Ein Spiel mit der Zeit
Männer in der Krise sind das große Thema des Schriftstellers Martin Suter. So auch in seinem neuen Roman, einem Kammerspiel, in dessen Mittelpunkt zwei Witwer stehen. Suter hat "Die Zeit, die Zeit" seinem verstorbenen Sohn gewidmet. Dass er sich mit Trauer auskennt, ist spürbar.
"Etwas war anders, aber er wusste nicht, was." So lautet der erste Satz des neuen Romans von Martin Suter, der die Stimmung vorgibt und zum Basso continuo wird. Peter Taler steht am Fenster, er schaut auf die Straße wie jeden Tag. Seit vor gut einem Jahr seine Frau dort unten erschossen wurde, ist die Welt nicht mehr die gleiche. Doch nicht nur der 42-jährige Held trauert um seine Frau.
Martin Suter stellt ihm einen alten Mann zur Seite, der vor zwanzig Jahren Witwer wurde. Er wohnt in der gleichen Straße, direkt gegenüber. Zwei Beobachter, die sich gegenseitig ins Visier nehmen, sind sie zu Beginn des Romans. In seinem Verlauf werden sie zu Komplizen und haben Großes vor.
Der pensionierte Lehrer Albert Knupp will sich mit dem Verlust nicht abfinden. Die Unabänderlichkeit des Schicksals ist für ihn kein tröstender Gedanke. Er will es ändern, und er weiß auch, wie. Er ist Anhänger einer Lehre namens "Gravimotion". Sie leugnet die Existenz der Zeit. Alles, was es gibt, sei Veränderung. Sie schaffe die Illusion von Zeit.
Das will er beweisen, und zwar mit einem Experiment, das ihm seine Frau zurückbringen soll. Er will einen bestimmten Tag rekonstruieren, an dem sie noch lebte. Es ist zufällig der 11. Oktober 1991. Damals hatte er eine Leica ausprobiert. Sechs Filme hat er verknipst und verfügt so über zweihundert Bilder, die den damaligen Zustand dokumentieren.
Peter Taler glaubt nicht an diese Theorie. Aber er verspricht sich von seinem Nachbarn die Auflösung des Mordfalls. Schließlich hat er oft das Haus fotografiert. Zwei Fotos von Laura überreicht ihm Knupp und zwei weitere von einem Mopedfahrer beim Betreten und Verlassen des Hauses. Tag für Tag stecken die beiden zusammen, erstellen Pläne, was alles geändert werden muss, dazugehören auch die Gärten und Fassaden von Nachbarhäusern. Sie verkaufen das Ganze als Filmprojekt, beauftragen Firmen und treiben sogar Originalmodelle der drei Autos auf, die damals auf dem Parkplatz standen.
Martin Suter hat "Die Zeit, die Zeit" seinem vor drei Jahren verstorbenen Sohn Toni gewidmet. Dass er sich mit Trauer auskennt, ist spürbar. Etwa wenn er all die Überlistungstechniken nachzeichnet, mit denen man einen Toten ins Leben zurückholen will: das Festhalten an gemeinsamen Ritualen, das Erinnern, das Versprühen von Parfum.
Der Nichtraucher Peter Taler zündet sogar Zigaretten an, um Lauras Anwesenheit zu simulieren. Und doch hat der Roman eine Schwäche: Er will das Genre ins Ziel bringen. "Die Zeit, die Zeit" ist eine Art Science-Fiction im Kleinbürgermilieu. Er beginnt atmosphärisch stark, aber er endet in der Erbsenzählerei. Seitenlang wird jedes Buchsbäumchen, jede Birke, jedes Kinderspielzeug rekonstruiert. Auch die Auflösung des Mordfalls ist nicht überraschend.
Am Ende greift der Autor zum einfachsten Trick, das Ganze plausibel erscheinen zu lassen. Wir verraten ihn nicht, wenn wir dafür einen Wunsch freihaben: Man möge uns wichtige Stoffe endlich mal wieder ohne Krimihandlung präsentieren.
Besprochen von Meike Feßmann
Martin Suter: Die Zeit, die Zeit
Diogenes Verlag, Zürich 2012
197 Seiten, 21,90 Euro
Martin Suter stellt ihm einen alten Mann zur Seite, der vor zwanzig Jahren Witwer wurde. Er wohnt in der gleichen Straße, direkt gegenüber. Zwei Beobachter, die sich gegenseitig ins Visier nehmen, sind sie zu Beginn des Romans. In seinem Verlauf werden sie zu Komplizen und haben Großes vor.
Der pensionierte Lehrer Albert Knupp will sich mit dem Verlust nicht abfinden. Die Unabänderlichkeit des Schicksals ist für ihn kein tröstender Gedanke. Er will es ändern, und er weiß auch, wie. Er ist Anhänger einer Lehre namens "Gravimotion". Sie leugnet die Existenz der Zeit. Alles, was es gibt, sei Veränderung. Sie schaffe die Illusion von Zeit.
Das will er beweisen, und zwar mit einem Experiment, das ihm seine Frau zurückbringen soll. Er will einen bestimmten Tag rekonstruieren, an dem sie noch lebte. Es ist zufällig der 11. Oktober 1991. Damals hatte er eine Leica ausprobiert. Sechs Filme hat er verknipst und verfügt so über zweihundert Bilder, die den damaligen Zustand dokumentieren.
Peter Taler glaubt nicht an diese Theorie. Aber er verspricht sich von seinem Nachbarn die Auflösung des Mordfalls. Schließlich hat er oft das Haus fotografiert. Zwei Fotos von Laura überreicht ihm Knupp und zwei weitere von einem Mopedfahrer beim Betreten und Verlassen des Hauses. Tag für Tag stecken die beiden zusammen, erstellen Pläne, was alles geändert werden muss, dazugehören auch die Gärten und Fassaden von Nachbarhäusern. Sie verkaufen das Ganze als Filmprojekt, beauftragen Firmen und treiben sogar Originalmodelle der drei Autos auf, die damals auf dem Parkplatz standen.
Martin Suter hat "Die Zeit, die Zeit" seinem vor drei Jahren verstorbenen Sohn Toni gewidmet. Dass er sich mit Trauer auskennt, ist spürbar. Etwa wenn er all die Überlistungstechniken nachzeichnet, mit denen man einen Toten ins Leben zurückholen will: das Festhalten an gemeinsamen Ritualen, das Erinnern, das Versprühen von Parfum.
Der Nichtraucher Peter Taler zündet sogar Zigaretten an, um Lauras Anwesenheit zu simulieren. Und doch hat der Roman eine Schwäche: Er will das Genre ins Ziel bringen. "Die Zeit, die Zeit" ist eine Art Science-Fiction im Kleinbürgermilieu. Er beginnt atmosphärisch stark, aber er endet in der Erbsenzählerei. Seitenlang wird jedes Buchsbäumchen, jede Birke, jedes Kinderspielzeug rekonstruiert. Auch die Auflösung des Mordfalls ist nicht überraschend.
Am Ende greift der Autor zum einfachsten Trick, das Ganze plausibel erscheinen zu lassen. Wir verraten ihn nicht, wenn wir dafür einen Wunsch freihaben: Man möge uns wichtige Stoffe endlich mal wieder ohne Krimihandlung präsentieren.
Besprochen von Meike Feßmann
Martin Suter: Die Zeit, die Zeit
Diogenes Verlag, Zürich 2012
197 Seiten, 21,90 Euro