Wie aber sonst? Mit Hohn über Johanna, diesen "Prahlhans, Aufschneider Gottes"? Das wäre allzu wohlfeil, weiß Jungfrau 1: "Johanna brennt, und ich sitze im Hörsaal."
Dann durchs Hineinschlüpfen in sie? Das bleibt Zitat und glückt Jungfrau 1 nur betrunken, doch Johanna ist immer nüchtern. Also womit? Mit der Angst vor der Herausforderung des Unbedingten, das Johanna verkörpert? "Wenn die Angst bei mir ist, habe ich keine Angst", weiß Jungfrau 1, der Felicitas Hoppe einen Satz des russischen Lyrikers Ossip Mandelstam untergeschoben hat. Dann also her mit der Angst: Sie ist der rote Faden durch dieses zwischen Zeiten und Räumen, Wundern und Wirklichkeiten, Himmel und Erde traumwandelnden Buch.
Von Aufbrüchen und Reisen erzählen alle Bücher von Felicitas Hoppe. In ihrer wunderbaren Erzählung "Paradiese, Übersee" (20001) ziehen ein Ritter und ein Zeitungsjournalist kreuz und quer durch die Welt und wissen nicht einmal, was sie eigentlich suchen; heim bringt sie ein "kleiner Baedeker", der fortwährend Sterne verteilt, einen für "sehenswert" und zwei "für alles, was man nie zu sehen bekommt, das ist der Stern der Verheißung".
"Pigafetta" (1999), Hoppes zweites, nach dem Reisegefährten Magellans benanntes Buch, ist eine träumerisch-absurde Szenenfolge über eine Weltumrundung auf einem Frachter; eine solche Fahrt hatte die 1960 geborene Schriftstellerin mit dem Preisgeld für ihr Debüt "Picknick der Friseure" (1996) tatsächlich unternommen. Und auch die Menschen in den fünf Erzählungen ihres letzten Buches "Verbrecher und Versager" (2005) entfernen sich vom Ort ihrer Untaten und ihres Versagens ins Fremde.
In "Johanna" scheitert Jungfrau 1 an der Promotion über Jungfrau 2, fährt mit einem Zug deren Leidensstationen ab, nimmt am Ende dort, wo in der Seine das nicht brennbare Herz der Jungfrau liegen soll, mit Dr. Peitsche ein erfrischendes Bad, und fasst einen mutigen Vorsatz: "Und morgen, falls es das Wetter erlaubt, werden wir uns duzen." "Johanna" erzählt von der Sehnsucht einer jungen Frau, ihr eigenes Leben zu leben – ohne Gewissheit und Auftrag und ohne den Glauben.
Von dieser existenziellen Herausforderung erzählt Felicitas Hoppe mit größtmöglicher Leichtigkeit. Sie wirft beständig Worte und Wendungen aus der Geschichte beider Jungfrauen in die raucherfüllte Luft: Eine Feier in Peitsches Wohnung ist zugleich ein Heerlager, das Grillfeuer unter den Würsten "ein kleines Feuer danach", nach dem Scheiterhaufen.
Aus 880 Soldaten werden 880 Konferenzen über Angst und ebenso viele verwirrte Stimmen, sinnlose Fragen, geflügelte Engel und sensationelle Fußballspiele. Dreizehn Anklagepunkte gegen Johanna gibt es, dreizehn Schnäpse und Jünger, dazu sieben Finger, Tugenden, Stufen, Könige sowie den siebenten Himmel.
Eine anarchische Kombinationslust bringt Überlieferung und Gegenwart im Schweben zur flüchtigen Übereinstimmung. "Johanna" ist ein poetisches Prosawunder und bestätigt einmal mehr Felicitas Hoppes Ruf als eine ganz und gar unvergleichliche Quartiersmacherin der Phantasie.
Felicitas Hoppe: Johanna.
Roman. S. Fischer Verlag. 174 S., 17,90 Euro