Ein stiller Widerständler

Von Ulrike Greim |
Der Architekt und Designer Franz Ehrlich war einer der wenigen Bauhaus-Künstler, die sich dem NS-Regime nicht gebeugt haben. Durch sein schlichtes, befreiendes Design leistete er stillen Widerstand. Nun widmet sich die Gedenkstätte Buchenwald seinem Schaffen.
"Dieses Nein - hätte dieses Nein jemand lesen können in der Zeit, das muss man einfach sagen: Wenn das jemand als Nein gelesen hätte, wäre er tot gewesen."

Franz Ehrlich hat ein listiges Nein gesetzt. Mitten hinein in die verkehrte Welt. Er hat ausgeführt, was ihm die SS aufgetragen hatte, nämlich die Inschrift für ein Tor zu gestalten. Und er tat es auf eine wunderbar widerständige Art. Harry Stein von der Gedenkstätte Buchenwald ist Kurator der Franz Ehrlich gewidmeten Ausstellung:

"Das war eindeutig auch eine List. Er bringt dort die Schrift rein, die in der Zeit eigentlich im Zentrum aller Angriffe steht, also das Bauhaus und die dahinterstehende Kunstrichtung, auch Gestaltungsrichtung, und stellt die quasi in diese Trennung zwischen SS-Welt und Häftlingswelt hinein."

Jedem das Seine. Dieses aus dem Zusammenhang gerissene Zitat wollte die SS den Häftlingen höhnisch entgegenhalten. Der Gestalter Franz Ehrlich drehte den Hohn um. Er führte selbst im KZ denselben Schrifttypus fort, den er bis vor seiner Inhaftierung für die junge Designzeitschrift "Neue Linie" kreiert und verwendet hatte. Und keinem fiel es auf.

Tausende von Besuchern sehen die Schrift. Die langgezogenen Buchstaben, abgerundet, markant vor allem das halbovale "E" mit dem kurzen Mittelstrich. Dieser Satz steht da eben nicht in Fraktur, nicht in Sütterlin, wie man vielleicht hätte erwarten können, nein, sondern in Franz Ehrlichs neuer Linie. Dies ist ein Akt des Widerstandes, sagt nun die Gedenkstätte Buchenwald, und stellt dieses Lagertor in den Mittelpunkt der Ausstellung "Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager".

"Wenn es einfach seine Handschrift wäre, die da fortzuführen, schon das wäre ein Akt der Selbstbehauptung. Denn wir sind ja nicht irgendwo in der NS-Gesellschaft oder Freizeitgesellschaft des Nationalsozialismus, sondern wir sind im Konzentrationslager Buchenwald."

Es ist eine Ausstellung im Bauhausjahr, eine, die zwingend nötig ist. Die aber - warum eigentlich? - erst nach dem großen Weimarer Ausstellungs- und Veranstaltungsreigen kommt. Auch die große Bauhaus-Schau im Berliner Gropius-Bau lässt diesen Aspekt des Bauhauses vermissen. Denn: Ja, viele Werke von Bauhauskünstlern galten als "entartete Kunst", viele Künstler mussten emigrieren. Aber Franz Ehrlich war dennoch einer von nur wenigen, die dem System die Stirn boten, sagt Kurator Harry Stein:

"Im Unterschied zu dem, was man annimmt - weil: das Bauhaus wurde ja von den Nationalsozialisten abgelehnt und auch bekämpft -, waren die Bauhäusler im großen Ganzen nicht widerständiger als die übrige Bevölkerung."

Franz Ehrlich, geboren 1907, lernte Metallgestalter und Schreiner, bevor er ans Bauhaus ging und Design und Architektur draufsattelte. Er war ein Kommunist, der heimlich Flugblätter druckte und eine Zeitschrift herausgab - die "Junge Garde". 1937 wurde er verhaftet, saß im Gefängnis und kam später in das KZ Buchenwald. Und dort als erstes in den Steinbruch.

"Und er selber schreibt: Er war dort nach zwei Wochen am Ende seiner Kräfte, er war total verzweifelt und hätte nur noch wenige Tage durchgehalten. Und macht dann etwas, was auch völlig ungewöhnlich war, er wechselt einfach, ohne zu fragen, ohne sich abzusichern, das Kommando. Das heißt: Er geht eines Tages einfach in die Tischlerei rein, setzt sich dort an ein Zeichenbrett und fängt an, Möbel zu entwerfen."

Möbel für die SS. Er verstand sein Handwerk, war - in guter Bauhaus-Tradition - Generalist. Franz Ehrlich wurde ein gefragter Mann. Als er entlassen werden soll, zwingt ihn die SS, weiter im Baubüro in Buchenwald zu arbeiten. Nähere Umstände sind ungeklärt. 1943 muss er in ein Wehrmachts-Strafbataillon, gerät in jugoslawische Kriegsgefangenschaft, 1945 kommt er frei. Er kehrt heim, wird Referent für Wiederaufbau der Stadt Dresden, tritt in die SED ein, kommt aber mit seinen Ideen häufig nicht zum Zuge. Arbeitet freiberuflich.

"Weil er eben viel kann und weil er das ganze Spektrum kann, vom Produktdesign bis zur Architektur, kriegt er auch immer wieder Aufträge. Also: Er hat sein Leben lang nicht unter Auftragsmangel gelitten. Im Gegenteil, er war ein absoluter Workaholic, würde man heute sagen."

Er entwirft Schulen und Universitäten, auch wenn seine Idee zum Beispiel des Uni-Viertels in Leipzig nicht umgesetzt wird. Vorwurf: Formalismus und neue Sachlichkeit, das waren "Formtendenzen der kapitalistischen Welt". Aber er baute unter anderem das Rundfunkzentrum der DDR in der Nalepastraße in Berlin. Bilder des geräumten Hauses sind eingefangen in einem Film von Nina Fischer und Maroan el Sani, den die Ausstellung zeigt. Die Sound-Atmosphäre, hier zu hören, stammt von Robert Lippok.

Ehrlich gab vielen repräsentativen Bauten der DDR ihr Gesicht und entwarf als Hausarchitekt des VEB Deutsche Werkstätten Hellerau die ersten, legendär gewordenen Schrankwände. Der unbequeme Franz Ehrlich starb 1984. Die Ausstellung hilft, sein listiges "Nein" zu erkennen.

Service:

Die Ausstellung über den Bauhausarchitekten und Designer Franz Ehrlich ist vom 2. August bis 11. Oktober 2009 im Neuen Museum Weimar zu sehen.