"Ein Sieg für Scientology"
Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, hat die Mediendebatte um die Verfilmung des 20. Juli mit Tom Cruise in der Rolle Graf Stauffenbergs als Sieg von Scientology bezeichnet. Die Feuilletons der deutschen Medien würden Scientology in der Debatte nicht mehr als gefährlich einschätzen, sagte Steinbach.
Dieter Kassel: In 2 Stunden und 50 Minuten beginnt im Bendlerblock in Berlin die alljährliche Gedenkveranstaltung. Die Veranstaltung, die erinnert an den 20. Juli 1944, an das missglückte Attentat auf Adolf Hitler, die Veranstaltung, die deshalb natürlich besonders erinnert an Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Grund, weshalb über diesen Mann in den letzten Wochen wahrscheinlich mehr geredet wurde als in den letzten Jahren, ist allerdings nicht die Veranstaltung,
63 Jahre, das ist auch kein ausgesprochen runder Jahrestag, sondern es ist der Film, dessen Dreharbeiten gestern begonnen haben, der umstrittene Tom Cruise in der Hauptrolle als Stauffenberg, die Zeitungen sind heute voll mit Fotos. Wir wollen trotzdem an dieser Stelle nicht über diesen dargestellten Stauffenberg sprechen, den werden wir auch erst in vielen Monaten sehen können, sondern über den echten Graf Stauffenberg, über den, so finde ich – das haben gerade die vielen Kommentare der letzten Wochen gezeigt –, man vielleicht doch nicht ganz so viel weiß, wie man leicht glauben könnte. Wer ist der gewesen? Darüber wollen wir jetzt reden mit dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Professor Peter Steinbach, der auch schon seit geraumer Zeit an einer neuen Stauffenberg-Biographie sitzt, die so gut wie fertig ist. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Steinbach.
Peter Steinbach: Guten Morgen, Herr Kassel.
Kassel: Gehen wir doch zurück in die Anfänge. Ist Graf Stauffenberg quasi schon als Held geboren worden, wurde ihm das in die Wiege gelegt?
Steinbach: Nein, niemand wird als Held geboren, sondern man bewährt sich als Held, vielleicht in einer besonderen Situation der Herausforderung. Er ist allerdings sehr prominent geboren. Er kam im alten Schloss in Stuttgart zur Welt, als Kind sehr, sehr hochgestellter Vertrauter des sehr volkstümlichen württembergischen Königs Wilhelm II., und ist dann im Grunde in den Bruch des Krieges hineingekommen mit der Revolution, die im Grunde die Abdankung dieses Königshauses bedeutete und natürlich auch die Stellunglosigkeit – wenn Sie so wollen – seines Vaters. Er war zehn Jahre alt, als der Krieg, oder elf Jahre alt, als der Krieg endete. Er hat immer als Kind davon geträumt, dass er in den Krieg ziehen könnte, er wollte Soldat werden, und auch diese Träume sind dann im Grunde zerstoben. Er hat eine ganz normale, bürgerliche Schulausbildung gemacht, er war kein besonders guter Schüler, er musste Abitur extern machen. Eigentlich wollte er Architekt werden, dann entschloss er sich aber doch zu dienen, dem Staat zu dienen, und schlug die Militärlaufbahn ein, nicht ohne einen gewissen Erfolg und nicht ohne eine große Anerkennung, bei der zum Tragen kam, dass er auf Grund seiner schwächlichen körperlichen Konstitution natürlich eine ganz besondere Willensstärke entwickeln musste.
Kassel: Mir ist Graf Stauffenberg immer sehr preußisch vorgekommen in den späteren Jahren, in denen man …
Steinbach: Er war schwäbisch.
Kassel: Wollte ich gerade sagen, es ist geographischer Unsinn, ich glaube, geboren ist er in Bayern und aufgewachsen im heutigen Baden-Württemberg, was weiß man denn über die Erziehung, über die Eltern? Ist er denn wenigstens preußisch erzogen worden?
Steinbach: Nein, er ist nicht preußisch erzogen worden, sondern er ist eigentlich sehr liebevoll, auch keineswegs hart erzogen worden, er hatte Privatlehrer, was für ihn ganz, ganz wichtig war, war der familiäre Bezug. Das wird auch für die Vorbereitung des Attentats dann wichtig, an seiner Seite steht immer Berthold Stauffenberg, der ältere der Zwillingsbrüder. Entscheidend für ihn war wahrscheinlich, dass er einen Zwillingsbruder, der mit ihm geboren war, Konrad, verlor. Darunter hat er gelitten, er hat sich immer einen Bruder gewünscht. Und ich glaube, das erklärt vielleicht seine ausgesprochene Kontaktfreude. Er hat immer die Nähe zu anderen Menschen gesucht, er war eine Art Menschenfischer, eine Art Brückenbauer und entwickelte da nicht nur eine Leidenschaft, sondern auch eine ganz große Ausstrahlungskraft.
Kassel: Wie weit war er denn … Was Sie jetzt gesagt haben heißt ja – Sie haben mir das noch deutlicher vorhin gesagt –, wenn Graf Stauffenberg noch hier wäre und zehn Minuten mit Ihnen reden würde, Sie würden sich allem anschließen, was er vorschlägt. Wie weit war er umgekehrt bereit, sich anderen Ideen anzuschließen? In den Kommentaren in den letzten Wochen war noch mal von dem Freundeskreis um den Dichter Stephan George die Rede, das wurde mit einer Sekte verglichen, wie angemessen ist zum Beispiel so ein Vergleich?
Steinbach: Solch ein Vergleich ist unangemessen, denn eine Sekte ist religiös, Stephan George zielte im Grunde auf Welt, auf die Welt. Er wollte im Grunde Menschen beeinflussen, die sich als besonders verpflichtet empfanden, Staat und Gesellschaft zu dienen. Es war ein sehr elitärer Anspruch, aber gleichzeitig war es kein überheblicher Anspruch. Wenn Stauffenberg überheblich geworden wäre durch George, dann hätte er nicht mit Leuten aller Dienstränge blitzschnell Kontakt gefunden. Aber ich glaube, diese Verbindung zu George ist insofern sehr wichtig, als in einem diktatorischen System Menschen in ganz besonderer Weise den Sogströmungen ihrer Zeit ausgesetzt sind. Wir Menschen sind eigentlich von Grund auf auf Anpassung angelegte Wesen, und nur diejenigen, die diesen Zwang zur Anpassung reflektieren, die eine Kraft entwickeln, sich zu distanzieren, die eine Mission – wenn Sie so wollen – für sich akzeptieren, die haben dann eine Chance, gegen dieses Regime aufzustehen.
Und insofern ist Stephan George für Stauffenberg sehr, sehr wichtig, weil er lernt, unter Bezug auf George eine Alternative zu dem weltanschaulichen Führungsanspruch der Nationalsozialisten aufzubauen. Das ist wichtig, und wir wissen, dass er in den 20er Jahren stark durch George geprägt hat. Er gehörte also wirklich auch zu dem engsten Kreis derjenigen, die George anhimmelten und anhimmeln durften. Dann ist eine gewisse Phase der Stille, und erst in den Monaten unmittelbar vor dem Attentat, als es um eine Entscheidung geht, da ist überliefert, dass Stauffenberg nun wieder extensiv George zitiert, den Widerchrist zitiert und im Grunde zu diesem distanzierenden Potenzial dieses Dichters zurückkehrt.
Kassel: Das Verhältnis von Graff Stauffenberg zu den Nationalsozialisten – es muss doch zumindest über längere Zeit ein sehr ambivalentes gewesen sein. Wir kennen die Zitate von Stauffenberg über die Polen, über die Besatzung der Nazis, einfach ausgedrückt hat er gesagt, das gönnt er denen, das braucht der Slave. Das heißt – so wie das jetzt bei Ihnen, fand ich, auch ein bisschen klang –, von Anfang an ein Gegner der Nazis oder zumindest jemand, der ihnen misstraut hat, ist er ja nicht gewesen.
Steinbach: Also, ganz, ich glaube, es war nicht mal ambivalent, sondern er war entschieden. Er war ein Funktionsträger eines Staates, der von der NS-Führung geleitet wurde, und der Ziele vertrat, die Stauffenberg mit Sicherheit mit den Nationalsozialisten geteilt hat. Also, das Problem ist, dass er diese Übereinstimmung überwindet. Er ist Funktionsträger des Staates, er dient in der Wehrmacht, er steigt auf – die Wehrmacht bot damals hervorragende Aufstiegschancen, weil sie ja kräftig expandierte –, er nahm am Krieg gegen Polen, gegen Frankreich teil, und uns ist eigentlich auch nicht überliefert, dass es dort zu einem großen, moralischen Bruch kam. Die Deutschen waren, ebenso wie Stauffenberg, von den Siegen der Nationalsozialisten fasziniert. Der Bruch trat eigentlich ein, als er merkte, wie die fremdvölkischen, in Weißrussland, in der Ukraine behandelt wurden, als Sklaven, als Untermenschen. Er war viel stärker der Meinung, man müsse gewissermaßen mit diesen Kräften, die er dort sah, gegen den Bolschewismus kämpfen. Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt, der wichtig war, ein enger Freund von Stauffenberg, Axel von dem Bussche, hatte unmittelbar eine Erschießung von 2000 Juden erlebt und hatte berichtet von diesem Verbrechen, die auch in der Wehrmacht nicht unbekannt waren. Ich vermute, aber da gibt es keine eindeutigen Beweise, es wäre schön, wenn wir eine ganz klare Aussage von Stauffenberg hätten, aber wir haben sie nicht direkt von ihm, dass die Auseinandersetzung mit dem Mord an den Juden für ihn ein moralischer Ausgangspunkt gewesen wäre. Und der dritte Punkt, der, glaube ich, ganz entscheidend ist, ist die Kritik an der dilettantischen Kriegsführung. Er regt sich unheimlich darüber auf, dass diese Führung Menschen opfert, dass sie den Rückzug verbietet, dass sie Flexibilität verbietet. Das führt im Grunde zu einer Kriegsspitzen-Diskussion und damit haben wir im Grunde das Ausgangspotenzial für das Nachdenken danach, für das Vorbereiten auf das Handeln danach.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Historiker Peter Steinbach, er ist der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wir reden heute am 20. Juli über Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Reden wir über die Zeit nach 1945. Heute, damit sind wir bei einer Debatte, auf die wir ganz kurz vielleicht am Schluss noch kommen wollen, heute ist Stauffenberg wohl für die allermeisten Deutschen und nicht nur für die ein uneingeschränkter Held. Das war er nach dem Zweiten Weltkrieg erst mal nicht.
Steinbach: Zunächst galt er mal als Verräter, denn er zeigte ja, dass man sich anders verhalten konnte als folgebereit, als kadavergehorsam. In ihm verkörperte sich eigentlich eine Alternative zur Anpassung. Das ertragen Überlebende schlecht, beziehen sich dann auf Eid, auf Treue, auf Gehorsam, auf Kriegszwänge. Ein neues Stauffenbild entwickelte sich langsam in den 50er Jahren, unter anderem durch einen Prozess, den der Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der dann auch später den Auschwitzprozess führte, einleitete, um den Deutschen ganz klar zu machen, der wahre Verräter an Deutschland ist Hitler. Und ein verratendes Volk kann man nicht noch einmal durch Widerstand verraten. Da brach etwas auf, auch moralisch unterstützt durch Theodor Heuss, der hier in Berlin 1954 vor Studenten ohne jede Polizeibewachung – man kann es sich gar nicht vorstellen – eine wichtige Rede hielt, und dann geriet Stauffenberg eigentlich in das Erinnerungsgefüge der Bundeswehr. Die Bundeswehr suchte eine neue Tradition und knüpfte an den Widerstand an. Anfang der 60er Jahre wurde dann heftig über die demokratische Qualität und Orientierung und parlamentarische und rechtsstaatliche Fundierung der Werte Stauffenbergs und des militärischen Widerstands diskutiert. Das ging dann ziemlich desaströs für den Widerstand auf. Heute sagen wir, er war ein Kind seiner Zeit, er lässt sich aus den Grenzen der Zeit interpretieren. Es gab nicht nur den 20. Juli, das war ein wichtiger Spruch, es gab ihn auch, die Breite und die Vielfalt und die Widersprüchlichkeit des Widerstandes, die wurde dann in den 70er Jahren entdeckt und erst heute konzentrieren wir uns wieder, ich glaube, unter dem Eindruck auch der ständigen Gelöbnisse, die am 20. Juli stattfinden, auf die Person Stauffenbergs.
Kassel: Die Person Stauffenbergs ist nun ausgerechnet heute, am 20. Juli, das erste Mal auf Fotos in so gut wie allen Tageszeitungen mit dem Gesicht von Tom Cruise zu sehen. Die "Bild"-Zeitung hat es auf Seite eins, die seriöseren machen es auf Seite eins bis fünf im Feuilleton. Sie haben hier im Deutschlandradio Kultur am 4. Juli in einem Gespräch die Debatte eigentlich losgetreten, als Sie sehr deutlich gesagt haben, dass Sie das sehr unangenehm finden, um es vorsichtig zu formulieren, wenn der Scientologe Tom Cruise Stauffenberg darstellt in dieser großen Produktion. Sie haben sehr viel Ärger dafür einstecken müssen, große Tageszeitungen, nicht nur die eine große aus Frankfurt, die besonders heftig, aber auch andere haben das ganz anders gesehen, haben die Entscheidung, die Filmcrew nicht im Bendlerblock drehen zu lassen, als undemokratisch bezeichnet. Sie haben sicherlich heute das Foto auch in irgendeinem Blatt gesehen von Cruise. Was denken Sie heute?
Steinbach: Ich glaube, es war richtig, darauf hinzuweisen, dass es geschmacklos ist, eine Erschießung am Ort der Erschießung Stauffenbergs noch einmal nachzustellen. Nur darum ging es. Und das war eigentlich der Ausgangspunkt. Geschmacklos. Ich glaube, wir müssen einfach jetzt abwarten. Die Reaktion der Feuilletons zeigt, dass die Strategie, die Absatzstrategie dieses Filmes, aufgegangen ist. Es ist eine wahnsinnige Vor-Publicity, die produziert wird. Und es ist vor allen Dingen auch gelungen, die Frage der Drehgenehmigung mit der Frage der Freiheit der Kunst zu verknüpfen. Ich glaube, …
Kassel: Ist das ein Sieg für Scientology oder ist es nur ein Sieg eines großen Filmstudios?
Steinbach: Ich glaube schon, dass es ein Sieg für Scientology ist, denn die Feuilletons halten Scientology heute für nicht mehr gefährlich, keiner tut es. Man kann darüber erklären, warum es so ist, das ist ganz sicherlich ein Erfolg. Es hängt vielleicht damit zusammen, dass uns selbst viele konfessionell geprägte Wertstrukturen abhanden gekommen sind. Wir pluralisieren Konfession, konfessionelle Verhältnisse, und ich denke, das ist dann auch einfach eine Folge. Ich habe mich gestört darüber, dass ein erfolgreicher Regisseur wirklich ernsthaft behauptet, es sei doch positiv zu bewerten, dass jemand 100 Millionen …
Kassel: Donnersmarck meinen Sie.
Steinbach: Donnersmack, genau, dass Henckel von Donnersmarck sagte, er fände es herrlich, dass es gelänge, mit solch einer Geschichte wie der Gründungsgeschichte von (…) 100 Millionen zu machen. Es geht also nicht nur um Religion, es geht auch ganz eindeutig um Kommerz.
Kassel: Es ging heute allerdings bei uns in erster Linie um den Menschen Claus Schenk Graf von Stauffenberg, heute, am 20. Juli 2007. Peter Steinbach war das, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und – wir müssen noch einige Monate darauf warten, aber – auch Autor einer neuen Biographie von Stauffenberg. Ich danke Ihnen fürs Kommen.
Steinbach: Ich danke auch.
63 Jahre, das ist auch kein ausgesprochen runder Jahrestag, sondern es ist der Film, dessen Dreharbeiten gestern begonnen haben, der umstrittene Tom Cruise in der Hauptrolle als Stauffenberg, die Zeitungen sind heute voll mit Fotos. Wir wollen trotzdem an dieser Stelle nicht über diesen dargestellten Stauffenberg sprechen, den werden wir auch erst in vielen Monaten sehen können, sondern über den echten Graf Stauffenberg, über den, so finde ich – das haben gerade die vielen Kommentare der letzten Wochen gezeigt –, man vielleicht doch nicht ganz so viel weiß, wie man leicht glauben könnte. Wer ist der gewesen? Darüber wollen wir jetzt reden mit dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Professor Peter Steinbach, der auch schon seit geraumer Zeit an einer neuen Stauffenberg-Biographie sitzt, die so gut wie fertig ist. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Steinbach.
Peter Steinbach: Guten Morgen, Herr Kassel.
Kassel: Gehen wir doch zurück in die Anfänge. Ist Graf Stauffenberg quasi schon als Held geboren worden, wurde ihm das in die Wiege gelegt?
Steinbach: Nein, niemand wird als Held geboren, sondern man bewährt sich als Held, vielleicht in einer besonderen Situation der Herausforderung. Er ist allerdings sehr prominent geboren. Er kam im alten Schloss in Stuttgart zur Welt, als Kind sehr, sehr hochgestellter Vertrauter des sehr volkstümlichen württembergischen Königs Wilhelm II., und ist dann im Grunde in den Bruch des Krieges hineingekommen mit der Revolution, die im Grunde die Abdankung dieses Königshauses bedeutete und natürlich auch die Stellunglosigkeit – wenn Sie so wollen – seines Vaters. Er war zehn Jahre alt, als der Krieg, oder elf Jahre alt, als der Krieg endete. Er hat immer als Kind davon geträumt, dass er in den Krieg ziehen könnte, er wollte Soldat werden, und auch diese Träume sind dann im Grunde zerstoben. Er hat eine ganz normale, bürgerliche Schulausbildung gemacht, er war kein besonders guter Schüler, er musste Abitur extern machen. Eigentlich wollte er Architekt werden, dann entschloss er sich aber doch zu dienen, dem Staat zu dienen, und schlug die Militärlaufbahn ein, nicht ohne einen gewissen Erfolg und nicht ohne eine große Anerkennung, bei der zum Tragen kam, dass er auf Grund seiner schwächlichen körperlichen Konstitution natürlich eine ganz besondere Willensstärke entwickeln musste.
Kassel: Mir ist Graf Stauffenberg immer sehr preußisch vorgekommen in den späteren Jahren, in denen man …
Steinbach: Er war schwäbisch.
Kassel: Wollte ich gerade sagen, es ist geographischer Unsinn, ich glaube, geboren ist er in Bayern und aufgewachsen im heutigen Baden-Württemberg, was weiß man denn über die Erziehung, über die Eltern? Ist er denn wenigstens preußisch erzogen worden?
Steinbach: Nein, er ist nicht preußisch erzogen worden, sondern er ist eigentlich sehr liebevoll, auch keineswegs hart erzogen worden, er hatte Privatlehrer, was für ihn ganz, ganz wichtig war, war der familiäre Bezug. Das wird auch für die Vorbereitung des Attentats dann wichtig, an seiner Seite steht immer Berthold Stauffenberg, der ältere der Zwillingsbrüder. Entscheidend für ihn war wahrscheinlich, dass er einen Zwillingsbruder, der mit ihm geboren war, Konrad, verlor. Darunter hat er gelitten, er hat sich immer einen Bruder gewünscht. Und ich glaube, das erklärt vielleicht seine ausgesprochene Kontaktfreude. Er hat immer die Nähe zu anderen Menschen gesucht, er war eine Art Menschenfischer, eine Art Brückenbauer und entwickelte da nicht nur eine Leidenschaft, sondern auch eine ganz große Ausstrahlungskraft.
Kassel: Wie weit war er denn … Was Sie jetzt gesagt haben heißt ja – Sie haben mir das noch deutlicher vorhin gesagt –, wenn Graf Stauffenberg noch hier wäre und zehn Minuten mit Ihnen reden würde, Sie würden sich allem anschließen, was er vorschlägt. Wie weit war er umgekehrt bereit, sich anderen Ideen anzuschließen? In den Kommentaren in den letzten Wochen war noch mal von dem Freundeskreis um den Dichter Stephan George die Rede, das wurde mit einer Sekte verglichen, wie angemessen ist zum Beispiel so ein Vergleich?
Steinbach: Solch ein Vergleich ist unangemessen, denn eine Sekte ist religiös, Stephan George zielte im Grunde auf Welt, auf die Welt. Er wollte im Grunde Menschen beeinflussen, die sich als besonders verpflichtet empfanden, Staat und Gesellschaft zu dienen. Es war ein sehr elitärer Anspruch, aber gleichzeitig war es kein überheblicher Anspruch. Wenn Stauffenberg überheblich geworden wäre durch George, dann hätte er nicht mit Leuten aller Dienstränge blitzschnell Kontakt gefunden. Aber ich glaube, diese Verbindung zu George ist insofern sehr wichtig, als in einem diktatorischen System Menschen in ganz besonderer Weise den Sogströmungen ihrer Zeit ausgesetzt sind. Wir Menschen sind eigentlich von Grund auf auf Anpassung angelegte Wesen, und nur diejenigen, die diesen Zwang zur Anpassung reflektieren, die eine Kraft entwickeln, sich zu distanzieren, die eine Mission – wenn Sie so wollen – für sich akzeptieren, die haben dann eine Chance, gegen dieses Regime aufzustehen.
Und insofern ist Stephan George für Stauffenberg sehr, sehr wichtig, weil er lernt, unter Bezug auf George eine Alternative zu dem weltanschaulichen Führungsanspruch der Nationalsozialisten aufzubauen. Das ist wichtig, und wir wissen, dass er in den 20er Jahren stark durch George geprägt hat. Er gehörte also wirklich auch zu dem engsten Kreis derjenigen, die George anhimmelten und anhimmeln durften. Dann ist eine gewisse Phase der Stille, und erst in den Monaten unmittelbar vor dem Attentat, als es um eine Entscheidung geht, da ist überliefert, dass Stauffenberg nun wieder extensiv George zitiert, den Widerchrist zitiert und im Grunde zu diesem distanzierenden Potenzial dieses Dichters zurückkehrt.
Kassel: Das Verhältnis von Graff Stauffenberg zu den Nationalsozialisten – es muss doch zumindest über längere Zeit ein sehr ambivalentes gewesen sein. Wir kennen die Zitate von Stauffenberg über die Polen, über die Besatzung der Nazis, einfach ausgedrückt hat er gesagt, das gönnt er denen, das braucht der Slave. Das heißt – so wie das jetzt bei Ihnen, fand ich, auch ein bisschen klang –, von Anfang an ein Gegner der Nazis oder zumindest jemand, der ihnen misstraut hat, ist er ja nicht gewesen.
Steinbach: Also, ganz, ich glaube, es war nicht mal ambivalent, sondern er war entschieden. Er war ein Funktionsträger eines Staates, der von der NS-Führung geleitet wurde, und der Ziele vertrat, die Stauffenberg mit Sicherheit mit den Nationalsozialisten geteilt hat. Also, das Problem ist, dass er diese Übereinstimmung überwindet. Er ist Funktionsträger des Staates, er dient in der Wehrmacht, er steigt auf – die Wehrmacht bot damals hervorragende Aufstiegschancen, weil sie ja kräftig expandierte –, er nahm am Krieg gegen Polen, gegen Frankreich teil, und uns ist eigentlich auch nicht überliefert, dass es dort zu einem großen, moralischen Bruch kam. Die Deutschen waren, ebenso wie Stauffenberg, von den Siegen der Nationalsozialisten fasziniert. Der Bruch trat eigentlich ein, als er merkte, wie die fremdvölkischen, in Weißrussland, in der Ukraine behandelt wurden, als Sklaven, als Untermenschen. Er war viel stärker der Meinung, man müsse gewissermaßen mit diesen Kräften, die er dort sah, gegen den Bolschewismus kämpfen. Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt, der wichtig war, ein enger Freund von Stauffenberg, Axel von dem Bussche, hatte unmittelbar eine Erschießung von 2000 Juden erlebt und hatte berichtet von diesem Verbrechen, die auch in der Wehrmacht nicht unbekannt waren. Ich vermute, aber da gibt es keine eindeutigen Beweise, es wäre schön, wenn wir eine ganz klare Aussage von Stauffenberg hätten, aber wir haben sie nicht direkt von ihm, dass die Auseinandersetzung mit dem Mord an den Juden für ihn ein moralischer Ausgangspunkt gewesen wäre. Und der dritte Punkt, der, glaube ich, ganz entscheidend ist, ist die Kritik an der dilettantischen Kriegsführung. Er regt sich unheimlich darüber auf, dass diese Führung Menschen opfert, dass sie den Rückzug verbietet, dass sie Flexibilität verbietet. Das führt im Grunde zu einer Kriegsspitzen-Diskussion und damit haben wir im Grunde das Ausgangspotenzial für das Nachdenken danach, für das Vorbereiten auf das Handeln danach.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Historiker Peter Steinbach, er ist der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wir reden heute am 20. Juli über Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Reden wir über die Zeit nach 1945. Heute, damit sind wir bei einer Debatte, auf die wir ganz kurz vielleicht am Schluss noch kommen wollen, heute ist Stauffenberg wohl für die allermeisten Deutschen und nicht nur für die ein uneingeschränkter Held. Das war er nach dem Zweiten Weltkrieg erst mal nicht.
Steinbach: Zunächst galt er mal als Verräter, denn er zeigte ja, dass man sich anders verhalten konnte als folgebereit, als kadavergehorsam. In ihm verkörperte sich eigentlich eine Alternative zur Anpassung. Das ertragen Überlebende schlecht, beziehen sich dann auf Eid, auf Treue, auf Gehorsam, auf Kriegszwänge. Ein neues Stauffenbild entwickelte sich langsam in den 50er Jahren, unter anderem durch einen Prozess, den der Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der dann auch später den Auschwitzprozess führte, einleitete, um den Deutschen ganz klar zu machen, der wahre Verräter an Deutschland ist Hitler. Und ein verratendes Volk kann man nicht noch einmal durch Widerstand verraten. Da brach etwas auf, auch moralisch unterstützt durch Theodor Heuss, der hier in Berlin 1954 vor Studenten ohne jede Polizeibewachung – man kann es sich gar nicht vorstellen – eine wichtige Rede hielt, und dann geriet Stauffenberg eigentlich in das Erinnerungsgefüge der Bundeswehr. Die Bundeswehr suchte eine neue Tradition und knüpfte an den Widerstand an. Anfang der 60er Jahre wurde dann heftig über die demokratische Qualität und Orientierung und parlamentarische und rechtsstaatliche Fundierung der Werte Stauffenbergs und des militärischen Widerstands diskutiert. Das ging dann ziemlich desaströs für den Widerstand auf. Heute sagen wir, er war ein Kind seiner Zeit, er lässt sich aus den Grenzen der Zeit interpretieren. Es gab nicht nur den 20. Juli, das war ein wichtiger Spruch, es gab ihn auch, die Breite und die Vielfalt und die Widersprüchlichkeit des Widerstandes, die wurde dann in den 70er Jahren entdeckt und erst heute konzentrieren wir uns wieder, ich glaube, unter dem Eindruck auch der ständigen Gelöbnisse, die am 20. Juli stattfinden, auf die Person Stauffenbergs.
Kassel: Die Person Stauffenbergs ist nun ausgerechnet heute, am 20. Juli, das erste Mal auf Fotos in so gut wie allen Tageszeitungen mit dem Gesicht von Tom Cruise zu sehen. Die "Bild"-Zeitung hat es auf Seite eins, die seriöseren machen es auf Seite eins bis fünf im Feuilleton. Sie haben hier im Deutschlandradio Kultur am 4. Juli in einem Gespräch die Debatte eigentlich losgetreten, als Sie sehr deutlich gesagt haben, dass Sie das sehr unangenehm finden, um es vorsichtig zu formulieren, wenn der Scientologe Tom Cruise Stauffenberg darstellt in dieser großen Produktion. Sie haben sehr viel Ärger dafür einstecken müssen, große Tageszeitungen, nicht nur die eine große aus Frankfurt, die besonders heftig, aber auch andere haben das ganz anders gesehen, haben die Entscheidung, die Filmcrew nicht im Bendlerblock drehen zu lassen, als undemokratisch bezeichnet. Sie haben sicherlich heute das Foto auch in irgendeinem Blatt gesehen von Cruise. Was denken Sie heute?
Steinbach: Ich glaube, es war richtig, darauf hinzuweisen, dass es geschmacklos ist, eine Erschießung am Ort der Erschießung Stauffenbergs noch einmal nachzustellen. Nur darum ging es. Und das war eigentlich der Ausgangspunkt. Geschmacklos. Ich glaube, wir müssen einfach jetzt abwarten. Die Reaktion der Feuilletons zeigt, dass die Strategie, die Absatzstrategie dieses Filmes, aufgegangen ist. Es ist eine wahnsinnige Vor-Publicity, die produziert wird. Und es ist vor allen Dingen auch gelungen, die Frage der Drehgenehmigung mit der Frage der Freiheit der Kunst zu verknüpfen. Ich glaube, …
Kassel: Ist das ein Sieg für Scientology oder ist es nur ein Sieg eines großen Filmstudios?
Steinbach: Ich glaube schon, dass es ein Sieg für Scientology ist, denn die Feuilletons halten Scientology heute für nicht mehr gefährlich, keiner tut es. Man kann darüber erklären, warum es so ist, das ist ganz sicherlich ein Erfolg. Es hängt vielleicht damit zusammen, dass uns selbst viele konfessionell geprägte Wertstrukturen abhanden gekommen sind. Wir pluralisieren Konfession, konfessionelle Verhältnisse, und ich denke, das ist dann auch einfach eine Folge. Ich habe mich gestört darüber, dass ein erfolgreicher Regisseur wirklich ernsthaft behauptet, es sei doch positiv zu bewerten, dass jemand 100 Millionen …
Kassel: Donnersmarck meinen Sie.
Steinbach: Donnersmack, genau, dass Henckel von Donnersmarck sagte, er fände es herrlich, dass es gelänge, mit solch einer Geschichte wie der Gründungsgeschichte von (…) 100 Millionen zu machen. Es geht also nicht nur um Religion, es geht auch ganz eindeutig um Kommerz.
Kassel: Es ging heute allerdings bei uns in erster Linie um den Menschen Claus Schenk Graf von Stauffenberg, heute, am 20. Juli 2007. Peter Steinbach war das, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und – wir müssen noch einige Monate darauf warten, aber – auch Autor einer neuen Biographie von Stauffenberg. Ich danke Ihnen fürs Kommen.
Steinbach: Ich danke auch.