Ein Popstar der Zukunft
Dies ist eine etwas andere Familiensaga. Der 1977 geborene Autor Thomas von Steinaecker hat seinen Roman in die Zukunft verlagert. Im Mittelpunkt steht Costin Wallner, der schon früh danach giert, bei Fernsehcastings entdeckt zu werden. Erfolgreich ist er letztlich als Musikproduzent und stirbt als Medienwrack an den Folgen eines Schlaganfalls.
Dies ist eine etwas andere Familiensaga. Alles beginnt mit dem Tod Günter Wallners: er stirbt 82-jährig bei einem ICE-Unfall zwischen Essen und Köln. Stefan, sein Sohn, hat ihn schon etliche Jahre nicht mehr gesehen. Er ist Geschäftsführer einer Firma, die global Landmaschinen vertickt, und ihm gehört das erste von den drei Großkapiteln des Romans – wie die Firma expandiert, wie Stefan ausgebootet wird und sich anschließend in Nigeria zu verwirklichen versucht.
Die zentrale Figur ist unverkennbar Costin Wallner, der Sohn Stefans. Ihm gilt das lange, zweite Kapitel und im Grunde auch das dritte und letzte, in dem Wendy, seine Tochter, dem Leben Costins nachhorcht. Costin ist ein Popstar. Er bringt das auf den Punkt, was als Lebensgefühl in der Luft zu liegen scheint, etwas zwischen Boygroup und Fernsehprominenz, ein Dieter Bohlen der nahen Zukunft. Schon früh giert Costin danach, bei einem der diversen Castings von TV-Stationen entdeckt zu werden. Als er es schafft, wird er auch nach dem erwartbaren Flop der zweiten CD als Pop-Promi in den Talkshows und Prime-Time-Formaten weiter gebucht. Costin gelingt es schließlich, als Musikproduzent eine relativ große Nummer zu werden und recht früh als Medienwrack an den Folgen eines Schlaganfalls zu sterben.
Wenn zum Schluss Wendy spricht, erhellt sich die Konstruktion des Romans. Sie ist eine Tochter, von der Costin lange gar nichts weiß. Irgendeines dieser Groupies, die sich dutzendweise auf erfinderischen Wegen Backstage durchschlagen, muss er einmal geschwängert haben, fast achtzehn Jahre später trifft ihn der Vaterschaftstest einigermaßen unerwartet.
Wendy hat mit ihrem Vater nichts zu tun, er ist ihr fremd, nur zögernd entwickelt sich eine fragile Beziehung, die mit dem Tod Costins schnell beendet wird. Wendy hat die nötige Distanz, das Romangeschehen noch einmal Revue passieren zu lassen, und es wird deutlich: es handelt sich um eine Art Science-Fiction. Das Buch beginnt, mit dem Tod von Wendys Urgroßvater Günter, in unserer Gegenwart. Und Costin stirbt im Jahr 2056.
Der Autor, der 1977 geborene Thomas von Steinaecker, hat einen Familienroman geschrieben, der nicht verschiedene Etappen der Vergangenheit aufrollt, sondern dieselben in die Zukunft verlagert. Die Gegenwart ist zwar nach wie vor der Fixpunkt, aber nichts läuft mehr schicksalhaft auf sie zu, sondern es läuft alles von ihr weg. Diese Form-Idee ist durchaus frappierend. Wendy arbeitet am Ende des 21. Jahrhunderts über die Frage: "Was für einen Effekt hat die Verdrängung der Schrift- durch die Bildmedien auf die Geschichtsschreibung?"
Die Form dieses Romans wird durch ein Erkenntnisguckloch, das den Ausblick auf ein paar Jahrzehnte später eröffnet, scheinbar beglaubigt. Denn erzählt wird in kleinen, sich abwechselnden Bildern, Film-Stills. Je länger der Roman wird, desto besser wird er, der Ballast seiner Konstruktion stört nur am Anfang.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Thomas von Steinaecker: Wallner beginnt zu fliegen. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main.
366 Seiten, 19,80 €.
Die zentrale Figur ist unverkennbar Costin Wallner, der Sohn Stefans. Ihm gilt das lange, zweite Kapitel und im Grunde auch das dritte und letzte, in dem Wendy, seine Tochter, dem Leben Costins nachhorcht. Costin ist ein Popstar. Er bringt das auf den Punkt, was als Lebensgefühl in der Luft zu liegen scheint, etwas zwischen Boygroup und Fernsehprominenz, ein Dieter Bohlen der nahen Zukunft. Schon früh giert Costin danach, bei einem der diversen Castings von TV-Stationen entdeckt zu werden. Als er es schafft, wird er auch nach dem erwartbaren Flop der zweiten CD als Pop-Promi in den Talkshows und Prime-Time-Formaten weiter gebucht. Costin gelingt es schließlich, als Musikproduzent eine relativ große Nummer zu werden und recht früh als Medienwrack an den Folgen eines Schlaganfalls zu sterben.
Wenn zum Schluss Wendy spricht, erhellt sich die Konstruktion des Romans. Sie ist eine Tochter, von der Costin lange gar nichts weiß. Irgendeines dieser Groupies, die sich dutzendweise auf erfinderischen Wegen Backstage durchschlagen, muss er einmal geschwängert haben, fast achtzehn Jahre später trifft ihn der Vaterschaftstest einigermaßen unerwartet.
Wendy hat mit ihrem Vater nichts zu tun, er ist ihr fremd, nur zögernd entwickelt sich eine fragile Beziehung, die mit dem Tod Costins schnell beendet wird. Wendy hat die nötige Distanz, das Romangeschehen noch einmal Revue passieren zu lassen, und es wird deutlich: es handelt sich um eine Art Science-Fiction. Das Buch beginnt, mit dem Tod von Wendys Urgroßvater Günter, in unserer Gegenwart. Und Costin stirbt im Jahr 2056.
Der Autor, der 1977 geborene Thomas von Steinaecker, hat einen Familienroman geschrieben, der nicht verschiedene Etappen der Vergangenheit aufrollt, sondern dieselben in die Zukunft verlagert. Die Gegenwart ist zwar nach wie vor der Fixpunkt, aber nichts läuft mehr schicksalhaft auf sie zu, sondern es läuft alles von ihr weg. Diese Form-Idee ist durchaus frappierend. Wendy arbeitet am Ende des 21. Jahrhunderts über die Frage: "Was für einen Effekt hat die Verdrängung der Schrift- durch die Bildmedien auf die Geschichtsschreibung?"
Die Form dieses Romans wird durch ein Erkenntnisguckloch, das den Ausblick auf ein paar Jahrzehnte später eröffnet, scheinbar beglaubigt. Denn erzählt wird in kleinen, sich abwechselnden Bildern, Film-Stills. Je länger der Roman wird, desto besser wird er, der Ballast seiner Konstruktion stört nur am Anfang.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Thomas von Steinaecker: Wallner beginnt zu fliegen. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main.
366 Seiten, 19,80 €.