Ein Staubsauer als heimliche Haupfigur

Von Tobias Wenzel |
Meir Shalev hat ein Buch über seine von Sauberkeit besessene Oma geschrieben. "Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger" heißt es. Ein Hightech-Sauger aus den USA der 30er-Jahre, der auf Umwegen ins bäuerliche Nahalal in Israel gelangt, spielt darin eine Hauptrolle. Ein Besuch an den Orten des Geschehens.
Eine Bushaltestelle an einer stark befahrenen Straße im Norden Galiläas, 25 Kilometer von Haifa entfernt. Meir Shalev hält mit seinem Pickup an, um seinen Gast aus Deutschland abzuholen und ihn den Schauplätzen seines neuen Buchs "Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger" näher zu bringen.

Der 62-jährige israelische Schriftsteller, schlank, kurz geschorene Haare, Brille, trägt T-Shirt und Shorts. Deshalb sticht die Bandage am linken Knie sofort ins Auge.

"Das ist eine Verletzung aus meiner Armeezeit vor 40 Jahren. Man hat mir ins Bein geschossen, 1967. Da haben mich hier zwei Kugeln getroffen. Aber ich kann laufen, ist schon okay. Friendly fire war das. Meine eigenen Freunde haben mich, in den Gefechtswirren, angeschossen. Ich diente damals in einer sehr aktiven Einheit. Jeder war schießwütig, auch ich, damals."

Und daran erinnert die Kniebandage. Die Sandalen, die er so gerne, wie auch in diesem Augenblick, barfuß trägt, die erinnern Meir Shalev an seine Großmutter mütterlicherseits. An Tonia, die Hauptfigur seines Erinnerungsbandes.

Auf den ersten Seiten erzählt Shalev nämlich, wie ihm die beiden Töchter seines Bruders an einem Sommertag vor einigen Jahren heimlich die Zehennägel rot lackierten, während der Autor schlief, und ihn dann überredeten, so, in Sandalen ohne Socken eine Rede in seinem Heimatdorf Nahalal zu halten. Da soll dann eine Frau mit Blick auf die lackierten Zehennägel gesagt haben: "Das hat er von Tonia. Die war genauso verrückt wie er."

"Das da ist das Dorf, in dem ich geboren wurde: Nahalal. Da leben noch immer Mitglieder meiner Familie. Und der Friedhof des Dorfes ist auf der anderen Seite der Straße, da oben auf dem Hügel. So gibt es einen Blickkontakt zwischen den Lebenden und den Toten."

Und damit auch zwischen Meir Shalev und seiner Großmutter Tonia. Aus der Ukraine war die Jüdin in den 20er-Jahren nach Galiläa gekommen und hatte dort einen zuvor ausgewanderten vierzehn Jahre älteren Witwer geheiratet, einen der Gründungsväter von Nahalal. Tonia hatte einen Reinligkeitsfimmel, erzählt Meir Shalev, gewohnt schelmisch, in seinem neuen Buch, ließ Gäste am liebsten gar nicht ins Haus, sondern empfing sie davor. Die Welt der Oma gab dem damals neunjährigen Meir Rätsel auf:

"Häufig fragte ich meine Mutter, was hinter all diesen Türen mit all den Lappen auf den Klinken sei, und sie erklärte: 'Hier ist die Dusche, in der man nicht duschen darf, und hier die Toilette, die man nicht benutzen darf, und hier sind die Zimmer, die man nicht betreten darf, und hier', sie hielt vor dem alten Badezimmer, dem Allerheiligsten, in dem es sogar eine richtige Badewanne gab, 'hier wohnt ihr Sweeper, der Staubsauger.'"

Der Staubsauger ist so etwas wie die heimliche Hauptfigur dieses leicht erzählten, aberwitzigen Buchs. Ein amerikanischer Hightech-Sauger der 30er-Jahre, das Geschenk eines Onkels aus Los Angeles, gelangt über den Atlantik nach Europa und von dort schließlich ins bäuerliche Nahalal. Wie "ein merkwürdiger Leichenzug" müsse das ausgesehen haben, schreibt Shalev, als der Staubsauger in einer großen Versandkiste mit dem Pferdewagen ins Dorf gebracht worden sei.

Meir Shalev hat den Friedhof betreten, von dem aus man ins Tal und auf die kreisrunde Siedlung Nahalal blickt.

"Das ist das Grab meiner Mutter. Er da vorne war ihr jüngerer Bruder. Und hier liegt meine Großmutter, die Heldin meines neuen Buchs, und mein Großvater: Aaron Ben-Barak und Tonia Ben-Barak."

Als Großmutter Tonia starb, war ihr faszinierender Staubsauger nicht mehr aufzufinden. Meir Shalev schweift in seinem neuen Buch immer wieder angenehm ab; in den großen Erzählstrang sind anekdotisch Hunderte kleinerer Geschichten eingearbeitet. Wie die vom Onkel, der in Nahalal seine Kühe mit Musik beschallt, weil er glaubt, so die Milchqualität verbessern zu können. Komische Anekdoten machen in der Familie Shalev auch nicht vor dem Friedhof halt. Bei jeder Beerdigung werde nicht nur geweint, sondern auch gelacht, selbst wenn man nicht mehr damit rechnet, erzählt der Autor und schlägt sein neues Buch auf:

"Und bei Großvater Aarons Beerdigung erschien die Frau von Nachum Sne, seinem Freund vom Marakower Dreigespann, auf dem Friedhof und zog eine spektakuläre Show ab, mit Beschimpfungen, Vorwürfen und Schmähungen, sie beleidigte unsere gesamte Familie bis zurück ins zehnte Glied - bis Großmutter Tonia sie mit der Bemerkung zum Schweigen brachte: 'Aber warum vor aller Ohren? Komm hinterher zu mir, dann trinken wir Tee und reden.' Und alles kicherte."

Da ist sie wieder: Tonia, Meir Shalevs Großmutter. In diesem Moment steht er vor ihrem weißen Marmorgrab. In ihrer Nähe wird auch wohl Meir Shalev beigesetzt werden. Aber das sollen dann mal schön seine Angehörigen entscheiden.

"Mir ist es wirklich egal, was sie mit meinem Körper nach meinem Tod machen. Ich bin nicht religiös. Und diese ganze Vorstellung: Ein toter Körper wird in der Erde begraben, man wartet auf den Messias, und dann die Auferstehung von den Toten - das kommt mir doch sehr seltsam vor. Ich bin nicht mal sicher, ob ich die schöne Aussicht hier sehe. Die werden mich doch sicher ohne Brille begraben. Dann sehe ich ja sowieso nichts."


Meir Shalev kommt mit dem Buch Anfang Mai auf Lesereise nach Deutschland: München (2.5.), Heidelberg (3.5.), Wiesbaden (4.5.), Berlin (5.5.), Münster (6.5.)