Ein radikaler Neuerer der Bildhauerei
Auguste Rodin gilt als der bedeutendste europäische Bildhauer des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als Begründer der modernen Plastik. Zum ersten Mal sind nun Arbeiten Rodins in Hamburg zu sehen. Die Ausstellung im Bucerius-Kunst-Forum entstand in Zusammenarbeit mit dem Pariser Musée Rodin und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und erinnert an die großen Ausstellungen, die der Bildhauer um 1900 in Dresden, Leipzig und Düsseldorf hatte.
Betritt man das Bucerius Kunst Forum wähnt man sich in einem Atelier: Gruppenweise stehen da Arbeiten zu jeweils einem Thema beieinander: große gipserne Figuren und kleine Modelle, Fragmente wie Köpfe, Arme und verschiedene Handhaltungen, dazwischen Bronze- und Marmorskulpturen. Alles scheint Suchen und Werden - und das erstaunliche daran: Rodin selbst war es, der diese moderne Art der Inszenierung entwickelte.
"Die Idee ist, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie Rodin um 1900 selbst ausgestellt hat. Er hat versucht, den Formfindungsprozess, den künstlerischen Schöpfungsprozess dem Besucher nahe zu bringen. Daher sind auch hier vornehmlich Gipse ausgestellt, Fragmente, Studien. Und insofern: wenn man Rodin wirklich in vollem Umfang verstehen will, dann reicht es nicht, wenn man sich die einzelnen Objekte anschaut, man muss praktisch die Ausstellung, die er damals gemacht hat, als begehbares Kunstwerk begreifen.
Rodin bereitet damit dem Mythos vom Künstlergenie endgültig ein Ende: Er zeigt den Arbeitsprozess, die mühsame Suche nach einer Form, einem bestimmten Ausdruck, einer Geste. Und seine Art der Präsentation macht klar: Große und kleinen Gipse sind nicht nur Vorarbeiten - es sind vollwertige Kunstwerke."
Auguste Rodin, 1840 in Paris geboren und 1917 in Meudon gestorben, gilt als radikaler Neuerer der Bildhauerei des späten 19. Jahrhunderts: Während seine Zeitgenossen mit Vorliebe in pathetischer Manier große historische Helden und Ereignisse illustrieren, blickt Rodin auf die Gegenwart und den wirklichen Menschen. Mit 23 Jahren konfrontiert er seine Kollegen mit dem "Mann mit gebrochener Nase", für den er einen Bettler als Modell nahm.
"Er hat ihn unter anderem deswegen ausgesucht, weil er eine gebrochene Nase hat. Und wenn man eine gebrochene Nase hat, dann ist das Gesicht auch schon schief. Und in dem akademischen Formenkanon war es eigentlich üblich: das Gesicht ist immer symmetrisch. Das ist noch von Le Brun überliefert, da gibt es nicht Musterbücher, wie ein Gesicht auszusehen hat, mit Koordinatensystem usw., aber das entspricht ja nun nicht der Naturwirklichkeit. Und er nutzt eben diese Deformation, um eine Ausdruckssteigerung schon von vornherein in die Skulptur hineinzuholen."
Ein schiefes, verlebtes Gesicht, aufgeworfen, schrundig, aber voll Würde - so macht Rodin den gesellschaftlichen Außenseiter kunstwürdig.
Etwas weiter steht "Das eherne Zeitalter", ein junger männlicher Akt mit derart lebendig wirkenden Muskeln, dass Rodins Zeitgenossen schockiert waren - der künstlerische Einzelgänger empörte und polarisierte zeitlebens.
"Er hat die Petite Ecole besuchen können und hat den Sprung zur Ecole Beaux Art nicht geschafft. Er ist drei Mal abgelehnt worden. Und diese Niederlage hat sich eigentlich durch sein ganzes Leben fortgesetzt. Also der 'Mann mit der gebrochenen Nase', 'Das eherne Zeitalter' bis hin zum Balzac wurde bespöttelt oder auch verletzender Kritik ausgesetzt. Und Rodin ist eben der Fels in der Brandung wenn man so will, weil er dem Stand gehalten hat und immer weiter gemacht hat."
Dabei wird er immer wagemutiger. Zahlreiche Gips- und Bronzearbeiten zum Balzac-Denkmal sind zu sehen: Balzac als Athlet, als dicker nackter Mann, in einer Mönchskutte - bis Rodin die "Allegorie des Geistes" entwickelt: Bei in einen weiten Morgenmantel gehüllten Figur konzentriert sich alles auf den Kopf:
"Der eigentlich mehr wie ein Gebirgsmassiv auf dem Mantel thront, wo wirklich das Geistige nach außen geholt ist, die Augen, die wirklich wie ins Gehirn hineindringen. Man hat das Gefühl, das hat ein zeitgenössischer Kritiker gesagt, man hätte das Gefühl, man hätte ihm das Gehirn aus dem Schädel genommen und auf das Gesicht geklebt. Das war ironisch gemeint, aber es trifft sehr viel."
Während seine Zeitgenossen meist statische Figuren mit heiler, glatter Oberfläche entwerfen, orientiert sich Rodin an seinem Vorbild Michelangelo und entwickelt ihn weiter: Mit weiten Gesten sprengen seine Figuren den Raum, ihre Oberflächen sind aufgeworfen und unruhig wie das Leben selbst, als wolle Rodin ihr Innerstes nach außen kehren, und oft wirken sie ebenso verletzlich und einsam wie lebendig und kraftvoll. Erst um 1900, Rodin ist 60, hat der künstlerische Einzelgänger mit seiner Arbeit Erfolg und kann gut von ihr leben.
Höhepunkt der Ausstellung ist die Werkgruppe mit Arbeiten zum "Höllentor" von Dante. Ein kleines Gipsmodell zeigt zahlreiche Körper, die sich umschlingen, umklammern, stürzen, fallen. Aus diesem Modell löst Rodin einzelne Teile heraus und vergrößert sie, macht sie so zu eigenen Kunstwerken: Da sieht man qualvoll verzerrte und verstörte Gesichter, die später auch als Bronzen gegossen werden, ein Mann kriecht auf allen vieren, und im Zentrum steht ein großer gipserner Torso. Hatte er im Modell noch einen Körper umklammert, greift der Arm nun wie entsetzt ins Leere.
"Er bricht die Figur auseinander. Das ist eine vielfigurige Gruppe und wir sehen in der Mitte ein Einzelteil, also ein Detail, eine Nebensache, die in dem Moment, wo er es auseinander nimmt, zur Hauptsache wird. Und dann hat es eben mit der Erzählung Dante nichts mehr zu tun. Er ist dann eben nicht mehr nur an Inhalten interessiert, sondern vor allem an der Form."
Und noch einmal zeigt diese ungewöhnliche und erhellende Ausstellung - in der Zeichnungen und historische Fotos aus dem Atelier des Künstlers den Blick auf seine Arbeitsweise abrunden - wie Rodin die Bildhauerei revolutionierte: Standen Skulpturen bis um 1900 brav auf einem Sockel ignoriert Rodin diese Vorgabe. Den zentralen Torso des stürzend ins Leere Greifenden aus dem Höllentor montiert er auf zwei Eisenträger: Der Körper scheint nun zu schweben, womit Rodin jegliche bis dahin geltende Tradition ebenso hinweggefegt hat wie sämtliche Vorstellungen von Schwerkraft.
Service: Die Ausstellung "Vor hundert Jahren. Rodin in Deutschland" ist vom 18. Februar bis zum 25. Mai im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen.
"Die Idee ist, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie Rodin um 1900 selbst ausgestellt hat. Er hat versucht, den Formfindungsprozess, den künstlerischen Schöpfungsprozess dem Besucher nahe zu bringen. Daher sind auch hier vornehmlich Gipse ausgestellt, Fragmente, Studien. Und insofern: wenn man Rodin wirklich in vollem Umfang verstehen will, dann reicht es nicht, wenn man sich die einzelnen Objekte anschaut, man muss praktisch die Ausstellung, die er damals gemacht hat, als begehbares Kunstwerk begreifen.
Rodin bereitet damit dem Mythos vom Künstlergenie endgültig ein Ende: Er zeigt den Arbeitsprozess, die mühsame Suche nach einer Form, einem bestimmten Ausdruck, einer Geste. Und seine Art der Präsentation macht klar: Große und kleinen Gipse sind nicht nur Vorarbeiten - es sind vollwertige Kunstwerke."
Auguste Rodin, 1840 in Paris geboren und 1917 in Meudon gestorben, gilt als radikaler Neuerer der Bildhauerei des späten 19. Jahrhunderts: Während seine Zeitgenossen mit Vorliebe in pathetischer Manier große historische Helden und Ereignisse illustrieren, blickt Rodin auf die Gegenwart und den wirklichen Menschen. Mit 23 Jahren konfrontiert er seine Kollegen mit dem "Mann mit gebrochener Nase", für den er einen Bettler als Modell nahm.
"Er hat ihn unter anderem deswegen ausgesucht, weil er eine gebrochene Nase hat. Und wenn man eine gebrochene Nase hat, dann ist das Gesicht auch schon schief. Und in dem akademischen Formenkanon war es eigentlich üblich: das Gesicht ist immer symmetrisch. Das ist noch von Le Brun überliefert, da gibt es nicht Musterbücher, wie ein Gesicht auszusehen hat, mit Koordinatensystem usw., aber das entspricht ja nun nicht der Naturwirklichkeit. Und er nutzt eben diese Deformation, um eine Ausdruckssteigerung schon von vornherein in die Skulptur hineinzuholen."
Ein schiefes, verlebtes Gesicht, aufgeworfen, schrundig, aber voll Würde - so macht Rodin den gesellschaftlichen Außenseiter kunstwürdig.
Etwas weiter steht "Das eherne Zeitalter", ein junger männlicher Akt mit derart lebendig wirkenden Muskeln, dass Rodins Zeitgenossen schockiert waren - der künstlerische Einzelgänger empörte und polarisierte zeitlebens.
"Er hat die Petite Ecole besuchen können und hat den Sprung zur Ecole Beaux Art nicht geschafft. Er ist drei Mal abgelehnt worden. Und diese Niederlage hat sich eigentlich durch sein ganzes Leben fortgesetzt. Also der 'Mann mit der gebrochenen Nase', 'Das eherne Zeitalter' bis hin zum Balzac wurde bespöttelt oder auch verletzender Kritik ausgesetzt. Und Rodin ist eben der Fels in der Brandung wenn man so will, weil er dem Stand gehalten hat und immer weiter gemacht hat."
Dabei wird er immer wagemutiger. Zahlreiche Gips- und Bronzearbeiten zum Balzac-Denkmal sind zu sehen: Balzac als Athlet, als dicker nackter Mann, in einer Mönchskutte - bis Rodin die "Allegorie des Geistes" entwickelt: Bei in einen weiten Morgenmantel gehüllten Figur konzentriert sich alles auf den Kopf:
"Der eigentlich mehr wie ein Gebirgsmassiv auf dem Mantel thront, wo wirklich das Geistige nach außen geholt ist, die Augen, die wirklich wie ins Gehirn hineindringen. Man hat das Gefühl, das hat ein zeitgenössischer Kritiker gesagt, man hätte das Gefühl, man hätte ihm das Gehirn aus dem Schädel genommen und auf das Gesicht geklebt. Das war ironisch gemeint, aber es trifft sehr viel."
Während seine Zeitgenossen meist statische Figuren mit heiler, glatter Oberfläche entwerfen, orientiert sich Rodin an seinem Vorbild Michelangelo und entwickelt ihn weiter: Mit weiten Gesten sprengen seine Figuren den Raum, ihre Oberflächen sind aufgeworfen und unruhig wie das Leben selbst, als wolle Rodin ihr Innerstes nach außen kehren, und oft wirken sie ebenso verletzlich und einsam wie lebendig und kraftvoll. Erst um 1900, Rodin ist 60, hat der künstlerische Einzelgänger mit seiner Arbeit Erfolg und kann gut von ihr leben.
Höhepunkt der Ausstellung ist die Werkgruppe mit Arbeiten zum "Höllentor" von Dante. Ein kleines Gipsmodell zeigt zahlreiche Körper, die sich umschlingen, umklammern, stürzen, fallen. Aus diesem Modell löst Rodin einzelne Teile heraus und vergrößert sie, macht sie so zu eigenen Kunstwerken: Da sieht man qualvoll verzerrte und verstörte Gesichter, die später auch als Bronzen gegossen werden, ein Mann kriecht auf allen vieren, und im Zentrum steht ein großer gipserner Torso. Hatte er im Modell noch einen Körper umklammert, greift der Arm nun wie entsetzt ins Leere.
"Er bricht die Figur auseinander. Das ist eine vielfigurige Gruppe und wir sehen in der Mitte ein Einzelteil, also ein Detail, eine Nebensache, die in dem Moment, wo er es auseinander nimmt, zur Hauptsache wird. Und dann hat es eben mit der Erzählung Dante nichts mehr zu tun. Er ist dann eben nicht mehr nur an Inhalten interessiert, sondern vor allem an der Form."
Und noch einmal zeigt diese ungewöhnliche und erhellende Ausstellung - in der Zeichnungen und historische Fotos aus dem Atelier des Künstlers den Blick auf seine Arbeitsweise abrunden - wie Rodin die Bildhauerei revolutionierte: Standen Skulpturen bis um 1900 brav auf einem Sockel ignoriert Rodin diese Vorgabe. Den zentralen Torso des stürzend ins Leere Greifenden aus dem Höllentor montiert er auf zwei Eisenträger: Der Körper scheint nun zu schweben, womit Rodin jegliche bis dahin geltende Tradition ebenso hinweggefegt hat wie sämtliche Vorstellungen von Schwerkraft.
Service: Die Ausstellung "Vor hundert Jahren. Rodin in Deutschland" ist vom 18. Februar bis zum 25. Mai im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen.