"Ein Präsident, der sich auf sehr dünnem Eis bewegt"
Im Mediengespräch geht Ulrich Schulte, Leiter des Parlamentsbüros der Tageszeitung "taz", der Frage nach, ob Christian Wulffs Erklärung ausreichend war. Wulff habe "eine zweite Chance verdient", da die Erklärung weitgehend gewesen sei, so Schulte.
André Hatting: Kein Rücktritt, nicht einmal eine große Entschuldigung, nur ein kleines Bedauern und ein geschasster langer Weggefährte. Das erste öffentliche Statement des Bundespräsidenten seit der Diskussion um, sagen wir mal, seine Kreditwürdigkeit hat nicht viel Neues gebracht. Selbst die Bundeskanzlerin äußerte sich gestern eher schmallippig. "Die Worte des Bundespräsidenten stehen für sich. Ihnen ist nichts hinzuzufügen", so der Kommentar Angela Merkels.
Sie muss auch nichts hinzufügen, das erledigt die Opposition und die Presse, die natürlich heute noch mal nachfragt - zum Beispiel die Tageszeitung "taz" aus Berlin. Am Telefon ist jetzt der Leiter des Parlamentsbüros der "taz", Ulrich Schulte. Guten Morgen!
Ulrich Schulte: Guten Morgen!
Hatting: Ich hatte ja eigentlich gedacht, Mensch, "taz" und Bundespräsident, und dann diese Erklärung, da kommt heute mal wieder einer dieser berühmten schrägen Zugänge bei ihnen. Aber Fehlanzeige!
Schulte: Ja, da haben Sie recht. Die berühmte Kreativität der taz ist gestern am Nachmittag auf der Strecke geblieben - leider, muss ich sagen. Uns wäre bestimmt was eingefallen. Allerdings lag der Zeitpunkt der Erklärung des Bundespräsidenten für uns schlicht zu spät. Wir hatten einfach nicht mehr die Zeit, groß zu überlegen. Sie wissen ja, das lief am Nachmittag dann über die Ticker ab halb drei, dass Herr Wulff sich erklären würde.
Die Erklärung kam dann wirklich erst um halb vier und unser Redaktionsschluss liegt dann schon eine Stunde später. Wir waren dann genug damit beschäftigt, herumzutelefonieren, herauszufinden, was hinter dem Rückzug des Sprechers steckt, die Erklärung dann hinterher auch zu bewerten und schließlich noch zu kommentieren. Deshalb gebe ich zu: Die berühmte "taz"-Kreativität, die reichte dann wirklich nur für nachrichtliche Zugänge. Immerhin haben wir drübergeschrieben "Wulff bleibt Wulff", und das ist doch ein bisschen was.
Hatting: Stimmt, das ist auf Seite zwei. Auf Seite eins - Sie haben es gerade schon indirekt erwähnt - die Kommentierung. Die stammt von Ihnen, Herr Schulte.
Schulte: Richtig.
Hatting: Und da habe ich mich ein bisschen gefragt: Sind Sie schon sehr weihnachtlich gestimmt? Denn es menschelt sehr. Wenn man das mit anderen Kommentaren heute vergleicht, hätte ich gedacht, gerade die "taz", die gibt da noch mal einen mit. Aber bei Ihnen heißt es, er habe eine Chance verdient, er ist einer von uns. Das hat mich ein bisschen überrascht.
Schulte: Ja ich sage aber auch deutlich, er hat seine moralische Integrität und die seines Amtes schwer beschädigt in den vergangenen Tagen. Das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Punkt. Er wird jetzt erst mal Präsident bleiben, aber er ist ein Präsident, der sich auf sehr dünnem Eis bewegt und dem, das glaube ich, viele Menschen nicht mehr glauben werden, wenn er zum Beispiel über moralische Integrität, über Finanzkrise, über Schulden spricht. Da gibt es ja genug Gelegenheiten, in den nächsten Monaten sich zu äußern. Da werden ihm viele nicht mehr glauben, und das ist jetzt erst mal seine Bilanz.
Ich habe für mich persönlich gestern dann eine Rechnung aufgemacht. Ich habe mir angeschaut, was wirklich faktisch auf dem Tisch liegt. Da gibt es diesen Kredit, eine sehr unglückliche Verquickung, es gibt den Vorwurf der Täuschung im Parlament, es gibt die besagten Urlaube. Und bei all diesen Punkten ist für mich formal noch nicht endgültig bewiesen, dass Herr Wulff da wirklich in Bezug auf sein Amt Vorteile gewährt hat. Das, finde ich, ist ein ganz zentraler Punkt: Die Frage hat Herr Geerkens, der mit seiner Frau zusammen diesen Kredit gewährt hat, denn dann auch wirklich Gegenleistungen bekommen, die relevant waren, oder haben die Unternehmer, bei denen er umsonst geurlaubt hat, Gegenleistungen bekommen.
Da sind für mich noch sehr viele Fragen offen und deswegen habe ich unterm Strich dann gesagt, er hat eine zweite Chance verdient, zumal ich die Erklärung schon sehr weitgehend fand. Er hat den Satz gesagt, das tut mir leid. Das ist was, was man selten hört in der Politik. Deswegen kam ich gestern zu der, wenn Sie es so nennen wollen, vorweihnachtlichen Milde.
Hatting: Auf Seite zwei dann die großen Hintergrundberichte in der "taz". Es war ja auffällig, dass Christian Wulff zwar gestern noch mal bestätigt hat, dass er seinen Sprecher und langjährigen engsten Vertrauten gefeuert hat, er hat es nur nicht begründet. Sind Sie da weiter gekommen in der Analyse?
Schulte: Olaf Glaeseker ist der Pressesprecher, um den es geht. Das ist ein langjähriger Vertrauter von ihm, die arbeiten seit zwölf Jahren zusammen. Das fing an in der Opposition im niedersächsischen Landtag. Der Weisheit letzter Schluss ist uns nicht gelungen gestern Abend in der Recherche. Ich kann entsprechend nur Vermutungen anstellen. Der Präsident hat gestern gesagt, dass er Herrn Glaeseker hat gehen lassen. Es kursiert außerdem das Gerücht, dass Glaeseker selbst zurückgezogen hat. Ich glaube, dass in der Tat die sehr unglückselige Verteidigungsstrategie des Präsidenten, also dieses häppchenweise, das für mich eine sehr provinzielle Anmutung hatte - auf mich wirkte das teilweise so, als würde sich da wirklich noch ein Landespolitiker verteidigen gegen Klüngelvorwürfe, man gibt immer nur das zu, was sowieso schon längst bewiesen ist und in der Zeitung steht -, ich glaube, dass das mit Glaeseker zu tun hat.
Ich habe da keinen letzten Beweis, aber Glaeseker war sozusagen derjenige, der für den Präsidenten gesprochen hat. Die beiden waren unheimlich eng, die haben sich geduzt, er war sozusagen der Berater, dem Wulff am stärksten vertraut hat. Entsprechend hat diese Verteidigungsstrategie mit Glaeseker zu tun und meine Vermutung ist, dass die sehr komplett gescheitert ist in den letzten Tagen und dass man deswegen versucht, jetzt einen Neustart zu machen.
Hatting: Ulrich Schulte war das. Er leitet das Parlamentsbüro der Tageszeitung "taz". Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schulte.
Schulte: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sie muss auch nichts hinzufügen, das erledigt die Opposition und die Presse, die natürlich heute noch mal nachfragt - zum Beispiel die Tageszeitung "taz" aus Berlin. Am Telefon ist jetzt der Leiter des Parlamentsbüros der "taz", Ulrich Schulte. Guten Morgen!
Ulrich Schulte: Guten Morgen!
Hatting: Ich hatte ja eigentlich gedacht, Mensch, "taz" und Bundespräsident, und dann diese Erklärung, da kommt heute mal wieder einer dieser berühmten schrägen Zugänge bei ihnen. Aber Fehlanzeige!
Schulte: Ja, da haben Sie recht. Die berühmte Kreativität der taz ist gestern am Nachmittag auf der Strecke geblieben - leider, muss ich sagen. Uns wäre bestimmt was eingefallen. Allerdings lag der Zeitpunkt der Erklärung des Bundespräsidenten für uns schlicht zu spät. Wir hatten einfach nicht mehr die Zeit, groß zu überlegen. Sie wissen ja, das lief am Nachmittag dann über die Ticker ab halb drei, dass Herr Wulff sich erklären würde.
Die Erklärung kam dann wirklich erst um halb vier und unser Redaktionsschluss liegt dann schon eine Stunde später. Wir waren dann genug damit beschäftigt, herumzutelefonieren, herauszufinden, was hinter dem Rückzug des Sprechers steckt, die Erklärung dann hinterher auch zu bewerten und schließlich noch zu kommentieren. Deshalb gebe ich zu: Die berühmte "taz"-Kreativität, die reichte dann wirklich nur für nachrichtliche Zugänge. Immerhin haben wir drübergeschrieben "Wulff bleibt Wulff", und das ist doch ein bisschen was.
Hatting: Stimmt, das ist auf Seite zwei. Auf Seite eins - Sie haben es gerade schon indirekt erwähnt - die Kommentierung. Die stammt von Ihnen, Herr Schulte.
Schulte: Richtig.
Hatting: Und da habe ich mich ein bisschen gefragt: Sind Sie schon sehr weihnachtlich gestimmt? Denn es menschelt sehr. Wenn man das mit anderen Kommentaren heute vergleicht, hätte ich gedacht, gerade die "taz", die gibt da noch mal einen mit. Aber bei Ihnen heißt es, er habe eine Chance verdient, er ist einer von uns. Das hat mich ein bisschen überrascht.
Schulte: Ja ich sage aber auch deutlich, er hat seine moralische Integrität und die seines Amtes schwer beschädigt in den vergangenen Tagen. Das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Punkt. Er wird jetzt erst mal Präsident bleiben, aber er ist ein Präsident, der sich auf sehr dünnem Eis bewegt und dem, das glaube ich, viele Menschen nicht mehr glauben werden, wenn er zum Beispiel über moralische Integrität, über Finanzkrise, über Schulden spricht. Da gibt es ja genug Gelegenheiten, in den nächsten Monaten sich zu äußern. Da werden ihm viele nicht mehr glauben, und das ist jetzt erst mal seine Bilanz.
Ich habe für mich persönlich gestern dann eine Rechnung aufgemacht. Ich habe mir angeschaut, was wirklich faktisch auf dem Tisch liegt. Da gibt es diesen Kredit, eine sehr unglückliche Verquickung, es gibt den Vorwurf der Täuschung im Parlament, es gibt die besagten Urlaube. Und bei all diesen Punkten ist für mich formal noch nicht endgültig bewiesen, dass Herr Wulff da wirklich in Bezug auf sein Amt Vorteile gewährt hat. Das, finde ich, ist ein ganz zentraler Punkt: Die Frage hat Herr Geerkens, der mit seiner Frau zusammen diesen Kredit gewährt hat, denn dann auch wirklich Gegenleistungen bekommen, die relevant waren, oder haben die Unternehmer, bei denen er umsonst geurlaubt hat, Gegenleistungen bekommen.
Da sind für mich noch sehr viele Fragen offen und deswegen habe ich unterm Strich dann gesagt, er hat eine zweite Chance verdient, zumal ich die Erklärung schon sehr weitgehend fand. Er hat den Satz gesagt, das tut mir leid. Das ist was, was man selten hört in der Politik. Deswegen kam ich gestern zu der, wenn Sie es so nennen wollen, vorweihnachtlichen Milde.
Hatting: Auf Seite zwei dann die großen Hintergrundberichte in der "taz". Es war ja auffällig, dass Christian Wulff zwar gestern noch mal bestätigt hat, dass er seinen Sprecher und langjährigen engsten Vertrauten gefeuert hat, er hat es nur nicht begründet. Sind Sie da weiter gekommen in der Analyse?
Schulte: Olaf Glaeseker ist der Pressesprecher, um den es geht. Das ist ein langjähriger Vertrauter von ihm, die arbeiten seit zwölf Jahren zusammen. Das fing an in der Opposition im niedersächsischen Landtag. Der Weisheit letzter Schluss ist uns nicht gelungen gestern Abend in der Recherche. Ich kann entsprechend nur Vermutungen anstellen. Der Präsident hat gestern gesagt, dass er Herrn Glaeseker hat gehen lassen. Es kursiert außerdem das Gerücht, dass Glaeseker selbst zurückgezogen hat. Ich glaube, dass in der Tat die sehr unglückselige Verteidigungsstrategie des Präsidenten, also dieses häppchenweise, das für mich eine sehr provinzielle Anmutung hatte - auf mich wirkte das teilweise so, als würde sich da wirklich noch ein Landespolitiker verteidigen gegen Klüngelvorwürfe, man gibt immer nur das zu, was sowieso schon längst bewiesen ist und in der Zeitung steht -, ich glaube, dass das mit Glaeseker zu tun hat.
Ich habe da keinen letzten Beweis, aber Glaeseker war sozusagen derjenige, der für den Präsidenten gesprochen hat. Die beiden waren unheimlich eng, die haben sich geduzt, er war sozusagen der Berater, dem Wulff am stärksten vertraut hat. Entsprechend hat diese Verteidigungsstrategie mit Glaeseker zu tun und meine Vermutung ist, dass die sehr komplett gescheitert ist in den letzten Tagen und dass man deswegen versucht, jetzt einen Neustart zu machen.
Hatting: Ulrich Schulte war das. Er leitet das Parlamentsbüro der Tageszeitung "taz". Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schulte.
Schulte: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.