Ein Sportverein engagiert sich

Die Kümmerer vom FC 26 Erkenschwick

10:58 Minuten
Einige Männer sitzen und stehen vor dem Vereinshaus des FC Erkenschwick. Zwei halten einen Ball. An der Wand sieht man das Logo des Vereins sowie das Mosaik eines Fussballers.
Engagement für den sozialen Zusammenhalt: Mitglieder des FC 26 Erkenschwick vor dem Vereinshaus. © Peter Kolakowski
Von Peter Kolakowski |
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Im Ruhrgebiet sind Armut und Hoffnungslosigkeit verbreitet. SPD und Gewerkschaften haben ihren Einfluss verloren. Vielen Menschen fehlen Orientierung und Halt. In Oer-Erkenschwick versucht der Sportverein, Brüche und Umbrüche zu kitten.
Der Spielmannszug "Seeadler" gibt wie immer sein Bestes. Dem traditionellen Anlass angemessen, sind die 20 Musikerinnen und Musiker in ihren Bergmannsanzug mit dem gelb-blauen Stadtwappen geschlüpft, den die Kohlekumpels nur zu ganz hohen Feiertagen aus dem Schrank holen.
Stolz marschieren sie durch die Straßen von Oer-Erkenschwick Richtung Bergbau- und Geschichtsmuseum. Im Gefolge der Spielleute: Ein versprengter Haufen von etwa 50 Weltverbesserern, Kämpfern, Mutigen, tief Enttäuschten. Wie Walter Scharla, der auf seinem motorisierten Seniorenmobil "mitmarschiert". Es ist der 1. Mai 2019.
"Wir waren 1.000 wenigstens. Ich bin 90, ich bin 70 Jahre in der Gewerkschaft, ich habe 1947 die Gewerkschaft wieder mit aufgebaut. Ja ich bin traurig wenn ich das sehe, wie viel paar Mann hier sind. Alle wollen mehr Lohn, aber keiner will was dafür tun. Wenn ich die Leute höre, am Schimpfen über die Regierung, ich bin kein Merkel-Fan, aber trotzdem müssen wir unsere Regierung achten und dann müssen wir was Besseres machen. Ich sag' für den Kollegen, was machst du denn für uns? Was machst du denn für den Staat? Was für´n Staat? Ja, der Staat bist du! Was machst Du dafür? Bist du in einer Partei? Bist du in der Gewerkschaft? Nein, sind alles Arschlöcher! Ja, aber irgendwelche Blödmänner müssen uns doch regieren. Da müssen wir eben sehen, dass wir andere oder bessere kriegen. Wir müssen uns selber beteiligen."

Mit Sport den sozialen Zusammenhalt stärken

Einen halben Kilometer Luftlinie entfernt kämpfen zwei andere Idealisten auf ihre Art für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt. Yilmaz Kabakci und Akif Karadere schmeißen sich in der Umkleide des Sportvereins FC 26 Erkenschwick in ihre Trainer- und Schiedsrichtermontur.
Karadere – Typ schönerer und sportlicher Bruder von George Clooney - kam als Kind aus der Türkei nach Erkenschwick. Landsmann Kabakci – untersetzt, kräftig agil - zog vor 20 Jahren hierher. Beide: Respektpersonen, besonnen und geradeheraus, auf die die Kinder und Jugendlichen hören, wenn sie hier im Sportverein kicken. Sie geben ihnen Halt und Orientierung. Fußball, Schwimmen, Wandern oder auch der Seniorensport waren und sind in der Stadt immer schon stark verbindendes Element zwischen Generationen und Nationen.
"Ich trainiere die zweite und dritte Mannschaft, und alte Herren, macht Riesenspaß. Ich bin ja jung, erst 47, kann noch ein paar Jahre spielen."
"Wir haben viele Nationen hier, auch mit den Flüchtlingen sind viele dazu gekommen, wo wir auch versuchen, uns um die Leute zu kümmern. Wir unterstützen die auch als Verein. Dass der Verein sagt: Brauchst keine Mitgliedschaft zu zahlen, oder wir kaufen Dir ein paar Schuhe."
Unterdessen ist der Demonstrationszug vor dem Bergbau- und Geschichtsmuseum angekommen. Bei Bratwurst und Erbsensuppe hört man sich die Reden von Bürgermeisterin und Gewerkschaftssekretär an.
Höflicher, eher kraftloser Applaus. Zu oft schon hat man die Beschwörungsformeln für mehr Solidarität und gegen Ausbeutung gehört, während in der Stadt vieles den Bach runtergeht. So öffne die Stadt gerade einem solchen üblen Ausbeuter von Mensch und Umwelt doch Tür und Tor, empören sich die Erkenschwicker: Ein Schlacht- und Zerlegebetrieb der Westfleisch will am Ortsrand seine Schlachtkapazitäten auf 100.000 Schweine pro Woche erhöhen. Rechnen die Grünen im Stadtrat vor.
Arbeitsplätze für die Oer-Erkenschwicker? Gleich null. Die Arbeiter werden nämlich viel billiger aus Osteuropa importiert mit all den sozialen Problemen, die in und an der Stadt hängenbleiben.

Die AfD ist bereits im Stadtrat vertreten

Silke Krieg ist bei den Grünen und stellvertretende Bürgermeisterin. Fast schon beschwörend hat sie in ihrer Rede die Erkenschwicker aufgerufen, eine demokratische Partei zu wählen – und erklärt die Lage in ihrer Stadt:
"Erkenschwick ist die einzige Stadt im Kreis Recklinghausen, also die einzige unter zehn Städten, wo die AfD im Stadtrat ist. Es gab die UBP, das war die unabhängige Bürgerpartei, und die Ratsmitglieder sind in die AfD gewechselt, so dass wir die AfD ohne Wahl im Rat haben. Es gibt natürlich viele Herausforderungen. Wo wir gerade von Investoren geredet haben: Hier wird sich das Stadtbild auch verändern. Gegenüber wird zum Beispiel das Altenzentrum erweitert. Daneben soll es ein Hotel geben, was von gehandicapten Menschen betrieben wird. Dann haben wir ein großes Projekt, den Sportverein FC 26, der ausgebaut wird, wo viele Millionen einfließen an Fördergeldern, ein Anlaufpunkt für jung und alt."
Genauer: 2,25 Millionen, erklären Ernst Lübbert, Kassenwart und Horst Nilius, 1. Vorsitzender beim FC 26.
"Ja wir sind jetzt gerade bei den Spielen der Freundschaft, die wir hier im Juni zusammen mit der Stadt organisieren. Das wird für mich als Kassierer immer wieder eine Herausforderung, genauso wie die Veränderung hier am Platz. Was dann auch die Möglichkeit bietet, den Verein auf andere Füße zu stellen."
"Die Idee ist vor eineinhalb Jahren mit Stadt und Verein entstanden. Dass die Begegnung der Generationen ganz, ganz wichtig ist, die Anlage so auszubauen, dass alle Generationen sich hier wiederfinden. Alle Menschen jeder Altersgruppe sind angesprochen, sich hier wiederzufinden."
Finanziert wird das Sport- und Begegnungszentrum vom Bund, dem Land NRW und der Stadt. Ergänzt Michael Grzeskowiak, 2. Vorsitzender und hauptamtlich bei der Stadt als Fachdienstleiter tätig. Stolz beschreibt Grzeskowiak, wie der riesige Sportplatz einmal aussehen wird.
Gruppenbild einer Mannschaft von jungen Fussballern um die 18 Jahre.
Junge Fußballer in Oer-Erkenschwick: Sport verbindet.© Peter Kolakowski
"Hier entsteht die künftige Anlage für den Fußballsport. Zu meiner Rechten wird dann die neue Pump-Track für Individualsportler entstehen. Das sind so Erdaufschüttungen, wo die mit ihren Fahrgeräten, ihren Bikes Übungen durchführen können. Hinter der Anlage wird dann der Seniorenbereich komplett gestaltet mit Boule-Anlage, Besinnungsgarten, Spiel-Geräten für Senioren. Im Übergang zum Spielplatz, auch da war es uns wichtig, jung und alt zu integrieren. Dort drüben wird diese Skate-Board-Anlage entstehen, es wird eine Beach-Volleyball-Anlage erneuert, dann wird auch dem Schulsport-Gedanken Rechnung getragen durch eine zusätzliche Sprunggrube."

Einst kamen Arbeitsmigranten, heute Flüchtlinge

Auch die Kirchengemeinden haben schon gratuliert. Für Pfarrer Reinhard Vehring von St. Marien ist Sport angesichts der Flüchtlingskrise ein immanent wichtiger Beitrag zur Integration, schrieb er dem FC 26 ins Stammbuch.
Neben den Vereinen kümmern sich nämlich gerade die evangelischen und katholischen Pfarreien aus Traditionen heraus in der Stadt vorbildlich um die Neuankömmlinge. Waren es in der Zeit der industriellen Revolution die Kowskis, Slowiks und Gresziks, die aus Polen, Schlesien, der Tschechei ins Ruhrgebiet zum Kohleabbau auch nach Oer-Erkenschwick kamen, sind es nun Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Kongo. Das Problem: Die Menschen bleiben meist unter sich, meint eine Erkenschwickerin, denn sie haben weder Arbeitskollegen noch Familie, sind nicht Mitglied in Gewerkschaft oder Partei, bleiben außen vor.
Generell sehen die Zukunftsaussichten für die Stadt nicht gut aus. Ein Städteranking des Berlin-Instituts für Demographie verweist den Kreis Recklinghausen mit seinen Städten auf Platz 407 – von insgesamt 412. So klagen die Besucher, die zum Kaffeetrinken in das IGBCE-Zentrum gekommen sind. Ein Geschenk der Gewerkschaft an die Stadt. Bei einem riesigen Stück Torte mit Kaffee zum Solidaritätspreis von 2,50 Euro wird da dann der neueste Klatsch ausgetauscht. Was ist schön an Erkenschwick?
"Eigentlich alles, bis auf den Stadtkern. Da wurde vieles falsch geplant, aber das Ganze drumherum und die Menschen. Und der soziale Zusammenhalt? Bei den älteren Mitbürgern ist der gut. Das sieht man ja heute, sind fast nur Ältere da. Und bei den Jüngeren? Die in den Sportvereinen sind, ist natürlich klar, aber die, die keinen Anschluss finden oder keinen Anschluss finden wollen, das ist natürlich schlecht."

Trotz aller Probleme: Die Zahl der Einwohner wächst

Und während die AfD auf Ab- und Ausgrenzung setzt, kämpft der FC 26 mit seinem Sport- und Begegnungszentrum für mehr sozialen Zusammenhalt.
Dabei hatte die Stadt bereits in der Vergangenheit bundesweit einmalige Projekte ins Leben gerufen. Deutschlands erste "ganz offene Tür", ein Treff für Jugendliche gleich welcher Nation. Die Freizeitstätte Stimbergpark, das seinerzeit modernste Familienfreibad mit Wellenbad idyllisch am Waldrand der Haard gelegen, einem einzigartigen Naturschutzgebiet. Und demnächst eben auch das Sport- und Begegnungszentrums für soziale Integration.
Immerhin: Oer-Erkenschwick wächst, derzeit wohnen hier knapp über 30.000. Was aber passiert, wenn Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften und Kirchen weiter implodieren, das Narrativ von Gemeinsinn, Solidarität, Respekt und Weltoffenheit auch in Oer-Erkenschwick verloren geht, die Deutungshoheit über das Leben in der Stadt andere übernehmen?
Man wird sehen, ob andere - Sportvereine wie zum Beispiel der FC 26 mit seinen Ehrenämtlern und dem Begegnungszentrum - den sozialen Zusammenhalt werden erhalten und fördern können.
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