Ein Shooting-Star

Von Jan Tengeler · 29.03.2010
Die Fähigkeiten des Pianisten Yaron Herman haben sich längst über die Jazzszene herumgesprochen. So bezeichnete ihn eine Modezeitschrift als einen "Harry Potter seiner Art", dem sein Improvisationsstil sogar den Weg an die Pariser Sorbonne geebnet habe. Nun tourt der Israeli mit seinem Solo-Programm durch Deutschland.
Herman: "Es war, als würde ich eine Wand wegschieben: weder meine Hände, noch mein Kopf waren ja darauf vorbereitet - aus dem Nichts habe ich auf einmal nur noch Klavier gespielt. Zum Glück musste ich wegen meines Talentes nicht in die Schule, es hat gereicht, wenn ich zu den Tests gegangen bin.

Musik hatte zuvor gar keine große Rolle gespielt, ich habe da eine ganz normale Teenagersozialisation gehabt, mit Techno und so. Auch meine Eltern hatten damit nicht viel zu tun, da gab es kein Klassik oder Jazz mit Oscar Peterson."

So beschreibt Yaron Herman seine Anfänge als Musiker vor gut 12 Jahren – damals war der bei Tel Aviv aufgewachsene Mann 16 und musste die erste schwere Krise seines Lebens meistern: eine Verletzung zwang ihn zur Ruhe, sein bis dahin wichtigstes Hobby – Basketball – musste er aufgeben. Was macht man so, wenn man auf einmal Zeit hat ohne Ende, aber Computerspiele und einfach nur Rumhängen unbefriedigend sind?

Die Eltern müssen wohl gespürt haben, dass so einiges kreatives Potenzial in ihrem Sohn steckt und haben ihn zu Opher Brayer gebracht, einen in Israel sehr bekannten Musikerlehrer, der genauso viel Wert auf Philosophie, Psychologie und Mathematik legt, wie auf das Musizieren selbst.

Herman: "Das unterscheidet sich deutlich von einem normalen Musikunterricht: In der ersten Stunde sollte ich ihm etwas vorspielen und ich habe gesagt, sorry, ich kann kein Klavier spielen. Dann hat er mich angestarrt, minutenlang.

Schließlich fragte er mich, ob ich Geschwister hätte und ob ich die manchmal schlagen würde – spätestens da hab ich meine Mutter angeschaut und geflüstert: Was soll das? Aber dann haben wir uns noch angeregt über alles Mögliche unterhalten und am Ende der Stunde hat er gesagt: Wunderbar, bis nächste Woche dann."
Das Leben von Yaron Herman ist voll von derartig kuriosen Umständen, wie der ersten Begegnung mit seinem Lehrer. Jedenfalls wird es ihm in Israel schon nach wenigen Jahren zu eng, musikalisch gesehen. Er geht an das Berklee College, die berühmte Jazz Kaderschmiede in Boston, wo es ihm aber nicht besonders gefällt, zu verschult, zu genormt, zur wenig Raum für individuelle Entfaltung.

Herman: "Ich war jung und hatte es eilig, ich wollte nach New York. Dann aber lief mein Visum aus, also nahm ich einen günstigen Flug zurück nach Israel mit Zwischenstopp in Paris. Ich ging in einen Musikclub, spielte bei einer Jamsession und wurde direkt für die kommende Woche engagiert.

Ich sagte: das geht nicht, ich muss morgen weiter, mein Ticket nach Israel. 'Mach dir keine Sorgen, sagten die anderen Musiker. Wir kümmern uns darum.' Und so wurden aus einer Nacht viele Jahre. Das ist das Leben!"

Bis heute wohnt Yaron Herman in Paris, wenn er nicht gerade auf Tournee ist. 100 Konzerte hat er im letzten Jahr gegeben, in über 30 Ländern, die meisten davon in seinem Trio mit dem Bassisten Matt Brewer und dem Schlagzeuger Gerald Cleaver.

Immer wieder ist er aber auch als Solist unterwegs, wie auch jetzt bei seinen Konzerten in Deutschland. Fast wirkt Herman wie ein Besessener, der seinen Beruf, der eine Berufung ist, sehr ernst nimmt.

Herman: "Ich denke oft darüber nach, was es bedeutet, ein Künstler zu sein. Das liegt auch an meinem Lehrer: Bei ihm ging es nicht darum zu sagen: ich möchte ein Musiker werden, wie stelle ich das an? Sondern es ging immer erst um die Frage: Warum möchte ich ein Musiker werden?

Das ist die große Frage, die man erst beantworten muss, dann kann man auch über das 'Wie' nachdenken. Es geht darum, den Menschen etwas zu geben, das sie sonst nicht bekommen können. Für mich ist das ein physisches Bedürfnis."

Im Spiel von Yaron Herman bilden Nahöstliches, europäische Klassik, Anleihen aus der Popmusik, freie Improvisation und die Jazztradition ein organisches Ganzes. Der Pianist achtet dabei auch auf die Balance zwischen 'Kopf und Bauch', zwischen intelligentem Spiel und brillanter Technik auf der einen und romantischen, gefühlsstarken Anklängen auf der anderen Seite. Und so bescheinigen Kritiker seinem Spiel Reife und Tiefgang, obwohl er erst 28 Jahre alt ist.

Alles scheint möglich, Grenzen sind für Herman wie ein Fremdwort. Und 'Grenzlose Kreativität' sei denn auch konsequenterweise sein Traum, seine Vorbilder keine Geringeren als Miles Davis, John Coltrane oder Keith Jarrett, Musiker, die Zeit ihres Lebens gesucht, die sich niemals ausgeruht hätten. Bleibt bei all dieser kreativen Geradlinigkeit nur die Frage, ob dieser junge Mann denn auch noch Zeit zum Leben findet.

Herman: "Ich habe früh begriffen, dass ich einen Preis dafür zahlen muss, dass ich ein Künstler sein möchte. Ich muss einfach viel Zeit investieren. Aber ich vermeide ja auch das Leben nicht, es kommt wie es kommt. Und ich habe nicht den Eindruck, dass mir etwas fehlt."