"Ein so verwegener Menschenschlag"

Von Claus Stephan Rehfeld |
Wer etwas gegen Berlin und ein Vorurteil hat, holt gerne das Goethe-Zitat heran, in Berlin lebe "ein so verwegener Menschenschlag beisammen". Nur leider, wer das heutzutage zitiert, unterschlägt dabei so manch andere Berlin-Delikatesse vom großen Meister. Goethe und Berlin - ein hübsch interessantes Verhältnis, pünktlich angesprochen zum 185. Jahrestag des Meisters Ausspruch.
Wer etwas gegen Berlin und ein Vorurteil hat, der beruft sich gern auf Informant Eckermann, also auf Goethe aus zweiter Hand. Im Eintrag 04. Dezember 1823 zitiert E. den Herren G. mit den Worten:

In Berlin "lebt … ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten."

Punktum. Nur leider, wer das heutzutage zitiert, zuletzt vernahmen wir es von einer Thüringer Zunge, unterschlägt dabei so manch andere Berlin-Delikatesse vom großen Meister. Goethe in Berlin, Berlin und Goethe - ein hübsch interessantes Verhältnis. Pünktlich angesprochen zum 185. Jahrestag des Meisters Ausspruch.

Vorspiel

"Der Diener des Hausherrn umhergehend und einen neuen Wein einschenkend wird vom Bischof R. gefragt: was das für Wein sei? Der junge Mensch hatte vielleicht den französ. Namen der auf der Flasche stand nicht lesen können, geht an seinen Herrn heran und fragt. Der Herr etwas ärgerlich antwortet: Schafskopf! Chambertin. So geht der arme Tropf nicht faul zum Bischof und sagt: Schafskopf Chambertin. Und wie mit einem Zauberschlage war … die Losung Schafskopf aufgerichtet und zu belebter Umsprache geworden."
(Zelter an Goethe, 22.März 1832)

Karl Friedrich Zelter, Berlin, 22.März 1832, an seinen Freund Goethe in Weimar.

Kapitel 1: Goethes berliner Handgebäck

In Leipzig, am 11.Mai 1778, hatte Fürst Leopold von Anhalt-Dessau die Gesellschaft eingeladen.

"Vorschlag mit ihm zu gehn. Kurzgefasster Entschluss. bey Tisch zugesagt."
(Goethe, Tagebuch, 11. Mai 1778)

Zwei Tage später bricht die Gesellschaft auf. Herzog Karl August kostümiert sich als "Kammerjunker von Ahlefeld". Sein 28-jähriger Angestellter, Goethe, schleppt schweres berliner Handgepäck mit sich. Im siebenjährigen Krieg zerstritt sich des Knaben Frankfurter Familie heillos über Preußen und Fredericus Rex. Als Student in Leipzig rief er Schwester Cornelia zu,

"ich glaube es ist jetzo in ganz Europa kein so gottloser Ort als die Residenz des Königs in Preusen."
(Goethe an Cornelia Goethe, 13. Oktober 1776)

Nun, ein Kirchgänger ist er weißgott auch nicht. Und just am "gottlosen Ort" ward sein "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" uraufgeführt. Vor vier Jahren war das, am 13. April 1774. Im gleichen Jahr traf "Werther" in Berlin ein und löste ein Fieber aus. Im Jahr darauf knallte der Berliner Nicolai dem Autor seinen Anti-Werther aufs Pult. Und mit Berliner Verlegern ficht Goethe auch so manchen Strauß aus. Berlin?

"(…) wahrscheinlich nicht nordwärts, ob ich gleich gern Lot und seine Hausgenossen in euerm Sodom wohl einmal grüssen möchte. Addio."
(Goethe an Karsch, 17. - 28. August 1775)

Nun kommt er doch nach "Sodom" - nicht ganz freiwillig und in diplomatischer Mission.

Kapitel 2: Der Vorhang geht auf

Er hat momentan Ämter, nur kein poetisches. In Weimar nicht, auf dieser Reise nach Preußen nicht, in Berlin nicht. Er kommt als Beamter, übt sich auf noch ungewohntem diplomatischen Parkett. Es reizt, einmal

"zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesicht stünde."
(Goethe an Merck, 22. Januar 1776)

Eine Ahnung hat er schon … einen Tag, bevor er berliner Pflaster betreten wird:

"(…) ich scheine dem Ziele dramatischen Wesens immer näher zu kommen, da michs nun immer näher angeht wie die Grosen mit den Menschen, und die Götter mit den Grosen spielen. Adieu."
(Goethe an Charlotte von Stein, 14. Mai 1778)

Krieg zwischen Preußen und Österreich droht, der bayerische Erbfolgekrieg. Preußen mag Bayern nicht an Österreich fallen lassen. Berlin macht mobil, der Alte Fritz ist bereits außerhalb bei der Truppe. Nun, es wird ein Krieg ohne Schlachten - der Kartoffelkrieg. Aber das weiß die Reisegesellschaft noch nicht. Sie will die Lage erkunden, macht in Wörlitz Zwischenstation.

"Nach Tische im Regen die Tour vom Parck im Regen. Wie das Vorüberschweben eines leisen Traumbilds."
(Goethe, Tagebuch, 13. Mai 1778)

Der Vorhang geht langsam auf.

"(…) das ganze hat die reinste Lieblichkeit. - Und nun bald in der Pracht der königlichen Städte im Lärm der Welt und der Kriegsrüstungen. (…) Adieu."
(Goethe an Charlotte von Stein, 14. Mai 1778)

Kapitel 3: "Es wimmelt von allem"

"15. Mai (…) in Berl. 9. Abend bey Pr.H.G."
(Goethe, Tagebuch, 15. Mai 1778)

Berlin. Stichworte, Abkürzungen, Geheimzeichen im Tagebuch. Kein vollständiger Satz. Berlin - sechs Tage in 15 Zeilen. Namen, Örtlichkeiten - mehr nicht.

"16.Mai. Berlin. Früh Porzellan fabr. Opernhaus. Cath Kirche Mittag bey Pr. Hans Georg. Nachm Graf(f), Chodowiecki. Wegelin."
(Goethe, Tagebuch, 16. Mai 1778)

Chodowiecki hatte "Werther" illustriert. Den Kupferstecher sucht er als einzigen zweimal auf. Die Karsch, die berliner Stegreifpoetin, wird er auch treffen, andere Berliner Schriftsteller meidet der Reisende.

"17.Mai. Berlin. Zu André durch die Stadt, Spaldings Predigt. Zu Frisch"
(Goethe, Tagebuch, 17. Mai 1778)

Am Abend des 17. Mai, im Brief an die Stein, preßt der 28-jährige die Lippen nicht mehr zusammen.

"Es ist ein schön Gefühl an der Quelle des Kriegs zu sizzen in dem Augenblick da sie überzusprudeln droht. Und die Pracht der Königstadt, und Leben und Ordnung und Überfluss (…). Menschen Pferde Wagen, Geschütz, Zurüstungen, es wimmelt von allem."
(Goethe an Charlotte von Stein, 17. Mai 1778)

Er blickt in das große Räderwerk. Es fasziniert … und es stößt ihn ab.

Kapitel 4: Fast wortlos

"17.Mai. Berlin. (…) Zu Tafel Pr. Heinrich."
(Goethe, Tagebuch, 17. Mai 1778)

Wortkarg der Tagebuch-Eintrag, wortkarg der Schreiber bei der Tafel. Graf Lehndorff versucht den berühmten Tischnachbarn "zum Sprechen zu bringen". "Aber er ist sehr lakonisch … " "Unerträglich hochmütig" - urteilt nicht nur Lehndorff über den bekannten Dichter.

Goethe verschanzt sich. Er hat sich auf "Gleichmut und Reinheit" seines Wesens zu fixieren begonnen, auf das Selbst. Die Stadt, die Mission stören, behagen nicht seinem Gefühl.

"Wenn ich nur könnte bey meiner Rückkunft Ihnen alles erzählen wenn ich nur dürfte. Aber ach die eisernen Reifen mit denen mein Herz eingefasst wird …"
(Goethe an Charlotte von Stein, 19. Mai 1778)

Der Gastgeber, Prinz Heinrich, ist auf Distanz zum Alten Fritz, seinem Bruder, dem vom Goethe lebenslang verehrten. In der Runde fallen Äußerungen, die …

"So viel kann ich sagen ie gröser die Welt desto garstiger wird die Farce …"
(Goethe an Charlotte von Stein, 19. Mai 1778)

Sie ist bald vorbei, in drei Tagen, am 20. Mai, aber nicht zu Ende. Kaum in der kleinen Welt, in Weimar angelangt, schreibt er:

"dem a l t e n F r i t z bin ich recht nah geworden (…) und hab über den großen Menschen seine eignen Lumpenhunde räsonniren hören."
(Goethe an Merck, 05. August 1778)

Der 28-jährige Goethe ist verstört – vom diplomatischen Spiel, von der Kriegsstimmung, von der Großstadt.

"Mit Menschen hab ich sonst gar Nichts zu verkehren gehabt und hab in preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, das sie nicht könnten drucken lassen. Dafür ich gelegentlich als stolz etc. ausgeschrieen bin."
(Goethe an Merck, 05. August 1778)

"Kein laut Wort hervorgebracht" – nur in Berlin?

"(…) äußerst trocken; und verschlossen, wie er’s schon lange … ist", trifft ihn Wieland in Weimar in Begleitung "der schönen Schröterin" an, zwei Tage nach der Rückkehr aus Berlin. Trotz "gereinigter Seele".


Kapitel 5: Berlin rückt näher

"Aber den Werth",

schreibt er 1778 noch aus Berlin,

"den … dieses Abenteuer für mich … hat, nenne ich nicht mit Nahmen."
Goethe (an Charlotte von Stein, 19.Mai 1778)

Doch, er tut es. Später.

Goethe wird die Stadt nicht noch einmal besuchen, trotz vieler Einladungen, aber sich oft in ihr aufhalten. Er reist nie wieder nach Berlin, aber Berlin kommt zu ihm. Die Liste seiner Gäste in Weimar ist umfänglich und prominent, reicht von Chodowiecki bis Humboldt.

Über keine andere Stadt besorgt er sich so viele Informationen, saugt sie so begierig auf, ist er so gut unterrichtet … wie über Berlin. Zu keinem anderen Ort pflegt er so intensive und fruchtbare Kontakte: menschlich, politisch, künstlerisch, wissenschaftlich. Von Hegel bis zu Staatsrat Schultz.

Zwei Biografien stehen sich gegenüber: Weimar und Berlin, Ackerbürgerstadt und Großstadt; Seele oder Sodom, Ruhe oder Gewimmel. Dichter oder …

Weimar heißt für ihn Selbstfindung, Berlin Zerstreuung. Berlin ist nicht Weimar, und der Berliner schon gar kein Kleinstädter.

Kapitel 6: Prügel und Lob

"Da kam ein schöner Geist herbei,
Der hatte seinen Stuhlgang frei."

(Goethe in Nicolai an Werthers Grabe)

Die Schmähreime auf den Anti-Werther flossen ihm noch 1775 aus der Feder. Nicolai hatte in den "Freuden des jungen Werthers" Hühnerblut aus der Pistole spritzen lassen. Werther und Lotte heiraten und bekommen acht Kinder. Goethe nahm übel.

"Hätt er geschissen so wie ich,
er wäre nicht gestorben!"


"Nicolai auf Werthers Grabe", verfasst zur "stillen … Rache." Goethe konnte auch austeilen, wiewohl Nicolai mehr das Werther-Fieber auf die Federspitze genommen hatte. Egal, noch Jahrzehnte später wird der Berliner mit literarischer Prügel bedacht: in den Xenien und im Faust. Der stichelt in der Walpurgisnacht des ersten Teils:

"Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
Ist er von Geistern und von Geist kuriert."

(Goethe, Mephistopheles in "Faust")

Das ist nicht nur derb. Der Riß geht tiefer. Der Berliner Verleger, Autor und Kritiker Friedrich Nicolai ist Verfasser des Anti-Werther und ein Wortführer der Berliner Aufklärung. Die setzt auf den praktischen Nutzen der Kunst, Goethe auf Kunst als Kunst.

"Daß mein Prolog Beifall erhielt, freut mich sehr, ich konnte den zutraulichen Antrag nicht ablehnen, ob ich schon mit Gelegenheitsgedichten nicht gern in die Ferne wirke. Den guten Willen der braven Berliner gegen mich weiß ich gewiß zu schätzen, leider daß ich nicht in Person zu danken im Stande bin."
(Goethe an Staatsrat Schultz, 15. Juli 1821)

Der Ton des 73-jährigen klingt versöhnlicher.

Der "Prolog zur Eröffnung des Berliner Theaters im Mai 1821" floß ihm schnell und freudig aus der Feder. "Iphigenie" ward gegeben, das Stück mit langem Beifall aufgenommen. Und 82-jährig sendet er einem berliner Freund die Zeilen nach:

"Sie wieder in Berlin zu wissen. Ich lebe dort mehr, als ich sagen kann, und vergegenwärtige mir möglichst das mannigfache Große, was für die Königsstadt, für Preußen und für den ganzen Umfang der Kunst und Technik, der Wissenschaft und Geschäftsordnung geleistet und gegründet wird."
(Goethe an Rauch, 20. Februar 1832)

Kapitel 7: FR & Preußen

"… die grose alte Walze FR … die diese Melodieen eine nach der anderen hervorbringt."
(Goethe an Charlotte von Stein, 17. Mai 1778)

Im Brief an die Stein aus Berlin, im Mai 1778, steht FR für Fredericus Rex. Der spaltete schon im siebenjährigen Krieg die Frankfurter Sippe.

"Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los."
(Goethe in "Dichtung und Wahrheit")

Ging gar mit Messer und Degen aufeinander los. Schwiegervater Textor war habsburgisch, Vater Goethe fritzisch.

"Und so war ich denn auch preußisch oder, um richtiger zu reden, fritzisch gesinnt: denn was ging uns Preußen an? Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte."
Goethe (in "Dichtung und Wahrheit")

Zu Preußen bleibt ein distanziertes Verhältnis, für den Alten Fritz die Bewunderung. Er bezeichnet ihn als "Genius".

Und ausgerechnet sein "Genius" zerreißt, zwei Jahre nach der Berlin-Visite, öffentlich den "Götz von Berlichingen". Das Stück verstoße "gegen sämtliche Regeln der Dramatik". Der Gescholtene gibt seine Antwort nicht in Druck, aber ein Jahr später zu Briefpapier.

"Wenn der König meines Stücks in Unehren erwähnt, ist es mir nichts befremdendes. Ein Vielgewaltiger, der Menschen zu Tausenden mit einem eisernen Scepter führt, muß die Production eines freien und ungezogenen Knaben unerträglich finden."
(Goethe an Jenny von Voigts, 21. Juni 1781)

Wie ein Berliner beharrt der 31-jährige "Knabe" "ungezogen" auf seinem Standpunkt und sieht sich als Schriftsteller

"bezüglich auf das Jahrzehend, um nicht zu sagen Jahrhundert, unserer Litteratur."

Er schreibt dies 1781 aus Weimar. Drei Jahre zuvor waren ihm in Berlin "tausend Lichter aufgangen" - über Preußen, über große Politik, über sich und seinen Platz. Gleich am Tag nach der Ankunft in Weimar schickt er der Stein ein sehr gefühliges Billett:

"In meinem Thal ist mirs lieber und wohler als in der weiten Welt."
(Goethe an Charlotte von Stein, 02. Juni 1778)

Kapitel 8: Der Berliner

"Es lebt aber … dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten."
Goethe (zu Eckermann, 04. Dezember 1823)

Eckermann hat den Ausspruch auf Donnerstag, den 4. Dezember 1823 datiert. Wilhelm von Humboldt war gerade 10 Tage hier, Zelter ist noch auf Besuch in Weimar. Und auf ihn, der gerade nicht im Zimmer ist, beziehen sich diese Worte.

"Er kann (…) bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe, ja mitunter sogar etwas roh erscheinen. Allein das ist nur äußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich so zart wäre wie Zelter."

Die Berlin-Schelte dient der Rechtfertigung des Charakters des besten Freundes. Und wir wissen, dass auch Meister G. sehr "preußisch" werden konnte. Ja, rauhe Schale, weicher Kern - der Berliner "Schnauze mit Herz". Zelter billigt er es zu. Und zwei Jahre später auch dem Berliner:

"Ihr Berliner … seid mir die wunderlichsten Leute, Ihr schmaust und trinkt und verzürnt Euch unter einander, so daß Mord und Totschlag im Augenblick und tödlicher Haß in der Lebensfolge daraus entspringen müßte, wäre es nicht in Eurer Art, das Widerwärtige auch stehen zu lassen, weil denn doch am Ende alles neben einander verharren kann, was sich nicht auf der Stelle aufspeist."
(Goethe an Zelter, 30. Dezember 1825)

"O ihr Athenienser!" - er spielt launig mit Berliner Begriffen, fordert schon mal "einen Trunk Berliner Lebenslust", poltert dann wieder rum, um sich, "wie oft und viel habe ich Ursache", um sich nach Berlin zu wünschen.

"Das Völkchen besitzt viel Selbstvertrauen, ist mit Witz und Ironie gesegnet und nicht sparsam mit diesen Gaben."
(Goethe an Lobe, Juli 1820)

Kapitel 9: Der berliner Freund

"Wenn Du fortfährst so grob zu sein, wie gegen die unlustige gräfliche Person, so wirst Du schon was zu Wege bringen; das geist- und sorgenlose Wesen der Menschen ist … gar häufig."
(Goethe an Zelter, 14. April 1816)

Der 67-jährige Goethe ermuntert den 10 Jahre jüngeren Wahlverwandten - Karl Friedrich Zelter. Er ist Goethes Stadthalter in Berlin und bevorzugter Komponist seiner Gedichte, diplomatischer Handlanger und vertraulicher Ansprechpartner, launiger Schreiber und Lieferant von Teltower Rübchen an Goethe. Der braucht den Freund … und Berlin, fordert ein ums andere Mal Nachricht aus "Sodom".

"Schreibe mir von dem Erfolg … so derb als möglich, denn das kleidet euch Berliner doch immer am besten."
(Goethe an Zelter, 19. März 1818)

Wiederholte Einladungen nach Berlin schlägt Goethe aus. Aber er schickt 1819 Sohn August und Ottilie für einen Monat nach Berlin. August soll dem Vater ein Tagebuch führen, Zelter sich kümmern. Und wir hören auf, denn seit der Berlin-Reise der

"Kinder bei Euch (…) steh ich in einem stillen wunderlichen Verhältnis zu Berlin; ich begreife nämlich kaum, wie ihr, hastig lebend, so viel genießend, euch grenzenlos zerstreuend, doch noch nebenher auch wieder fürs Leben sorgen könnt?"
(Goethe an Zelter, 18. Februar 1821)

Drei Jahrzehnte währt die Wahlverwandtschaft zwischen Goethe und Zelter. Mit der Veröffentlichung der einmaligen Korrespondenz will Goethe seine Werkausgabe letzter Hand abschließen. Am 22. März 1832 greift Freund Zelter wieder zur Feder.

"Nun les ich im 33ten Band die Sammlung Deiner Rezensionen zum ersten Male und bin zufrieden mit - mir, indem ich es mit Dir bin. Ein Urteil muß nicht überredend aber unterrichtend sein, wenn der Sache an sich ihr Recht werden soll. Dein Z. Donnerstag den 22 März 1832"
(Zelter an Goethe, 22. März 1832)

Donnerstag, den 22. März 1832. Mittags um halb 12 Uhr ist Goethe verstorben. Der Brief, in dem Zelter einen hübschen berliner Witz zum besten gibt, trifft am Tag der Beisetzung in Weimar ein. Wenige Wochen später stirbt Zelter in Berlin.

Nachspiel

Ach ja, für die, die noch immer ein Vorurteil und etwas gegen Berlin haben: Blättern Sie ein paar Seiten weiter, bei Eckermann. Da findet sich ein hübsche Pointe auf den "so verwegenen Menschenschlag" und die verschmähten "Delikatessen" und den ach so derben Berliner. Ja, da: Mittwoch, den 30. März 1831. Haben Sie es?

Der Weimarer verpasst der Berliner Veranlagung eine nette Wendung - Meister G. und sein Schreiber E. sprechen gerade über das Dämonische. Und wir notieren seine Worte:

"Es wirft sich gern an bedeutende Figuren, (…) auch wählt es sich gerne etwas dunkle Zeiten. In einer klaren prosaischen Stadt, wie Berlin, fände es kaum Gelegenheit, sich zu manifestieren."
(Goethe zu Eckermann, 30. März 1831)

Hübsch, nicht wahr!