Ein schwieriger Vergleich
Der Historiker Götz Aly versucht in seinem neuen Buch "Unser Kampf 1968" Analogien zwischen den 33er und 68er Studentenprotesten zu ziehen, denn die einen seien die Söhne der anderen. Dabei richtet sich sein Buch pauschal gegen die 68er, vor allem aber gegen jene, die politisch oder geschäftlich Karriere gemacht haben.
Die zahlreichen Protestbewegungen der Zeit um 1968 hatten ihre nationalen Eigenarten, aber in den Formen und Inhalten ihres Protestes glichen sie sich stark. Das weiß auch der Historiker Götz Aly, er schlägt jedoch einen anderen Weg ein. Für ihn ist die deutsche Protestbewegung vor allem deutsch und
"in mancher Beziehung auch die Erbmasse der rechtsradikalen Studentenbewegung der Jahre 1926 bis 1933."
Die 68er sind, so die These, die Söhne der 33er und das auf verquere Weise. Das empirische Material, das Aly für die diese These beibringt, ist dürftig.
"Die nationalsozialistische Studentenrebellion nannte sich ebenfalls Studentenbewegung."
Ferner waren beide Bewegungen von Aktionismus geprägt, beide wollten Wohngemeinschaften, Chancengleichheit, Studieninhalte, die sich auf gesellschaftliche Relevanz reimen sowie einen Bruch mit dem bürgerlich-großbürgerlichen Bildungsmonopol. Aly betont zwar, er ziele mit diesem Vergleich nicht "auf die Gleichsetzung von Rot und Braun", aber seine Konstruktion des Kampfes zwischen der - so wörtlich - "Generation Ho-Ho-Ho-Chi-Minh" und der "Generation Heil-Hitler" beruht einzig auf formal gleichen Eigenschaften.
Aly verzichtet auf eine Analyse der Unterschiede der beiden Bewegungen. Dem Formvergleich muss man nur eine Frage stellen, um ihn als medial-boulevardeskes Theater zu erkennen. Nationalsozialistische Studenten von 1933 wie Berliner Demonstranten von 1968 wehrten sich mit den gleichen Worten gegen polizeiliche Übergriffe. Aber was sagt das aus über die beiden Studenten- und Polizistengenerationen? Ohne inhaltliche und funktionale Differenzierung bleibt alles grau: Mörder, aber auch Chirurgen verwenden Messer.
Generationenkonstruktionen sind ein heikles Unterfangen. So beruht die Rede über Generationen, wie Karl Mannheim schon 1928 und Eike Hennig jüngst im Blick auf die 68er gezeigt haben, weitgehend auf Zuschreibungen und Selbstzuschreibungen - je nach Bedarf positiv oder negativ akzentuiert. 1968 gab es in der Bundesrepublik 280.000 Studenten, das entspricht fünf Prozent eines Jahrgangs. Der SDS hatte bundesweit höchstens 2500 Mitglieder, selbst in Berlin gehörte bestenfalls ein Drittel der Studenten zu den Demonstranten, die nach 1969 in eine Vielzahl von politischen Gruppen zerfielen. Dass sich damals, wie Aly schreibt, "eine Generation auf den Revolutionstrip" begeben habe, ist haltloses Gerede.
Ein Beispiel für Alys Interpretation empirischer Befunde: Eine repräsentative Umfrage ergab, dass 1968 rund vier Fünftel der Studenten dafür plädierten, "dass die deutsche Politik sich von westlicher Bevormundung freimachen sollte." Das verlängert Aly zur Spekulation:
"Im Antiamerikanismus überschnitten sich die Gedankenwelten der von Goebbels verformten Eltern und ihrer zu hartem Contra aufgelegten Kinder."
Aly kann nicht bestreiten, dass rund um 1968 zwischen Studierenden und ihren Eltern hart gestritten wurde um die deutsche Vergangenheit und die Mitverantwortung dafür.
"Zum Crash kam es in den Familien, beim Abendessen. Was immer die Eltern gewusst, wie immer sie sich verhalten hatten, sie reagierten hilflos. Sie schwiegen verstört, wütend, suchten nach Ausflüchten."
Aly belegt das nicht näher, aber er stellt freihändig eine Ferndiagnose. Obwohl er eben noch massenhafte Familienkräche einräumte, behauptet er:
"1967/68 wandte sich die Protestjugend von den familiengeschichtlich noch verstörend nahen NS-Verbrechen ab und verhüllte sie hinter dafür geeigneten Faschismustheorien ... Damit war die Flucht aus der historischen Verantwortung vollzogen."
Die ganze Protestbewegung erscheint in Alys von starken Ressentiments gegen Theorien und Intellektuelle geprägter Perspektive als "Schuldabwehr-Antisemitismus", worin die zerstrittenen Familien angeblich wieder zueinander fanden. Küchenpsychologisch funktioniert das so: Weil der Kampf gegen die Väter unentschieden blieb, richteten sich die Aggressionen danach gegen den Staat. Selbst darin, dass sich der SDS in einer präzisen Erklärung im Sechstagekrieg nicht auf die Seite des Eroberers und Siegers Israel stellte, sondern auf die Seite der Palästinenser und Flüchtlinge, zeige sich nur ...
" ... die auf Schuldabwehr und Schuldübertragung gerichtete Tendenz des linken Antisemitismus."
Will Aly dem Leser weismachen, der weltweite Protest sei ein Produkt deutsch-spekulativer Psycho-Historie gewesen? Das ist kein "irritierender Blick zurück", den der Untertitel verspricht, sondern ein rundweg verwirrter Blick.
Alys Kampfbuch richtet sich pauschal gegen "die" 68er, vor allem aber gegen jene unter seinen maoistischen Weggefährten, die politisch oder geschäftlich Karriere gemacht haben. Einige werden namentlich genannt, andere bleiben so anonym, dass jeder Insider merkt, wer gemeint ist.
Für den Historiker Aly könnten ein paar seltsame Faux pas nachhaltige Wirkungen haben. Kein Leser ordentlicher Zeitungen bezeichnet heute die Übergabe der Macht an Hitler durch die konservative Elite noch als "Machtergreifung". Und während Aly noch ein Buch zuvor noch über Hitlers "Gefälligkeitsdiktatur" improvisierte, tauft er diese nun situationsgerecht in "Jungenddiktatur" um, allein um sie mit der Jugendrevolte von 68 wenigstens in einen suggestiv-rhetorischen Zusammenhang bringen zu können. Mit solchen Mätzchen und substanzloser Polemik ruiniert Aly seinen Ruf ebenso wie mit Thesen wie der, die Vorliebe der 68er für Fremdwörter zeuge davon, dass sich diese "präpotenten Wahnsinnigen" von deutscher Sprache und deutscher Nation verabschiedeten.
Neben indiskutablen Analogien wie dem Slogan "USA-SA-SS" gab es seitens vieler 68er eine unentschuldbare Toleranz gegenüber Exzessen auf dem Campus und ein ignorantes Wegsehen vom mörderischen Vandalismus in China und Kambodscha. Schlicht unredlich ist jedoch Alys Versuch, die gesamte Protestbewegung in Sippenhaft zu nehmen für den Schwachsinn der maoistischen Sekten und die mörderischen Taten der RAF.
Götz Aly: Unser Kampf 1968 - ein irritierter Blick zurück
Verlag S. Fischer, Frankfurt, 2008
"in mancher Beziehung auch die Erbmasse der rechtsradikalen Studentenbewegung der Jahre 1926 bis 1933."
Die 68er sind, so die These, die Söhne der 33er und das auf verquere Weise. Das empirische Material, das Aly für die diese These beibringt, ist dürftig.
"Die nationalsozialistische Studentenrebellion nannte sich ebenfalls Studentenbewegung."
Ferner waren beide Bewegungen von Aktionismus geprägt, beide wollten Wohngemeinschaften, Chancengleichheit, Studieninhalte, die sich auf gesellschaftliche Relevanz reimen sowie einen Bruch mit dem bürgerlich-großbürgerlichen Bildungsmonopol. Aly betont zwar, er ziele mit diesem Vergleich nicht "auf die Gleichsetzung von Rot und Braun", aber seine Konstruktion des Kampfes zwischen der - so wörtlich - "Generation Ho-Ho-Ho-Chi-Minh" und der "Generation Heil-Hitler" beruht einzig auf formal gleichen Eigenschaften.
Aly verzichtet auf eine Analyse der Unterschiede der beiden Bewegungen. Dem Formvergleich muss man nur eine Frage stellen, um ihn als medial-boulevardeskes Theater zu erkennen. Nationalsozialistische Studenten von 1933 wie Berliner Demonstranten von 1968 wehrten sich mit den gleichen Worten gegen polizeiliche Übergriffe. Aber was sagt das aus über die beiden Studenten- und Polizistengenerationen? Ohne inhaltliche und funktionale Differenzierung bleibt alles grau: Mörder, aber auch Chirurgen verwenden Messer.
Generationenkonstruktionen sind ein heikles Unterfangen. So beruht die Rede über Generationen, wie Karl Mannheim schon 1928 und Eike Hennig jüngst im Blick auf die 68er gezeigt haben, weitgehend auf Zuschreibungen und Selbstzuschreibungen - je nach Bedarf positiv oder negativ akzentuiert. 1968 gab es in der Bundesrepublik 280.000 Studenten, das entspricht fünf Prozent eines Jahrgangs. Der SDS hatte bundesweit höchstens 2500 Mitglieder, selbst in Berlin gehörte bestenfalls ein Drittel der Studenten zu den Demonstranten, die nach 1969 in eine Vielzahl von politischen Gruppen zerfielen. Dass sich damals, wie Aly schreibt, "eine Generation auf den Revolutionstrip" begeben habe, ist haltloses Gerede.
Ein Beispiel für Alys Interpretation empirischer Befunde: Eine repräsentative Umfrage ergab, dass 1968 rund vier Fünftel der Studenten dafür plädierten, "dass die deutsche Politik sich von westlicher Bevormundung freimachen sollte." Das verlängert Aly zur Spekulation:
"Im Antiamerikanismus überschnitten sich die Gedankenwelten der von Goebbels verformten Eltern und ihrer zu hartem Contra aufgelegten Kinder."
Aly kann nicht bestreiten, dass rund um 1968 zwischen Studierenden und ihren Eltern hart gestritten wurde um die deutsche Vergangenheit und die Mitverantwortung dafür.
"Zum Crash kam es in den Familien, beim Abendessen. Was immer die Eltern gewusst, wie immer sie sich verhalten hatten, sie reagierten hilflos. Sie schwiegen verstört, wütend, suchten nach Ausflüchten."
Aly belegt das nicht näher, aber er stellt freihändig eine Ferndiagnose. Obwohl er eben noch massenhafte Familienkräche einräumte, behauptet er:
"1967/68 wandte sich die Protestjugend von den familiengeschichtlich noch verstörend nahen NS-Verbrechen ab und verhüllte sie hinter dafür geeigneten Faschismustheorien ... Damit war die Flucht aus der historischen Verantwortung vollzogen."
Die ganze Protestbewegung erscheint in Alys von starken Ressentiments gegen Theorien und Intellektuelle geprägter Perspektive als "Schuldabwehr-Antisemitismus", worin die zerstrittenen Familien angeblich wieder zueinander fanden. Küchenpsychologisch funktioniert das so: Weil der Kampf gegen die Väter unentschieden blieb, richteten sich die Aggressionen danach gegen den Staat. Selbst darin, dass sich der SDS in einer präzisen Erklärung im Sechstagekrieg nicht auf die Seite des Eroberers und Siegers Israel stellte, sondern auf die Seite der Palästinenser und Flüchtlinge, zeige sich nur ...
" ... die auf Schuldabwehr und Schuldübertragung gerichtete Tendenz des linken Antisemitismus."
Will Aly dem Leser weismachen, der weltweite Protest sei ein Produkt deutsch-spekulativer Psycho-Historie gewesen? Das ist kein "irritierender Blick zurück", den der Untertitel verspricht, sondern ein rundweg verwirrter Blick.
Alys Kampfbuch richtet sich pauschal gegen "die" 68er, vor allem aber gegen jene unter seinen maoistischen Weggefährten, die politisch oder geschäftlich Karriere gemacht haben. Einige werden namentlich genannt, andere bleiben so anonym, dass jeder Insider merkt, wer gemeint ist.
Für den Historiker Aly könnten ein paar seltsame Faux pas nachhaltige Wirkungen haben. Kein Leser ordentlicher Zeitungen bezeichnet heute die Übergabe der Macht an Hitler durch die konservative Elite noch als "Machtergreifung". Und während Aly noch ein Buch zuvor noch über Hitlers "Gefälligkeitsdiktatur" improvisierte, tauft er diese nun situationsgerecht in "Jungenddiktatur" um, allein um sie mit der Jugendrevolte von 68 wenigstens in einen suggestiv-rhetorischen Zusammenhang bringen zu können. Mit solchen Mätzchen und substanzloser Polemik ruiniert Aly seinen Ruf ebenso wie mit Thesen wie der, die Vorliebe der 68er für Fremdwörter zeuge davon, dass sich diese "präpotenten Wahnsinnigen" von deutscher Sprache und deutscher Nation verabschiedeten.
Neben indiskutablen Analogien wie dem Slogan "USA-SA-SS" gab es seitens vieler 68er eine unentschuldbare Toleranz gegenüber Exzessen auf dem Campus und ein ignorantes Wegsehen vom mörderischen Vandalismus in China und Kambodscha. Schlicht unredlich ist jedoch Alys Versuch, die gesamte Protestbewegung in Sippenhaft zu nehmen für den Schwachsinn der maoistischen Sekten und die mörderischen Taten der RAF.
Götz Aly: Unser Kampf 1968 - ein irritierter Blick zurück
Verlag S. Fischer, Frankfurt, 2008