Ein Schritt zurück ins Mittelalter

Von Gesine Dornblüth, Studio Moskau |
Die russische Staatsduma hat ein Gesetz verabschiedet, das es verbietet, öffentlich positiv über Homosexualität zu reden. Vor dem Parlament machte ein Mob Jagd auf Homosexuelle und ihre Unterstützer - angetrieben von einem unerträglichen Hass, kommentiert Gesine Dornblüth.
Was am Dienstag im Zentrum Moskaus geschah, war nichts anderes als Menschenjagd. Schwule, Lesben und ihre Unterstützer wollten mit einer harmlosen Kussaktion vor dem Parlamentsgebäude protestieren. Gegen ein Gesetz, das völlig zu Recht als homophob kritisiert wird; gegen ein Gesetz, das die freie Meinungsäußerung einschränkt; gegen ein Gesetz, das viele homosexuelle Jugendliche in Russland in eine Krise stürzen wird, weil sie mit niemandem über ihre Identität werden reden können.

Die Aktivisten wurden von radikalen Orthodoxen geschlagen, bespuckt und getreten. Ein johlender Mob teils vermummter Jugendlicher machte mit. Auf der Suche nach einem Opfer durchkämmten sie mehrere Etagen eines Kaufhauses. Das Ausmaß an Hass war schwer zu ertragen.

Und was noch viel schlimmer ist: Die Polizei schaute über weite Strecken zu. Sie nahm vor allem Homosexuellen-Aktivisten und besorgte Bürger mit, nicht die aggressiven Schläger.

In Russland regt sich kaum jemand über die Szenen am Dienstag auf. Das war auch nicht zu erwarten. 88 Prozent der Russen begrüßen das Homophobie-Gesetz. Allenfalls einzelne setzen sich für Schwule und Lesben ein.

Dem einen oder anderen mag das Zitat des deutschen Theologen Martin Niemöller einfallen.

"Als sie die ersten Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Kommunist. Als sie die ersten Juden holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Jude. Als sie die ersten Katholiken holten, habe ich geschwiegen; denn ich war kein Katholik. Als sie mich holten, war niemand mehr da, der seine Stimme hätte erheben können."

Soweit ist es in Russland zum Glück nicht. Aber die Exzesse am Dienstag lassen ahnen, was Menschen in Russland blühen könnte, die anders sind und dies nicht verschweigen.
In Russland werde jeder, der anders denkt oder lebt, ins Abseits gedrängt, für fremdbestimmt oder aber für krank erklärt. Das hat Maria Aljochina, eine der inhaftierten Aktivistinnen von Pussy Riot, vor einem knappen Jahr im Gerichtssaal gesagt. Sie hatte recht. Das Homophobie-Gesetz ist ein trauriger Beleg dafür.

Die politische Führung Russlands spielt mit dem Feuer. Das Homophobie-Gesetz verhindert Aufklärung, es schürt Vorurteile, Ausgrenzung und Hass. Selbsternannte gewaltbereite Moralwächter fühlen sich durch das Gesetz bestätigt. Und die Botschaft an die Minderheiten ist klar: Verhaltet euch still. Passt euch an. Redet nicht über das Anderssein.

Bundesaußenminister Westerwelle hat schnell auf das Gesetz reagiert und den Reisehinweis des Auswärtigen Amtes verschärft. Er mag übertrieben scheinen, denn Schwule und Lesben können sich in Russland frei bewegen, die goldenen Kuppeln der Kirchen bestaunen, das Bolschoj Theater besuchen, vieles andere mehr, wie jeder andere auch. Die Bedingung ist allerdings, dass sie ihre sexuelle Orientierung für sich behalten.

Aber der Reisehinweis der Bundesregierung ist ohnehin nicht mehr als ein Symbol. Bewirken wird er nichts. Kritik aus dem Westen prallt an Russland ab, gilt als Einmischung in innere Angelegenheiten, wird von vielen noch als Bestätigung verstanden.

Wieder einmal ist die Frage angebracht: Wie steht es um Russland und die europäischen Werte? Geht das noch zusammen? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Und die Politiker in Russland sagen das auch ganz offen. Toleranz, erstrebenswertes Ziel der westlichen demokratischen Gesellschaften, gilt vielen Vertretern der russischen politischen Elite als Makel, als großer Fehler. Immer öfter ist in Moskau zu hören, die "falsche" Toleranz der Europäer werde noch zum Untergang der christlich-abendländischen Kultur führen. Russland gehe einen eigenen Weg.

Es hat das Recht dazu. Russland kann Gesetze machen, die andere unerträglich finden. Aber die Partnerstaaten müssen daraus Konsequenzen ziehen, allen voran Deutschland als Partner Nr. 1. Es wird Zeit, sich ernsthaft zu fragen, ob zum Beispiel die Modernisierungspartnerschaft wert ist, in der Form aufrechterhalten zu werden. Um welche Modernisierung geht es bitte, in einem Land, das mittelalterliche Gesetze verabschiedet? Nach dem letzten Dienstag muss im Verhältnis zu Russland vieles auf den Prüfstand.
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