Ein ständiges Auf und Ab
Nach und nach wird das Werk von Franz Kafka hörbar gemacht. Im vergangenen Jahr erschien im "Hörverlag" sein Roman "Der Prozess". Nun hat der Verlag die Fassung eines weiteren Kafka-Romans vorgelegt. Für den Amerika-Roman "Der Verschollene" hat Beate Andres die Regie übernommen.
Karl Roßmann wird von seinen Eltern wegen einer moralischen Verfehlung in die Staaten geschickt. Die Spuren des jungen Mannes, der versucht, in der neuen Welt sein Glück zu finden, verlieren sich.
"Roßmann, warum kommen Sie denn nicht?"
Kafkas Romanfragment erschien 1927 postum zunächst unter dem Titel "Amerika". Für die Hörspielbearbeitung hat die Regisseurin Beate Andres die Vorlage stark verdichtet. Die etwa 25 Figuren, die in Kafkas Roman bedeutend sind, werden im Hörspiel von nur acht Schauspielern gesprochen. Während Cornelius Obonya und Martin Reinke in jeweils fünf Rollen überzeugen, wurde Jörg Pohl allerdings nur für eine Rolle verpflichtet. Er spricht den Karl Roßmann, wobei es ihm gelingt, dem Staunen, das seine Figur bis zum Schluss auszeichnet, stimmlichen Ausdruck zu verleihen. Als das Schiff, mit dem Karl aus Europa kommt, in den Hafen von New York einfährt, fällt sein Blick auf die Freiheitsstatue.
"Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte. 'So hoch', sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht mehr an das Weggehn dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger, die an ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer geschoben."
Durch diese Vielstimmigkeit, auch die Erzählerrolle wird nicht von einer, sondern von verschiedenen Personen gesprochen, gelingt es dem Hörspiel, die wechselnden Handlungsstränge zu lebendigen Klangräumen werden zu lassen.
"'Ja haben Sie denn noch keine Lust auszusteigen?' 'Ich bin doch fertig', sagte Karl und hob, aus Übermut und weil er ein starker Junge war, den Koffer auf die Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig seinen Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er, dass er seinen Regenschirm unten im Schiff vergessen hatte."
Er sucht ihn im unteren Teil des Schiffes. Doch statt des Regenschirms findet er seinen in Amerika lebenden Onkel Jakob. Fortan hat es den Anschein, als würde Karl weder den Regenschirm noch seinen Koffer brauchen, da der reiche Onkel gewillt ist, seine schützende Hand über den Neffen zu halten. Mit Karl geht es zunächst aufwärts. Doch eine Belanglosigkeit genügt und Karl büßt die Gunst seines Onkels ein, der ihn gnadenlos fallen lässt. Gerade noch oben, ist Karl bereits wieder unten. Das ständige Auf und Ab macht Kafka im Bild des Fahrstuhls fest. Besonders eindrucksvoll gelingen der Hörspielbearbeitung die Szenen, in denen Karl bei seiner Arbeit als Liftboy in einem Hotel vorgestellt wird.
"Klingeln einer Liftglocke"
Mit dem Fahrstuhl befördert er die Hotelgäste.
"Bald lernte Karl die kurzen tiefen Verbeugungen machen, die man von den Liftjungen verlangt und das Trinkgeld fing er im Fluge ab."
Abwechselnd geht es nach oben und nach unten, doch seinem Ziel kommt Karl nie wirklich näher. Es erweist sich als "so hoch"...
"'So hoch'"
... und bleibt für ihn schließlich unerreichbar.
"Schließen einer Fahrstuhltür"
In einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1915 nennt Franz Kafka Karl Roßmann den "Schuldlosen". Darüber hätte ein Booklet Auskunft geben können, doch leider verzichtet der Verlag auf eine solche Handreichung. Auch die Textfassung, die dem Hörspiel zugrunde liegt, wird nicht genannt - und es findet sich darüber hinaus kein Hinweis, nach welchen Gesichtspunkten der Text gekürzt wurde.
"Man muss eben den Mechanismus kennen, sagte sich Karl."
Behilflich ist ihm dabei die Oberköchin des Hotels, in dem Karl als Liftboy arbeitet. Juliane Koren verleiht ihr Strenge und Mütterlichkeit zugleich. Auch Bibiana Beglau, die in der Rolle der Clara und als Fanny ihr Können unter Beweis stellt, trägt sehr zum Gelingen dieses Hörspiels bei. Besonders überzeugt die Produktion des Südwestfunks durch die sehr wirkungsvoll eingesetzten Klang- und Geräuschakzente.
Die vibrierende und in vielen Tonlagen klingende Welt, von der Kafkas Roman handelt, wird so für den Hörer über das Ohr erfahrbar. Ob es Karl gelingt, bei seinem neuen Arbeitgeber sein Glück zu finden, erfahren wir nicht.
"Das große Theater von Oklahoma ruft euch. Es ruft nur heute, nur einmal. Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer. Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns. Jeder ist willkommen."
Besprochen von Michael Opitz
Franz Kafka: Der Verschollene
Hörverlag, München 2011
2 CDs, 120 Minuten, 19,99 Euro
"Roßmann, warum kommen Sie denn nicht?"
Kafkas Romanfragment erschien 1927 postum zunächst unter dem Titel "Amerika". Für die Hörspielbearbeitung hat die Regisseurin Beate Andres die Vorlage stark verdichtet. Die etwa 25 Figuren, die in Kafkas Roman bedeutend sind, werden im Hörspiel von nur acht Schauspielern gesprochen. Während Cornelius Obonya und Martin Reinke in jeweils fünf Rollen überzeugen, wurde Jörg Pohl allerdings nur für eine Rolle verpflichtet. Er spricht den Karl Roßmann, wobei es ihm gelingt, dem Staunen, das seine Figur bis zum Schluss auszeichnet, stimmlichen Ausdruck zu verleihen. Als das Schiff, mit dem Karl aus Europa kommt, in den Hafen von New York einfährt, fällt sein Blick auf die Freiheitsstatue.
"Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte. 'So hoch', sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht mehr an das Weggehn dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger, die an ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer geschoben."
Durch diese Vielstimmigkeit, auch die Erzählerrolle wird nicht von einer, sondern von verschiedenen Personen gesprochen, gelingt es dem Hörspiel, die wechselnden Handlungsstränge zu lebendigen Klangräumen werden zu lassen.
"'Ja haben Sie denn noch keine Lust auszusteigen?' 'Ich bin doch fertig', sagte Karl und hob, aus Übermut und weil er ein starker Junge war, den Koffer auf die Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig seinen Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er, dass er seinen Regenschirm unten im Schiff vergessen hatte."
Er sucht ihn im unteren Teil des Schiffes. Doch statt des Regenschirms findet er seinen in Amerika lebenden Onkel Jakob. Fortan hat es den Anschein, als würde Karl weder den Regenschirm noch seinen Koffer brauchen, da der reiche Onkel gewillt ist, seine schützende Hand über den Neffen zu halten. Mit Karl geht es zunächst aufwärts. Doch eine Belanglosigkeit genügt und Karl büßt die Gunst seines Onkels ein, der ihn gnadenlos fallen lässt. Gerade noch oben, ist Karl bereits wieder unten. Das ständige Auf und Ab macht Kafka im Bild des Fahrstuhls fest. Besonders eindrucksvoll gelingen der Hörspielbearbeitung die Szenen, in denen Karl bei seiner Arbeit als Liftboy in einem Hotel vorgestellt wird.
"Klingeln einer Liftglocke"
Mit dem Fahrstuhl befördert er die Hotelgäste.
"Bald lernte Karl die kurzen tiefen Verbeugungen machen, die man von den Liftjungen verlangt und das Trinkgeld fing er im Fluge ab."
Abwechselnd geht es nach oben und nach unten, doch seinem Ziel kommt Karl nie wirklich näher. Es erweist sich als "so hoch"...
"'So hoch'"
... und bleibt für ihn schließlich unerreichbar.
"Schließen einer Fahrstuhltür"
In einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1915 nennt Franz Kafka Karl Roßmann den "Schuldlosen". Darüber hätte ein Booklet Auskunft geben können, doch leider verzichtet der Verlag auf eine solche Handreichung. Auch die Textfassung, die dem Hörspiel zugrunde liegt, wird nicht genannt - und es findet sich darüber hinaus kein Hinweis, nach welchen Gesichtspunkten der Text gekürzt wurde.
"Man muss eben den Mechanismus kennen, sagte sich Karl."
Behilflich ist ihm dabei die Oberköchin des Hotels, in dem Karl als Liftboy arbeitet. Juliane Koren verleiht ihr Strenge und Mütterlichkeit zugleich. Auch Bibiana Beglau, die in der Rolle der Clara und als Fanny ihr Können unter Beweis stellt, trägt sehr zum Gelingen dieses Hörspiels bei. Besonders überzeugt die Produktion des Südwestfunks durch die sehr wirkungsvoll eingesetzten Klang- und Geräuschakzente.
Die vibrierende und in vielen Tonlagen klingende Welt, von der Kafkas Roman handelt, wird so für den Hörer über das Ohr erfahrbar. Ob es Karl gelingt, bei seinem neuen Arbeitgeber sein Glück zu finden, erfahren wir nicht.
"Das große Theater von Oklahoma ruft euch. Es ruft nur heute, nur einmal. Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer. Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns. Jeder ist willkommen."
Besprochen von Michael Opitz
Franz Kafka: Der Verschollene
Hörverlag, München 2011
2 CDs, 120 Minuten, 19,99 Euro