Ein politischer Überlebenskünstler
Als Priester wechselte er 1789 vom Klerus in den Dritten Stand und setzte sich für die Sache der Revolutionäre ein. Später war er Außenminister Napoleons. Beim Wiener Kongress 1815, als Europa sich neu ordnete - auch da war Talleyrand dabei. Sein Biograf zeichnet das Leben des Charles Maurice de Talleyrand nicht ohne Bewunderung nach.
Um 1800 gerät Frankreich aus den Fugen. Throne stürzen, und Schreckensmänner betreten die Bühne, Revolutionen fressen ihre Kinder, alles gerät in Bewegung. Nur ein Mann scheint dem Gesetz des Umsturzes zu trotzen und wie ein Kronkorken auf dem stürmischen Meer stets obenauf zu schwimmen: Talleyrand.
Von der Revolutionszeit über Napoleons Aufstieg bis zur Restauration der Bourbonen bekleidete Talleyrand führende Staatsämter. Sein Name ist in die politische Geschichte eingegangen als Programm für gehobenes politisches Maskenspiel und schrankenlosen Opportunismus. Johannes Willms – ein versierter historischer Erzähler und intimer Kenner jener bewegten Jahre, dem wir Biographien von Napoleon und Stendhal verdanken – hat nun dem berüchtigten Denker und Staatsmann ein feines, luzides Porträt gewidmet, das sich mit charakterologischen Schnellschüssen zurückhält.
Talleyrands Leben (1754-1838) umschließt in der Mitte genau jene knapp drei Jahrzehnte sich überstürzender Ereignisse zwischen 1789 und dem Wiener Kongress 1815, die in der Neuzeit an Dramatik ihresgleichen suchen. Der Geschichtstheoretiker Reinhart Koselleck hat jene Umbruchsjahre, in denen die Moderne sich aus der ständischen Welt herauskatapultierte und sich der Begriffs- und Gefühlshaushalt völlig umstülpte, die "Sattelzeit" genannt. Johannes Willms schreibt nun kein Sittengemälde jener Jahre, sondern beschränkt sich in seinem Porträt politisch klug auf Talleyrand.
Er zeigt, wie dieser von Stand und Habitus her ganz dem Ancien Regime verhaftete Geist sein Denken nach 1789 schrittweise revolutionierte und sich die konstitutionellen neuen Begriffe der Zeit anverwandelte: der politische Name Talleyrand als Kollektivsingular seiner Epoche.
Auch wenn Willms Talleyrand den selbstverliebten Ton der Memoiren nicht durchgehen lässt und dessen politische Erfolge als Außenminister verschiedener Regime relativiert –Talleyrands Leben verliert doch nie ganz den Zauber des Unwahrscheinlichen. Wie war es möglich, dass Talleyrand in einer so rachsüchtigen Zeit immer wieder auf die politische Bühne zurückkehrte, obwohl er die Gunst der mächtigsten Männer seiner Zeit verspielte, vom revolutionären Direktorium bis zu Napoleon, dem er sich zuerst innig verbunden fühlte? Mehr als ein "Virtuose der Macht" – so der Titel des Buches – war Talleyrand offenkundig ein Meister des Überlebens.
Goethe nannte Talleyrand den ersten "Diplomaten des Jahrhunderts". Diplomatisch wusste Talleyrand auch in eigener Sache, wann es galt, den Absprung zu wagen – ob vor dem Bürgerkrieg der Jakobiner ins Exil nach England und später Amerika, oder vor Napoleon in die Arme der Restauration. Talleyrands große politische Stunde war der Wiener Kongress, auf dem er mit Esprit und Intellekt für Frankreichs Interessen zu überzeugen wusste.
Unzeitgemäß war Talleyrand schon zu seiner Zeit: eine gepuderte Figur des Ancien Regimes. Und wie fern ist uns jene Zeit erst heute, in der Gipfeltreffen der Staatenlenker noch gehobene politische Salongespräche waren – und nicht nur Zahlen regierten. Was ein Einzelner mit politischer Klugheit und diplomatischem Geschick vermochte, blitzt in Willms’ Buch immer wieder auf. Mit ein wenig Wehmut beschließt man die Lektüre. Nichts scheint in unserer fundamentaldemokratisierten Welt von Internet und WikiLeaks ein so alter Hut zu sein wie Diplomatie und die alte Schule der Staatskunst.
Besprochen von Stephan Schlak
Johannes Willms: Talleyrand - Virtuose der Macht 1754-1838
C.H. Beck Verlag, München 2011
384 Seiten. 26,95 Euro
Von der Revolutionszeit über Napoleons Aufstieg bis zur Restauration der Bourbonen bekleidete Talleyrand führende Staatsämter. Sein Name ist in die politische Geschichte eingegangen als Programm für gehobenes politisches Maskenspiel und schrankenlosen Opportunismus. Johannes Willms – ein versierter historischer Erzähler und intimer Kenner jener bewegten Jahre, dem wir Biographien von Napoleon und Stendhal verdanken – hat nun dem berüchtigten Denker und Staatsmann ein feines, luzides Porträt gewidmet, das sich mit charakterologischen Schnellschüssen zurückhält.
Talleyrands Leben (1754-1838) umschließt in der Mitte genau jene knapp drei Jahrzehnte sich überstürzender Ereignisse zwischen 1789 und dem Wiener Kongress 1815, die in der Neuzeit an Dramatik ihresgleichen suchen. Der Geschichtstheoretiker Reinhart Koselleck hat jene Umbruchsjahre, in denen die Moderne sich aus der ständischen Welt herauskatapultierte und sich der Begriffs- und Gefühlshaushalt völlig umstülpte, die "Sattelzeit" genannt. Johannes Willms schreibt nun kein Sittengemälde jener Jahre, sondern beschränkt sich in seinem Porträt politisch klug auf Talleyrand.
Er zeigt, wie dieser von Stand und Habitus her ganz dem Ancien Regime verhaftete Geist sein Denken nach 1789 schrittweise revolutionierte und sich die konstitutionellen neuen Begriffe der Zeit anverwandelte: der politische Name Talleyrand als Kollektivsingular seiner Epoche.
Auch wenn Willms Talleyrand den selbstverliebten Ton der Memoiren nicht durchgehen lässt und dessen politische Erfolge als Außenminister verschiedener Regime relativiert –Talleyrands Leben verliert doch nie ganz den Zauber des Unwahrscheinlichen. Wie war es möglich, dass Talleyrand in einer so rachsüchtigen Zeit immer wieder auf die politische Bühne zurückkehrte, obwohl er die Gunst der mächtigsten Männer seiner Zeit verspielte, vom revolutionären Direktorium bis zu Napoleon, dem er sich zuerst innig verbunden fühlte? Mehr als ein "Virtuose der Macht" – so der Titel des Buches – war Talleyrand offenkundig ein Meister des Überlebens.
Goethe nannte Talleyrand den ersten "Diplomaten des Jahrhunderts". Diplomatisch wusste Talleyrand auch in eigener Sache, wann es galt, den Absprung zu wagen – ob vor dem Bürgerkrieg der Jakobiner ins Exil nach England und später Amerika, oder vor Napoleon in die Arme der Restauration. Talleyrands große politische Stunde war der Wiener Kongress, auf dem er mit Esprit und Intellekt für Frankreichs Interessen zu überzeugen wusste.
Unzeitgemäß war Talleyrand schon zu seiner Zeit: eine gepuderte Figur des Ancien Regimes. Und wie fern ist uns jene Zeit erst heute, in der Gipfeltreffen der Staatenlenker noch gehobene politische Salongespräche waren – und nicht nur Zahlen regierten. Was ein Einzelner mit politischer Klugheit und diplomatischem Geschick vermochte, blitzt in Willms’ Buch immer wieder auf. Mit ein wenig Wehmut beschließt man die Lektüre. Nichts scheint in unserer fundamentaldemokratisierten Welt von Internet und WikiLeaks ein so alter Hut zu sein wie Diplomatie und die alte Schule der Staatskunst.
Besprochen von Stephan Schlak
Johannes Willms: Talleyrand - Virtuose der Macht 1754-1838
C.H. Beck Verlag, München 2011
384 Seiten. 26,95 Euro