Ein schmerzhaftes Buch
Hans Frank, der als Generalgouverneur von Polen und "Judenschlächter von Krakau" in die Geschichte einging, wurde 1948 vom Militärgericht in Nürnberg zum Tod am Strang verurteilt. Sein Sohn Niklas rechnet - nun schon in einem dritten Band - mit seiner Familiengeschichte ab.
Bruder Norman ist intelligent, schlagfertig, belesen. Doch sein Leben lang hat er verdrängt. Im Buch behauptet Niklas Frank, Norman habe sein Leben verpfuscht. Er habe nichts aus seinem Leben gemacht. Eine Folge seiner unheilvollen Familiengeschichte, glaubt der Reporter Niklas Frank. Als Sachbearbeiter fristete sein Bruder ein unausgefülltes Dasein beim Bayerischen Fernsehen, obwohl er intelligenter gewesen sei für ganz andere Aufgaben. Norman verweigerte sich, er wurde zum Trinker, war frühzeitig krank, wurde vorzeitig pensioniert.
"Norman konnte sehr witzig sein. Und er war der größte Verdränger, dem ich je begegnet bin, muss ich schon sagen. Weil er aus dieser Falle nicht raus kam. 'Ich weiß, Vati war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn'."
Niklas Frank, der nicht locker lassende Reporter, ist gewappnet mit all seinen Vorkenntnissen und den Dokumenten aus brauner Vorzeit, den Briefen der Familie, den Reden des Vaters, den Äußerungen von Zeitgenossen. Bruder Norman hört sich die Unerhörtheiten an, er schluckt, glaubt es nicht, nimmt eigene Irrtümer zur Kenntnis, eigene Verdrängungen, Lügen, die Abgründe deutscher Geschichte. Das Drama nimmt seinen Lauf.
"Ich würde sagen: Eine Hinrichtung verbindet. Wir haben beide denselben Background, dass man uns den Vater mitten aus dem Leben heraus, kerngesund, intellektuell sehr hoch stehend, moralisch sehr tief, aber einfach zum Galgen führte. Der ist nicht an Krebs gestorben. Der hat sich nicht scheiden lassen. Der ist nicht beim Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der wird richtig ganz bewusst und der Familie mitgeteilt: Dieser Mann darf nicht weiter leben, weil er zu viel Schuld auf sich geladen hat."
"Norman konnte sehr witzig sein. Und er war der größte Verdränger, dem ich je begegnet bin, muss ich schon sagen. Weil er aus dieser Falle nicht raus kam. 'Ich weiß, Vati war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn'."
Niklas Frank, der nicht locker lassende Reporter, ist gewappnet mit all seinen Vorkenntnissen und den Dokumenten aus brauner Vorzeit, den Briefen der Familie, den Reden des Vaters, den Äußerungen von Zeitgenossen. Bruder Norman hört sich die Unerhörtheiten an, er schluckt, glaubt es nicht, nimmt eigene Irrtümer zur Kenntnis, eigene Verdrängungen, Lügen, die Abgründe deutscher Geschichte. Das Drama nimmt seinen Lauf.
"Ich würde sagen: Eine Hinrichtung verbindet. Wir haben beide denselben Background, dass man uns den Vater mitten aus dem Leben heraus, kerngesund, intellektuell sehr hoch stehend, moralisch sehr tief, aber einfach zum Galgen führte. Der ist nicht an Krebs gestorben. Der hat sich nicht scheiden lassen. Der ist nicht beim Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der wird richtig ganz bewusst und der Familie mitgeteilt: Dieser Mann darf nicht weiter leben, weil er zu viel Schuld auf sich geladen hat."
Halbnackte Juden, die in bitterer Kälte schuften
Bruder Norman erinnert sich nicht an die SS-Kaserne neben seiner Schule in Krakau, nicht an halbnackte Juden, die in bitterer Kälte Kohlensäcke abladen mussten, nicht an die Peitschenhiebe, nicht an Quälereien aus purer Lust und auf offener Straße. Der Bruder will sich nicht erinnern, er kann sich nicht erinnern. Doch ein Schulfreund von Norman erinnert sich sehr wohl, und er schreibt es sogar auf.
Der Schulfreund hat ein Büchlein für seine Enkel gemacht, damit nichts vergessen wird. Frühjahr 1944: Auf einem Lkw sieht der Schulfreund von Norman jämmerliche, abgemagerte, heruntergekommene Gestalten, hinten am Lkw steht der Zielort in großen Buchstaben: Auschwitz. Das Vernichtungslager ist förmlich plakatiert. Solche Details, und dann auch noch klar und drastisch formuliert, werden immer noch nicht gern gehört, ist sich Niklas Frank sicher.
"Der bürgerliche Geschmack mag so was nicht. Die wollen über sechs Millionen Juden, über die Verbrechen der Deutschen in einem ordentlichen, sachlichen Stil Berichte bekommen, der sie überhaupt nicht stört."
In langer Reihe hängen an Telefonmasten die Toten an Galgen. Zur Abschreckung, vor aller Augen. Darüber konnte keiner hinwegsehen. Wie konnte später gesagt werden, man habe nichts gewusst? Und die Spottlieder und antisemitischen Witze? In aller Munde, herzhaft und gehässig gebrüllt und selbstgefällig weitergetragen. Vom Schulfreund Normans ist das aufgeschrieben und hier, bei Niklas Frank, ist es nachzulesen. Der Autor macht all das plastisch, er kennt keine Tabus, reiht eine Ungeheuerlichkeit an die andere. Und macht damit, stellvertretend für die Deutschen, auch seinem geliebten Bruder den Prozess.
"Es hat nichts mit Tapferkeit zu tun! Wir sind in einer wunderbaren Demokratie, die trotz aller Fehler immer noch sensationell gut funktioniert. Da bedarf es keinerlei Mutes, solche Bücher zu schreiben."
Das erste Buch über seinen Vater war schwer erträglich, kaum in einem Stück hintereinander zu lesen. Es ist der Aufschrei eines ohnmächtig Hassenden, das Toben des schicksalhaft Nachgeborenen, der seine Wut über die kalte Brutalität, die Niedertracht und die Unbelehrbarkeit seines Erzeugers herausbrüllt. Pure Verzweiflung.
"Noch am Abend seiner Hinrichtung schreibt mein Vater, nachdem er ein Jahr lang alle Beweise, die er eh schon kannte, noch einmal im Gerichtssaal vorgeführt bekommen hat, schreibt er an seinen Anwalt, Dr. Seidl: 'Lieber Herr Doktor Seidl, machen Sie klar, dass ich nie ein Verbrecher war, dass eines Tages meine wahre Persönlichkeit ans Licht kommt.' Dafür habe ich gesorgt, dass das passiert. Aber nicht so, wie er es gedacht hat. Und das ist weiter gegangen. Mir kann keiner sagen, dass die deutschen Familien ab dem 8. Mai nach der Kapitulation sich zum Abendbrottisch setzen und plötzlich Demokraten waren. Das ist alles weiter gegangen. Das waren die Herrenjahre - und Frauenjahre eben auch."
Der Schulfreund hat ein Büchlein für seine Enkel gemacht, damit nichts vergessen wird. Frühjahr 1944: Auf einem Lkw sieht der Schulfreund von Norman jämmerliche, abgemagerte, heruntergekommene Gestalten, hinten am Lkw steht der Zielort in großen Buchstaben: Auschwitz. Das Vernichtungslager ist förmlich plakatiert. Solche Details, und dann auch noch klar und drastisch formuliert, werden immer noch nicht gern gehört, ist sich Niklas Frank sicher.
"Der bürgerliche Geschmack mag so was nicht. Die wollen über sechs Millionen Juden, über die Verbrechen der Deutschen in einem ordentlichen, sachlichen Stil Berichte bekommen, der sie überhaupt nicht stört."
In langer Reihe hängen an Telefonmasten die Toten an Galgen. Zur Abschreckung, vor aller Augen. Darüber konnte keiner hinwegsehen. Wie konnte später gesagt werden, man habe nichts gewusst? Und die Spottlieder und antisemitischen Witze? In aller Munde, herzhaft und gehässig gebrüllt und selbstgefällig weitergetragen. Vom Schulfreund Normans ist das aufgeschrieben und hier, bei Niklas Frank, ist es nachzulesen. Der Autor macht all das plastisch, er kennt keine Tabus, reiht eine Ungeheuerlichkeit an die andere. Und macht damit, stellvertretend für die Deutschen, auch seinem geliebten Bruder den Prozess.
"Es hat nichts mit Tapferkeit zu tun! Wir sind in einer wunderbaren Demokratie, die trotz aller Fehler immer noch sensationell gut funktioniert. Da bedarf es keinerlei Mutes, solche Bücher zu schreiben."
Das erste Buch über seinen Vater war schwer erträglich, kaum in einem Stück hintereinander zu lesen. Es ist der Aufschrei eines ohnmächtig Hassenden, das Toben des schicksalhaft Nachgeborenen, der seine Wut über die kalte Brutalität, die Niedertracht und die Unbelehrbarkeit seines Erzeugers herausbrüllt. Pure Verzweiflung.
"Noch am Abend seiner Hinrichtung schreibt mein Vater, nachdem er ein Jahr lang alle Beweise, die er eh schon kannte, noch einmal im Gerichtssaal vorgeführt bekommen hat, schreibt er an seinen Anwalt, Dr. Seidl: 'Lieber Herr Doktor Seidl, machen Sie klar, dass ich nie ein Verbrecher war, dass eines Tages meine wahre Persönlichkeit ans Licht kommt.' Dafür habe ich gesorgt, dass das passiert. Aber nicht so, wie er es gedacht hat. Und das ist weiter gegangen. Mir kann keiner sagen, dass die deutschen Familien ab dem 8. Mai nach der Kapitulation sich zum Abendbrottisch setzen und plötzlich Demokraten waren. Das ist alles weiter gegangen. Das waren die Herrenjahre - und Frauenjahre eben auch."
Als Fünfjähriger saß er auch auf Hitlers Schoß
Bruder Norman erinnert sich an das Glück der Kindheit und die Abenteuer der Pubertät - alles andere will er vergessen. Ein paar Anekdoten aus großer Zeit sind ihm im Gedächtnis geblieben: mit Roland Freisler, dem geifernden "Blutrichter" Hitlers, beim Frühstück: witzig war der, erinnert sich Norman. Als Fünfjähriger saß er auch auf Hitlers Schoß: beißend ironisch denkt Norman daran zurück, mehr nicht. Schön gefärbte Bilder eben. Damit kommen die Brüder der Wahrheit nicht näher. Versteht Niklas Frank sein Schreiben als eine Art Notwehr, will ich wissen.
"Nein, es ist keine Notwehr. Es ist Wut. Wut und Verachtung. Verachtung über das, was wir getan haben, ohne es je wirklich anzuerkennen. Da können die mir noch so viele Denkmäler für unsere jüdischen und polnischen und Roma- und Sinti-Opfer aufbauen - ich glaub's uns Deutschen nicht. Lasst uns doch diese deutschen Verbrechen, für die wir persönlich nicht verantwortlich sind, wenigstens anerkennen wie ein Fußballergebnis. 1:3 gegen Deutschland oder irgendwas."
Niklas Frank hat ein tabuloses, ein tragisches und sehr schmerzhaftes Buch geschrieben. Die Wucht der Worte ist überwältigend. In dieser Befragung, in diesem Dialog zwischen zwei Brüdern, kommt keiner ungeschoren davon, auch der Leser nicht. Es ist ein umwerfendes Buch, bitter, trostlos, verzehrend.
"Wir waren eine verschwiegene Familie",
bekennt Norman irgendwann. Bruder Niklas hat dieses Schweigegelübde mit seiner Familientrilogie brachial zerschlagen.
"Nein, es ist keine Notwehr. Es ist Wut. Wut und Verachtung. Verachtung über das, was wir getan haben, ohne es je wirklich anzuerkennen. Da können die mir noch so viele Denkmäler für unsere jüdischen und polnischen und Roma- und Sinti-Opfer aufbauen - ich glaub's uns Deutschen nicht. Lasst uns doch diese deutschen Verbrechen, für die wir persönlich nicht verantwortlich sind, wenigstens anerkennen wie ein Fußballergebnis. 1:3 gegen Deutschland oder irgendwas."
Niklas Frank hat ein tabuloses, ein tragisches und sehr schmerzhaftes Buch geschrieben. Die Wucht der Worte ist überwältigend. In dieser Befragung, in diesem Dialog zwischen zwei Brüdern, kommt keiner ungeschoren davon, auch der Leser nicht. Es ist ein umwerfendes Buch, bitter, trostlos, verzehrend.
"Wir waren eine verschwiegene Familie",
bekennt Norman irgendwann. Bruder Niklas hat dieses Schweigegelübde mit seiner Familientrilogie brachial zerschlagen.
Niklas Frank: Bruder Norman!
Mein Vater war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn
Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2013
316 Seiten, 22 Euro
Mein Vater war ein Naziverbrecher, aber ich liebe ihn
Verlag J. H. W. Dietz, Bonn 2013
316 Seiten, 22 Euro