Ein politischer Mord im Grunewald

Ein Einzelgänger versucht im Buch durch die Ermordung eines Firmenaufkäufers den Lauf der Dinge aufzuhalten. Thomas Weiss schlägt dabei einen Bogen vom antifaschistischen Widerstand über die RAF bis in die Gegenwart des skrupellosen globalen Kapitals. Das Buch ist weder Roman noch Erzählung, sondern eine Materialsammlung.
Vor ein paar Jahren machte das Ende der Firma Grohe im Brandenburgischen Herzberg Schlagzeilen. Das Unternehmen war an amerikanische Finanz-Investoren verkauft und wenig später geschlossen worden. Die mehr als 400 Mitarbeiter verloren ihre Arbeitsplätze, die Stadt ihren wichtigsten Steuerzahler.

Der in Berlin lebende Schriftsteller Thomas Weiss hat dieses Lehrbeispiel des neuzeitlichen Kapitalismus zum Ausgangspunkt einer Recherche gemacht und untersucht, wie so etwas funktioniert. Aus dem realen Herzberg wird das fiktive Nierenberg, aus Grohe wird Grothe, und im Banker Feldmann ist Herr Ackermann von der Deutschen Bank unschwer zu erkennen. Weiss hat sich gefragt, warum die Betroffenen es sich eigentlich immer gefallen lassen, zur bloßen Verfügungsmasse zu werden. Was würde passieren, so sein Ausgangspunkt, "wenn die Arbeitnehmer von Allianz, Siemens oder Telekom, die trotz Milliardengewinnen entlassen werden, radikal würden und sich organisierten, womöglich im Untergrund. Da stünde uns ja eine Revolution ins Haus".

In "Tod eines Trüffelschweins" ist es aber nur ein Einzelgänger, der durch eine terroristische Mordtat versucht, den Lauf der Dinge aufzuhalten. Der Fahrer des Unternehmens, der den smarten Manager der texanischen Firmenaufkäufer zum Flughafen bringen soll, fährt mit ihm stattdessen in den Grunewald und richtet ihn mit zwei Kopfschüssen hin. Wenig später wird er festgenommen, ohne sich zu wehren oder zu leugnen. Er steht zu seiner Tat und ist von ihrer moralischen Berechtigung überzeugt.

Dieser Mann – und hier wird die Geschichte nun ziemlich konstruiert – ist ein ehemaliger Beamter der Elitetruppe GSG9. Er gehörte zu den Helden von Mogadischu, die 1977 die Passagiere eines von Terroristen entführten Flugzeuges befreiten. Er hat nun also die Seiten gewechselt. Seinen Terrorakt bezeichnet er als "Kommando Georg Elser", um mit der Erinnerung an den Hitlerattentäter die mögliche Legitimität einer Mordtat an einem Extrembeispiel zu beweisen. Thomas Weiss verknüpft damit mehrere historische Ebenen und schlägt einen Bogen vom antifaschistischen Widerstand über die RAF bis in die Gegenwart des skrupellosen globalen Kapitals.

Das Buch ist kein Roman und keine Erzählung, sondern eine Materialsammlung. Als Ich-Erzähler fungiert ein Journalist, der sich für diese Geschichte interessiert und ein Dossier in seiner Zeitung vorbereitet. Was man zu lesen bekommt, ist dessen journalistische Recherchemappe, die mit Ermittlungsakten, Telefonmitschnitten, Prozessunterlagen, Zeitungsartikeln, ja sogar einer Mitschrift des "Wortes zum Sonntag" gefüllt ist. Weiss mischt fiktives und wirkliches Material, um seine Erfindung – den politischen Mord im Grunewald – in die Realgeschichte einzuschmuggeln. Zeitgleich läuft in den Medien die Debatte um die Freilassung der RAF-Terroristen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Auch diese erregte Diskussion ist ins Textkonvolut eingearbeitet und macht "Tod eines Trüffelschweins" zu einem nahezu tagesaktuellen Buch. Weiss muss sehr schnell geschrieben haben. Wenn er sich ein wenig mehr Zeit genommen hätte, hätte das wohl nichts geschadet.

So spannend sein Gedankenexperiment auch ist, so unbefriedigend ist die literarische Umsetzung. "Tod eines Trüffelschweins" wirkt so, als handle es sich bloß um die Vorarbeit zu einem Roman, der erst noch geschrieben werden muss. "FAZ"-Artikel und Pastorenworte sind nun mal keine besonders prickelnde Literatur. Der Verzicht auf Psychologie, auf Figurenzeichnung und auf ein lebendig werdendes gesellschaftliches Terrain fällt vor allem beim Täter ins Gewicht. Sein Wandel vom GSG9-Mann zum Terroristen bleibt ohne jede Plausibilität. Die eigentlich spannenden Fragen und die widersprüchlichen moralischen Implikationen der Tat lassen sich mit den Mitteln einer dokumentarischen Collage nicht erörtern.

Dieses Verfahren hat zuletzt Andrea Schenkels historischen Kriminalroman "Tannöd" auf die Bestsellerliste katapultiert. Für Thomas Weiss mag das ein Ansporn gewesen sein. Doch bei ihm zeigen sich deutlich die Grenzen eines rein dokumentarischen Schreibens, das zum Erzählen noch gar nicht vorgedrungen ist. Der Autor versteckt sich hinter dem Material und erspart es sich so, Position beziehen zu müssen. Damit macht er es sich entschieden zu einfach. Ulrich Peltzer hat mit dem Roman "Teil einer Lösung" gerade auf ungleich überzeugendere Weise vorgeführt, wie sich das Thema der politischen Gewalt literarisch – und das heißt: erzählerisch – bearbeiten lässt.

Rezensiert von Jörg Magenau

Thomas Weiss: Tod eines Trüffelschweins.
Steidl Verlag, Göttingen 2007, 130 Seiten, 14,- Euro