„Das Schloss würde heute nicht mehr gebaut“
Ab dem 17. Dezember eröffnet das Humboldt Forum schrittweise. Feature-Autor Lorenz Rollhäuser hat vorab schon einmal Audioschnipsel rund um das Berliner Stadtschloss platziert. Im Interview erklärt er, warum eine dekoloniale Gegenerzählung so wichtig ist und warum Schloss und Museum schon vor ihrer Fertigstellung obsolet sind.
Deutschlandfunk Kultur: Lorenz Rollhäuser, die Eröffnung des Berliner Humboldt Forums wurde schon einige Male verschoben. Am 17. Dezember sollen nun zumindest Teile des Museums im wiedererrichteten Berliner Stadtschloss eröffnen. Und auch Sie haben im Zuge der Eröffnung rund um das Schloss Audiomaterial hinterlegt. "Große Geste Weiße Welt" heißt der Audiowalk, den Sie im Rahmen der Reihe "Radioortung" von Deutschlandfunk Kultur konzipiert haben. Was kann man sich darunter vorstellen?
Lorenz Rollhäuser: Wir bieten einen GPS-gesteuerten Rundgang rund um das Berliner Stadtschloss beziehungsweise das Humboldt Forum. Er fängt im Lustgarten an, und in insgesamt 15 Stationen sprechen unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Perspektiven über das Schloss oder über die ethnologischen Sammlungen, die im Humboldt Forum gezeigt werden sollen. Das sind überwiegend sehr kritische Kommentare. Ich finde es sehr wichtig, dass sie Gehör finden, weil ich diese ganze Konzeption eines Schlosses mit ethnologischen Sammlungen grundsätzlich falsch und sehr reaktionär finde.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, 2017 haben Sie bereits das Feature "Haus der Weißen Herren" darüber gemacht. Wofür stehen Schloss und Humboldt Forum für Sie?
Lorenz Rollhäuser: Die Idee des Humboldt Forums war ja: Man hat dieses feudale Gebäude, das Schloss. Das will man ganz so dick dann doch nicht in der Mitte der Hauptstadt stehen haben. Also wollte man es irgendwie konterkarieren und dachte "ah, da holen wir uns die Weltkunst rein!". Und das sind so typische Gedanken von alten weißen Männern, die dachten, so kriegt man das alles unter einen Hut. Aber meines Erachtens ist das ein völliger Fehlschluss. Weil damit ein friedliches Miteinander postuliert wird, wo eigentlich ein Konflikt ist. Denn der Reichtum der europäischen Städte – der Reichtum unseres Stadtschlosses – verdankt sich dem Kolonialismus.
Deutschlandfunk Kultur: Das heißt, beim Audiowalk "Große Geste Weiße Welt" laufe ich um das Stadtschloss herum und höre die verdrängte, die dunkle, die koloniale Geschichte dieses Ortes?
Lorenz Rollhäuser: Das kann überhaupt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Aber ja, es kommen Menschen zu Wort, die sich mit den afrikanischen Sammlungen beschäftigt haben, Menschen, die aus den Herkunftsländern stammen. Ich erfahre, welche Rolle Felix von Luschan für die ethnologischen Sammlungen spielte. Von Luschan war der größte Sammler afrikanischer Objekte. Ich höre vom nigerianischen Kurator Okwui Enwezor, der sich bei einer Tagung Ende 2018 zum ersten Mal öffentlich zum Thema Restitution geäußert hat. Ich erfahre aber auch etwas über die asiatischen und lateinamerikanischen Sammlungen. Und ich lausche Bürgern, die am Tag der offenen Baustelle ins Schloss kamen und begeistert sind. Auch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, kommt zu Wort.
Deutschlandfunk Kultur: Warum ist es gerade bei Ihrem Audiowalk so wichtig, dass Hörer*innen diese Stimmen am Ort selbst hören können?
Lorenz Rollhäuser: Das Schloss wurde mitten im Zentrum der Hauptstadt wiederaufgebaut – als Versuch, bestimmte Teile der deutschen Geschichte vergessen zu machen: neben der Geschichte des 20. Jahrhunderts auch die Kolonialgeschichte. Doch genau dadurch, dass das Schloss so zentral ist, rückt dieser Teil der Geschichte nun erst recht wieder ins Zentrum. Dafür – allein dafür – ist das Humboldt Forum durchaus gut. Denn das Schloss wird für viele Leute zum Symbol für die deutsche Kolonialgeschichte. Und niemand kann daran vorbeischauen. Und dann ist es doch eine gute Idee, die dazugehörigen Geschichten auch mitten im Zentrum zu platzieren.
Deutschlandfunk Kultur: Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befindet sich das "Besitztum" schon im Namen selbst. Wie erklären Sie sich, dass sich die Stiftung immer noch als rechtmäßige Besitzerin von Objekten begreift, deren Aneignung schon in der Kolonialzeit gegen die Gesetzgebung verstoßen hat?
Lorenz Rollhäuser: Nun ja, die Gesetzgebung ist so, dass nichts rückwirkend geltend gemacht werden kann. Etwaige rechtliche Ansprüche sind längst verjährt. Und auf diesen rechtlichen Standpunkt kann man sich natürlich einerseits immer zurückziehen. Andererseits merkt man heute, dass man damit ethisch-moralisch nicht so richtig weit kommt. Insofern versucht man dauernd zu lavieren, und je nachdem, wie groß der Gegendruck ist, trifft man Pseudo-Arrangements mit Herkunftsländern, die man dann groß ins Feld führen kann. Oder man sagt, "da müssen wir zunächst einmal die Provenienz erforschen". Dann stellt man ein, zwei, drei Provenienzforscher ein, hat aber nun einmal 500.000 Objekte in den Sammlungen – da kann man sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, um all das zu recherchieren. De facto läuft es bisher immer darauf hinaus, den Status Quo zu verteidigen und die Objekte möglichst lange hier zu behalten.
Deutschlandfunk Kultur: Die Ideen zum Schloss und zum Humboldt Forum stammen aus den Neunzigerjahren…
Lorenz Rollhäuser: …ja, die sind mittlerweile uralt und abgestanden!
Deutschlandfunk Kultur: …über Kolonialismus wird immer breiter diskutiert, die Restitution der Objekte wird immer lauter gefordert – und das schon vor der Eröffnung. Das Stadtschloss hat 644 Millionen Euro gekostet und der Betrieb des Humboldt Forums kostet weitere 60 Millionen jährlich. Ist das letztendlich ein immens teures Mausoleum für ein koloniales Weltbild, das in ein paar Jahrzehnten niemand mehr feierlich besuchen möchte?
Lorenz Rollhäuser: Ich glaube, was die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in ihrer Öffentlichkeitsarbeit bisher versucht hat, verfängt nicht wirklich beim Publikum. Es gibt sehr viele Leute in Deutschland – gerade in der jüngeren Generation – mit einem sehr kritischen Blick, die überhaupt nicht begeistert sind, dass da ein Schloss wiederaufgebaut wird. Wie kommen wir dazu, heute ein Schloss aufzubauen? Wir hatten einen Palast der Republik. Wir hatten dann eine wunderbare große Leerstelle. Das wurde nicht ausgehalten von manchen Leuten, die mussten da unbedingt wieder irgendetwas hin bauen. Das ist sehr schade. Ich glaube, dass wir da heute viel weiter wären. Heute hätte man keine Chance mehr, so etwas wie ein Schloss noch mal zu bauen.
Deutschlandfunk Kultur: Könnte man aus Ihrer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt am Stadtschloss oder am Humboldt Forum derart etwas verändern, dass wieder etwas gutgemacht wird?
Lorenz Rollhäuser: In meinem Rundgang sagt Noa K. Ha, Stadtforscherin und Aktivistin, man solle das Schloss abreißen als eine Art dekolonialem Akt. Und ich halte das für eine sehr gute Idee.
Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Sarah Murrenhoff.
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