Ein schmerzvoller Balanceakt
Wie gehen Menschen mit der tödlichen Erkrankung eines Angehörigen um? Welche Konflikte entstehen, was belastet die Beziehungen? Die Autorin geht in ihrem beratenden Sachbuch diesen Fragen nach und liefert Antworten, die den Angehörigen Schuld- und Versagensängste nehmen.
"All Dein Glück wie nie gewesen / aller Scherz wie nicht von hier / und da möchtest du es schon mal lesen / daß es jemandem so ging wie Dir." Peter Rühmkorfs Gedichtzeilen formen das Motto des Buches. Sachbücher zu Tod und Sterben gibt es viele. Deshalb lautet der erste Satz dieses Buches auch: "Der Tod treibt die Menschen um seit alters her." Über das unglückliche Gefühlsleben von Angehörigen sterbenskranker Krebspatienten allerdings ist wenig in der Sachbuchliteratur zu lesen, erstaunlich wenig. Dem hat die Autorin abgeholfen und endet mit dem Satz: "Lebendig zu sein, das ist ja das Glück auch im Unglück." Zwischen dem ersten und dem letzten Satz liegen Ohnmacht und enttäuschte Hoffnung, Familien- und Nervenzusammenbrüche, aber auch emotionale Höhenflüge und beglückende Lebensverlängerungen.
Jeder wird in der einen oder anderen Weise in die Lage kommen, auf den Tod Erkrankte zu begleiten. "Es ist ein großer Unterschied, ob wir Erlebnissen ausgesetzt sind, von denen wir noch nie gehört haben, oder ob wir bereits etwas über sie wussten", schreibt die Autorin zu Recht, die mit dem Bestseller "Wenn die alten Eltern sterben" einem großen Publikum bekannt geworden ist. Wer "Vom Lieben & Sterben" liest, weiß mehr, auch über sich selbst.
Die Publizistin fragt: "Was widerfährt Angehörigen, wenn einer ihrer Liebsten und nächsten Menschen mitten aus dem Leben heraus an einer Krebserkrankung stirbt? Welche Konflikte, welche Nöte tauchen häufig auf? Wodurch werden Beziehungen zwischen Sterbenskranken und ihren Angehörigen besonders belastet? Was geschieht in den letzten Monaten, Wochen und Stunden tatsächlich? Und wie ist all das zu verstehen?" Der Fokus liegt dabei auf dem sogenannten "vorzeitigen Tod" – Menschen erkranken und leiden und sterben gewissermaßen vor der Zeit, also bevor sie das durchschnittlich zu erwartende Lebensalter erreicht haben.
Ein Vademecum der eigenen Seelennöte für die Begleitung Sterbender liegt hier vor, vor allem derer, die sich gar nicht als Sterbende wahrnehmen, etwa die Schwere ihrer Erkrankung nicht wahrhaben wollen. Aber auch ein Ratgeber für jene Angehörige, denen die Worte fehlen, die überfordert sind, sich schlecht behandelt fühlen, für den Umgang nur Undankbarkeit ernten oder es nicht wagen, bei medizinischen Maßnahmen zu widersprechen, die nur das Elend des Sterbens, nicht aber die Qualität des Lebens verlängern.
Immer gilt: Der Krise standhalten, bei den Kranken bleiben, das Gespräch immer wieder suchen und dennoch auch bei sich bleiben. Das ist der Balanceakt, der allerdings ohne Abstürze und eigene Verletzungen so gut wie nie zu haben ist. Denn der Krebs ändert und zerstört nicht nur die Zellen, sondern stellt bisweilen auch menschliche Beziehungen auf eine harte Probe, wie die Autorin selbst erfahren muss, als sie die Krebserkrankung ihrer Freundin Franziska begleitet. Begleitet, bis sie rausgeworfen wird. Das erfährt auch Marianne, die Mutter, als ihre Tochter erkrankt, die Schwere der Erkrankung aber leugnet und sich mit von der Mutter aufwändig handgesammelten Tees behandeln lässt. Die Tochter stirbt nach der Heiler-Behandlung, wenngleich später als von den Ärzten prognostiziert; die Mutter aber ist psychisch und physisch am Ende.
Dobrick hat Interviews mit Angehörigen ausgewertet: Lisa, zum Beispiel, verheimlicht ihre 20 Jahre andauernde Krebserkrankung und die Chemotherapien der letzten drei Jahre vor allen Freunden und der Familie; nur Ehemann Sepp ist eingeweiht und trägt die Entscheidung mit. Aber auch er sollte bei den Arztgesprächen nicht dabei sein: "Sie hätte ja an meiner Mimik ablesen können, was ich denke. Meine Aufgabe war es, ihr Mut zu machen und sie auch sonst so gut ich konnte zu unterstützen. Nicht mehr und nicht weniger." Paula reflektiert Claas’ Freitodwünsche nach auswegloser Krebs-Diagnose und schmerverzerrten Nächten und berichtet, wie sie hin- und hergerissen wird zwischen mitfühlendem Verständnis und eigener innerer Ablehnung.
Dies ist endlich ein beratendes Sachbuch, in dem uns als Angehörigen die Schuld- und Versagensängste durch Aufklärung genommen werden; durch Aufklärung über das seelische Erleben krebskranker Menschen einerseits und vor allem durch tabulose Aufklärung über unser Erleben als Angehörige. Denn sauer zu sein auf das Verhalten Krebskranker ist ebenso ein Tabu wie das Gespräch über den bevorstehenden Tod selbst. Rühmkorfs Motto-Gedicht endet mit den Worten: "…und es wär schon gut, wenn jetzt ein Buch/ über Dir zusammenschlüge/ wie ein lichtgesäumtes Flügelpaar." Barbara Dobrick hat dieses Buch über den Angehörigenschmerz jetzt vorgelegt.
Besprochen von Herbert A. Gornik
Barbara Dobrick: Vom Lieben & Sterben. Konflikte, Nöte und Hoffnungen Angehöriger
Kreuz Verlag, Freiburg 2010
240 Seiten, 17,95 Euro
Jeder wird in der einen oder anderen Weise in die Lage kommen, auf den Tod Erkrankte zu begleiten. "Es ist ein großer Unterschied, ob wir Erlebnissen ausgesetzt sind, von denen wir noch nie gehört haben, oder ob wir bereits etwas über sie wussten", schreibt die Autorin zu Recht, die mit dem Bestseller "Wenn die alten Eltern sterben" einem großen Publikum bekannt geworden ist. Wer "Vom Lieben & Sterben" liest, weiß mehr, auch über sich selbst.
Die Publizistin fragt: "Was widerfährt Angehörigen, wenn einer ihrer Liebsten und nächsten Menschen mitten aus dem Leben heraus an einer Krebserkrankung stirbt? Welche Konflikte, welche Nöte tauchen häufig auf? Wodurch werden Beziehungen zwischen Sterbenskranken und ihren Angehörigen besonders belastet? Was geschieht in den letzten Monaten, Wochen und Stunden tatsächlich? Und wie ist all das zu verstehen?" Der Fokus liegt dabei auf dem sogenannten "vorzeitigen Tod" – Menschen erkranken und leiden und sterben gewissermaßen vor der Zeit, also bevor sie das durchschnittlich zu erwartende Lebensalter erreicht haben.
Ein Vademecum der eigenen Seelennöte für die Begleitung Sterbender liegt hier vor, vor allem derer, die sich gar nicht als Sterbende wahrnehmen, etwa die Schwere ihrer Erkrankung nicht wahrhaben wollen. Aber auch ein Ratgeber für jene Angehörige, denen die Worte fehlen, die überfordert sind, sich schlecht behandelt fühlen, für den Umgang nur Undankbarkeit ernten oder es nicht wagen, bei medizinischen Maßnahmen zu widersprechen, die nur das Elend des Sterbens, nicht aber die Qualität des Lebens verlängern.
Immer gilt: Der Krise standhalten, bei den Kranken bleiben, das Gespräch immer wieder suchen und dennoch auch bei sich bleiben. Das ist der Balanceakt, der allerdings ohne Abstürze und eigene Verletzungen so gut wie nie zu haben ist. Denn der Krebs ändert und zerstört nicht nur die Zellen, sondern stellt bisweilen auch menschliche Beziehungen auf eine harte Probe, wie die Autorin selbst erfahren muss, als sie die Krebserkrankung ihrer Freundin Franziska begleitet. Begleitet, bis sie rausgeworfen wird. Das erfährt auch Marianne, die Mutter, als ihre Tochter erkrankt, die Schwere der Erkrankung aber leugnet und sich mit von der Mutter aufwändig handgesammelten Tees behandeln lässt. Die Tochter stirbt nach der Heiler-Behandlung, wenngleich später als von den Ärzten prognostiziert; die Mutter aber ist psychisch und physisch am Ende.
Dobrick hat Interviews mit Angehörigen ausgewertet: Lisa, zum Beispiel, verheimlicht ihre 20 Jahre andauernde Krebserkrankung und die Chemotherapien der letzten drei Jahre vor allen Freunden und der Familie; nur Ehemann Sepp ist eingeweiht und trägt die Entscheidung mit. Aber auch er sollte bei den Arztgesprächen nicht dabei sein: "Sie hätte ja an meiner Mimik ablesen können, was ich denke. Meine Aufgabe war es, ihr Mut zu machen und sie auch sonst so gut ich konnte zu unterstützen. Nicht mehr und nicht weniger." Paula reflektiert Claas’ Freitodwünsche nach auswegloser Krebs-Diagnose und schmerverzerrten Nächten und berichtet, wie sie hin- und hergerissen wird zwischen mitfühlendem Verständnis und eigener innerer Ablehnung.
Dies ist endlich ein beratendes Sachbuch, in dem uns als Angehörigen die Schuld- und Versagensängste durch Aufklärung genommen werden; durch Aufklärung über das seelische Erleben krebskranker Menschen einerseits und vor allem durch tabulose Aufklärung über unser Erleben als Angehörige. Denn sauer zu sein auf das Verhalten Krebskranker ist ebenso ein Tabu wie das Gespräch über den bevorstehenden Tod selbst. Rühmkorfs Motto-Gedicht endet mit den Worten: "…und es wär schon gut, wenn jetzt ein Buch/ über Dir zusammenschlüge/ wie ein lichtgesäumtes Flügelpaar." Barbara Dobrick hat dieses Buch über den Angehörigenschmerz jetzt vorgelegt.
Besprochen von Herbert A. Gornik
Barbara Dobrick: Vom Lieben & Sterben. Konflikte, Nöte und Hoffnungen Angehöriger
Kreuz Verlag, Freiburg 2010
240 Seiten, 17,95 Euro