Ein Stück Vergangenheitsbewältigung
Es hat den Anschein, als sei in den letzten Wochen ein eiterndes Geschwür aufgebrochen. Kein Tag vergeht, ohne dass wieder eine Schule am Pranger steht wegen Missbrauchsvorwürfen gegen frühere Lehrer. 13 Einrichtungen hat die Deutsche Presseagentur dieser Tage aufgelistet, in der großen Mehrzahl katholische Internate und Eliteschulen, dazu die Odenwaldschule als vermeintliche nichtkirchliche Ausnahme.
Aber der Anschein sollte nicht zu simplen Kurzschlüssen verführen. Wir sprechen immer noch von Vergehen und Verbrechen einzelner Lehrer. Es kann nicht darum gehen, einen ganzen Erziehungssektor pauschal an den Pranger zu stellen. Die eigentlich relevanten Fragen sind andere: Warum konnten die Betreffenden über so viele Jahre ihr Unwesen treiben, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Und warum drängt dieses Thema nun mit solcher Vehemenz an die Öffentlichkeit?
Jede Form der Machtausübung bedarf der Transparenz und der Kontrolle. Das ist die Basis jedes demokratischen Staatswesens. In Deutschland ist dieses Fundament gelegt durch das Grundgesetz, entstanden aus den schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus und geprägt von einem pessimistischen Menschenbild: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Folglich ist jede staatliche Gewalt an Recht und Gesetz gebunden, die wiederum gekoppelt sind an den Artikel eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
In diesen Tagen lernen wir nun, dass es in bestimmten, nach außen abgeschirmten Bezirken der Gesellschaft Offenheit und Kontrolle lange Zeit nicht gegeben hat. Aber dort, wo Macht unkontrolliert ausgeübt wird, besteht immer eine latente Gefahr des Machtmissbrauchs – in seiner gewalttätigen oder sexuellen Ausprägung.
Schaut man etwas genauer auf die Schulen, über die zurzeit gesprochen wird, dann fallen zunächst Gemeinsamkeiten auf: Das Bewusstsein, einer elitären Gemeinschaft anzugehören, damit verbunden die Pflege eines Korpsgeistes, der Abschottung nach außen erleichtert. Die Täter gingen in einem öffentlich nicht zugänglichen, geschützten Raum ein relativ geringes Risiko ein, strafrechtlich belangt zu werden.
Dann die Funktion der Lehrer, die in den Internatsschulen an Stelle der Eltern als Erzieher wirken. Das ist per se eine besonders intensive Beziehung zu den Schülern – egal, ob in einem autoritären, antiliberalen, katholischen Geist oder im reformpädagogischen, liberalen Sinn. Zu dem sexuellen Missbrauch kommt deshalb der Vertrauensmissbrauch und – besonders perfide – der Machtmissbrauch, wenn es darum ging, die betroffenen Schutzbefohlenen zum Schweigen zu zwingen.
Dass es so etwas in Deutschland gibt, konnte übrigens jeder wissen, der das wissen wollte. Eine Journalistin namens Ulrike Meinhof hat zum Beispiel 1970 die Zustände in der geschlossenen Heimerziehung offengelegt. Wobei es keinen Unterschied machte, ob es sich um staatliche oder kirchliche Einrichtungen handelte. Selbstverständnis und Erziehungsmethoden reichten vielfach weit in vordemokratische Zeiten zurück.
Aber das wollten damals nicht gar so viele wissen. Solange die elterliche Gewalt wörtlich zu nehmen war, so lange galt es auch nicht als sonderlich skandalös, wenn Kinder und Jugendliche in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen misshandelt wurden. Solange Missbrauch in Familien ein Tabuthema war, so lange ließ sich auch der Missbrauch außerhalb von Familien relativ einfach verdecken.
Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, dass es häufig eine jahrzehntelange Latenzzeit braucht, bis Betroffene über traumatische Erlebnisse sprechen können: Das galt für KZ-Opfer, Emigranten, Kriegsteilnehmer und Vertriebene gleichermaßen. Und sie konnten erst darüber sprechen, als sie sicher sein konnten, dass man ihnen nun auch zuhören würde.
Wenn nun der sexuelle Missbrauch an Schulen zu einem großen Thema geworden ist, wie vor Kurzem erst die menschenrechtsverletzenden Zustände in der Heimerziehung, dann besagt das zunächst: Es sind endlich beide Voraussetzungen gegeben, um dieses Thema offenzulegen. Es besteht die Chance, diese Endmoräne vordemokratischer Strukturen und ihre Folgen für die Betroffenen zu verarbeiten.
Weder die katholische Kirche noch die betroffenen Schulen werden um Konsequenzen herumkommen, was die Offenheit ihrer Strukturen und die öffentliche Kontrolle angeht. Insofern hat ein heilsamer Prozess begonnen, der allerdings noch seine Zeit brauchen wird.
Jede Form der Machtausübung bedarf der Transparenz und der Kontrolle. Das ist die Basis jedes demokratischen Staatswesens. In Deutschland ist dieses Fundament gelegt durch das Grundgesetz, entstanden aus den schrecklichen Erfahrungen des Nationalsozialismus und geprägt von einem pessimistischen Menschenbild: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Folglich ist jede staatliche Gewalt an Recht und Gesetz gebunden, die wiederum gekoppelt sind an den Artikel eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
In diesen Tagen lernen wir nun, dass es in bestimmten, nach außen abgeschirmten Bezirken der Gesellschaft Offenheit und Kontrolle lange Zeit nicht gegeben hat. Aber dort, wo Macht unkontrolliert ausgeübt wird, besteht immer eine latente Gefahr des Machtmissbrauchs – in seiner gewalttätigen oder sexuellen Ausprägung.
Schaut man etwas genauer auf die Schulen, über die zurzeit gesprochen wird, dann fallen zunächst Gemeinsamkeiten auf: Das Bewusstsein, einer elitären Gemeinschaft anzugehören, damit verbunden die Pflege eines Korpsgeistes, der Abschottung nach außen erleichtert. Die Täter gingen in einem öffentlich nicht zugänglichen, geschützten Raum ein relativ geringes Risiko ein, strafrechtlich belangt zu werden.
Dann die Funktion der Lehrer, die in den Internatsschulen an Stelle der Eltern als Erzieher wirken. Das ist per se eine besonders intensive Beziehung zu den Schülern – egal, ob in einem autoritären, antiliberalen, katholischen Geist oder im reformpädagogischen, liberalen Sinn. Zu dem sexuellen Missbrauch kommt deshalb der Vertrauensmissbrauch und – besonders perfide – der Machtmissbrauch, wenn es darum ging, die betroffenen Schutzbefohlenen zum Schweigen zu zwingen.
Dass es so etwas in Deutschland gibt, konnte übrigens jeder wissen, der das wissen wollte. Eine Journalistin namens Ulrike Meinhof hat zum Beispiel 1970 die Zustände in der geschlossenen Heimerziehung offengelegt. Wobei es keinen Unterschied machte, ob es sich um staatliche oder kirchliche Einrichtungen handelte. Selbstverständnis und Erziehungsmethoden reichten vielfach weit in vordemokratische Zeiten zurück.
Aber das wollten damals nicht gar so viele wissen. Solange die elterliche Gewalt wörtlich zu nehmen war, so lange galt es auch nicht als sonderlich skandalös, wenn Kinder und Jugendliche in staatlichen und kirchlichen Einrichtungen misshandelt wurden. Solange Missbrauch in Familien ein Tabuthema war, so lange ließ sich auch der Missbrauch außerhalb von Familien relativ einfach verdecken.
Wir wissen aus anderen Zusammenhängen, dass es häufig eine jahrzehntelange Latenzzeit braucht, bis Betroffene über traumatische Erlebnisse sprechen können: Das galt für KZ-Opfer, Emigranten, Kriegsteilnehmer und Vertriebene gleichermaßen. Und sie konnten erst darüber sprechen, als sie sicher sein konnten, dass man ihnen nun auch zuhören würde.
Wenn nun der sexuelle Missbrauch an Schulen zu einem großen Thema geworden ist, wie vor Kurzem erst die menschenrechtsverletzenden Zustände in der Heimerziehung, dann besagt das zunächst: Es sind endlich beide Voraussetzungen gegeben, um dieses Thema offenzulegen. Es besteht die Chance, diese Endmoräne vordemokratischer Strukturen und ihre Folgen für die Betroffenen zu verarbeiten.
Weder die katholische Kirche noch die betroffenen Schulen werden um Konsequenzen herumkommen, was die Offenheit ihrer Strukturen und die öffentliche Kontrolle angeht. Insofern hat ein heilsamer Prozess begonnen, der allerdings noch seine Zeit brauchen wird.