"Ein Symbol für die Gründergeneration des Staates"
Nach Ansicht der Islamwissenschaftlerin Susanne Freitag steht der scheidende israelische Regierungschef Ariel Scharon für die Gründergeneration des Staates Israel. Er sei einer der letzten alten Männer, die an der Staatsgründung noch beteiligt waren, sagte Freitag.
König: Man ist sich allgemein einig darüber, dass der 77-jährige Ariel Scharon sein Amtsgeschäft wohl nicht mehr nachkommen können wird. Wer ist dieser Ariel Scharon? Welchen Platz in den Geschichtsbüchern Israels wird er einnehmen? Was für eine Gesellschaft hinterlässt er, und wie wird diese ohne ihn zurechtkommen. Darüber wollen wir sprechen mit der Historikerin Ulrike Freitag vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin, Zentrum moderner Orient. Guten Morgen, Frau Freitag.
Freitag: Guten Morgen.
König: Ariel Scharon verkörpert für seine Landsleute wie keine anderer Stehvermögen und Durchsetzungsfähigkeit. Man hat oft lesen können, er würde wegen seiner Radikalität die Nation spalten. Kann es nicht auch sein, dass er das Land sehr zusammenhält, als so eine Art monolithische Zentralfigur?
Freitag: Das ist eine Erscheinung der letzten Jahre, insbesondere seit dem er
unterstützt wird von Shimon Peres, der ja für die Labour-Partei der Koalition mit dem Likud angehört hat. Ihm ist es eigentlich gelungen - also Peres - Scharon viel mehr als einen Friedensmacher darzustellen. Vorher war er eigentlich stärker assoziiert mit beispielsweise der Invasion im Libanon 1982 oder auch dem Massaker an den Palästinensern in Sabra und Shatila, also den Flüchtlingslagern südlich von Beirut.
König: Als was wird Ariel Scharon in die Geschichte Israels eingehen?
Freitag: Er wird einerseits eingehen als jemand, der bestimmte Ländereien zurückgegeben hat, zunächst einmal den besetzten Sinai, das war noch im Konflikt mit Ägypten, als jemand, der den Gaza-Streifen zurückgegeben hat, jetzt vor Kurzem, das ist schon sehr viel kontroverser auch heute in Israel. Er wird aber eben auch eingehen als jemand, der die Siedlungen im Westjordanland massiv gestärkt hat und insofern möglicherweise auch das, was als Kernland Israels von vielen israelischen Nationalisten betrachtet wird.
König: Ist er ein Symbol für etwas?
Freitag: Er ist sicher ein Symbol für die Gründergeneration des Staates. Er war beteiligt am Unabhängigkeitskrieg. Er ist einer sozusagen der letzten alten Männer, die an dieser Gründung noch beteiligt waren, die jüngere Generation, die ja jetzt beispielsweise auch in der Labour-Partei an die Macht gekommen ist, steht sehr viel stärker für eine Generation, die schon mit der Existenz des Staates aufgewachsen ist.
König: Lassen Sie uns über diese Gründergeneration noch einen Satz verlieren: Das waren ja doch widersprüchliche Menschen. Auf der einen Seite europäisch geprägt, mit Denkmustern, die ja einer europäischen Tradition entsprechen oder ihr zumindest verpflichtet sind, andererseits aber auch Menschen, die in merkwürdiger Verachtung zum Beispiel den in Palästina ansässigen Menschen gegenüber waren, eine Verachtung, die so gar nicht zu diesen europäischen Traditionen passte. Also Ben Gurion, Golda Meïr, Menachem Begin, Jithak Rabin, Ariel Scharon, die wirken alle wie Solitäre in der politischen Landschaft Israels. Sind sie das oder haben sie auch so etwas wie eine politische Kultur geschaffen, an die andere Jüngere jetzt anknüpfen können?
Freitag: Na ja, diese europäische Tradition ist natürlich eine zweigespaltene, denn - vielleicht nicht gerade eine Verachtung für die Palästinenser, aber doch ein gewissermaßen nicht Wahrnehmen der einheimischen Bevölkerung ist ja durchaus eine gewissen Tradition, die man auch im europäischen Kolonialismus hat wahrnehmen können. Insofern ist diese europäische Tradition ja auch eine in sich durchaus gebrochene. Ich will jetzt keineswegs sagen, dass alle diese Personen das so gesehen haben, aber es ist doch auffällig, dass beispielsweise in den Memoiren von Abu Eban die Palästinenser fast nicht auftauchen. Das ist so als wäre - und das gehört ja auch zum Gründermythos Israels, der sehr historisch oft überliefert wird - dass man gewissermaßen in ein leeres Land kam, dem man dann erst die Zivilisation gebracht habe. Die anwesenden Palästinenser werden gewissermaßen als arme Bauern, denen man etwas zu bringen hat, dargestellt. Wenn man sich die israelische Geschichtsschreibung anschaut. Anknüpfen können sicherlich Jüngere an den sehr starken Nationalismus, der mit dieser Generation natürlich auch verbunden ist, der Kampf für die Existenz eines jüdischen Staates in Israel in dem als historisch angesehenen Heimatland der Juden und das ist sicherlich auch etwas, woran unabhängig von der politischen Orientierung die jungen Politiker anknüpfen werden.
König: In den 60ern war ja Israel wirklich sehr europäisch geprägt. Heute hat man von außen den Eindruck eines nicht mehr nur jüdischen, sondern eines auch sehr orientalischen Landes. Wie hat sich Israel innerlich verändert in den letzten vier, fünf Jahrzehnten?
Freitag: Na ja, zum einen hat in der Tat der Anteil der orientalischen Juden sehr stark zugenommen. Das hat teils mit Vertreibungen, teils Auswanderungswellen aus den arabischen und islamischen Nachbarstaaten zu tun, die nach der Staatsgründung 1948 und dann auch jeweils nach den Kriegen stattgefunden haben. Es ist ja auch kein Zufall, dass der neue Chef der Labour-Partei selbst ein marokkanischer Einwanderer ist. Dieses Land ist zunehmend gespalten.
Es gibt ein sehr stark religiös geprägten Flügel und hier kann man diese Spaltung zwischen orientalischen und - ich sage jetzt mal grob - westlichen Juden gar nicht so allgemein aufrecht erhalten, denn unter den sehr stark religiös geprägten Israelis befinden sich auch sehr viele beispielsweise amerikanische Emigranten, aber auch eben in Israel aufgewachsene und natürlich auch orientalische Juden und an einem sehr stark säkular geprägten Judentum. Und das sind sehr heftige Konflikte in der israelischen Gesellschaft. Ferner gibt es natürlich massive soziale Spannungen, Spaltungen und Auseinandersetzungen.
König: Noch mal zurück zu Ariel Scharon: In einer israelischen Zeitung war jetzt eine Prophezeiung hochrangiger Likud-Politiker zu lesen, Zitat: "Ariel Scharon wird das politische Establishment in Israel zertrümmern und aus den Ruinen ein System bauen, das für die kommenden Jahre stabil sein wird". Nun ist die politische Karriere Scharons überraschend zu Ende gegangen. In was für einem Zustand befindet sich die israelische Gesellschaft und wie wird sie reagieren auf ein Leben ohne den Politiker Scharon?
Freitag: Das ist relativ schwierig vorher zu sagen. Diese Zertrümmerung des politischen Systems bezieht sich zu einem erheblichen Teil jedenfalls auf die Gründung einer neuen politischen Partei durch Scharon, die sogenannte Kadima-Partei, die ja dann auch gleich von dem ehemaligen Labour-Führer Shimon Peres unterstützt worden ist und eben auch einer ganzen Reihe von ehemaligen Likud-Politikern. Das deutet darauf hin, dass die beiden großen Parteien, die immer in Koalitionen auch mit kleineren Parteien das politische Leben Israels lange geprägt hatten, dass diese beiden Parteien doch massiv geschwächt sind. Die andere Frage ist natürlich tatsächlich, ob diese Partei, die ja doch sehr stark um Scharon und seine, wir hatten das ja schon, etwas oft auch widersprüchliche Politik gebaut war, ob diese Partei bereits stark genug ist und genügend Unterstützung hat, um tatsächlich in den kommenden Wahlen im März eine so wesentliche Rolle zu spielen, wie vorher gesagt war.
König: Wobei heute in israelischen Zeitungen Umfragen veröffentlicht wurden, denen zu Folge sie 40 der 120 Parlamentssitze gewinnen wird, auch ohne Scharon, also die Kadima. Das spricht ja ausdrücklich dafür, dass das möglich sein würde.
Freitag: Das ist keineswegs ausgeschlossen. Das würde ich auch nicht sagen, nur glaube ich, ist das im Augenblick auch noch etwas unsicher, und ich denke, wenn klarer ist, was aus Scharon wird, wird sich das vielleicht auch noch einmal neu sortieren. Ich denke, die Kadima-Partei ist in gewisser Weise noch einmal der Versuch, sozusagen das Unmögliche, die Quadratur des Kreises, zu erreichen, nämlich einerseits eben so etwas wie einen Frieden mit den Palästinensern zu erreichen, andererseits aber einseitig definiert durch Israel. Das hat ja Scharons Politik ausgezeichnet, dass er gewissermaßen durch eine Politik der einseitigen Schritte, nämlich zum Beispiel den Rückzug aus Gaza versucht hat, Fakten zu schaffen, die teilweise als Friedenspolitik gesehen wurden, die aber eben nicht im Dialog mit den Palästinensern ausgehandelt wurden, sondern auf Entscheidungen des israelischen Staatschefs beruhten.
König: Aber gehen wir noch mal ein Stück zurück von der Parteipolitik und schauen auf die Gesellschaft Israels. Was ist das für eine Gesellschaft, und was hält sie im Inneren zusammen? Ich stelle mir immer so vor, dass der Scharon da schon eine unglaublich große Rolle spielt. Fällt er aus als Politiker, was passiert dann?
Freitag: Also ich denke, was sie auf alle Fälle zusammen hält, um Ihre erste Frage zuerst einmal zu beantworten, ist der unbedingte Wille, einen israelischen, das heißt auch einen jüdischen Staat, egal ob er nun säkular oder religiös geprägt ist, im Nahen Osten zu erhalten und auch stark zu machen. Ich glaube, darüber sind sich alle einig. Wie dies zu geschehen habe, ob dies ein religiöser oder ein säkularer Staat sein soll, welche Rolle in Zukunft beispielsweise die Gewerkschaften spielen sollen, die in der Anfangsphase Israels eine immense Rolle hatten und auch heute noch sehr viel stärker sind, als man das aus Westeuropa beispielsweise kennt, welche Rolle die wirtschaftliche Liberalisierung spielen soll, die ja heutzutage im Rahmen der Globalisierung überall propagiert wird. All dies sind Fragen, die die israelische Gesellschaft zutiefst spalten. Und in welche Richtung all diese Dinge gehen werden, erscheint mir zurzeit relativ weit offen.
König: Erstaunlich ist ja, dass das demokratische System Israels im Allgemeinen erstaunlich reibungslos funktioniert. Wird es auch diese Krise meistern?
Freitag: Ich denke, im Prinzip schon, das ist eine doch inzwischen sehr starke demokratische Tradition, die sich ja auch dadurch auszeichnet, dass meistens, das es fast immer eigentlich Koalitionsregierungen gegeben hat. Das heißt, dass unterschiedliche politische Kräfte miteinander verhandeln mussten, so dass auch gar nicht die Gefahr bestand, jedenfalls in den letzten Jahrzehnten, dass eine Partei sozusagen alleine die Herrschaft dauerhaft übernimmt.
König: Die Rolle Ariel Scharons in der israelischen Geschichte, ein Gespräch mit der Historikerin Ulrike Freitag vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Freitag: Guten Morgen.
König: Ariel Scharon verkörpert für seine Landsleute wie keine anderer Stehvermögen und Durchsetzungsfähigkeit. Man hat oft lesen können, er würde wegen seiner Radikalität die Nation spalten. Kann es nicht auch sein, dass er das Land sehr zusammenhält, als so eine Art monolithische Zentralfigur?
Freitag: Das ist eine Erscheinung der letzten Jahre, insbesondere seit dem er
unterstützt wird von Shimon Peres, der ja für die Labour-Partei der Koalition mit dem Likud angehört hat. Ihm ist es eigentlich gelungen - also Peres - Scharon viel mehr als einen Friedensmacher darzustellen. Vorher war er eigentlich stärker assoziiert mit beispielsweise der Invasion im Libanon 1982 oder auch dem Massaker an den Palästinensern in Sabra und Shatila, also den Flüchtlingslagern südlich von Beirut.
König: Als was wird Ariel Scharon in die Geschichte Israels eingehen?
Freitag: Er wird einerseits eingehen als jemand, der bestimmte Ländereien zurückgegeben hat, zunächst einmal den besetzten Sinai, das war noch im Konflikt mit Ägypten, als jemand, der den Gaza-Streifen zurückgegeben hat, jetzt vor Kurzem, das ist schon sehr viel kontroverser auch heute in Israel. Er wird aber eben auch eingehen als jemand, der die Siedlungen im Westjordanland massiv gestärkt hat und insofern möglicherweise auch das, was als Kernland Israels von vielen israelischen Nationalisten betrachtet wird.
König: Ist er ein Symbol für etwas?
Freitag: Er ist sicher ein Symbol für die Gründergeneration des Staates. Er war beteiligt am Unabhängigkeitskrieg. Er ist einer sozusagen der letzten alten Männer, die an dieser Gründung noch beteiligt waren, die jüngere Generation, die ja jetzt beispielsweise auch in der Labour-Partei an die Macht gekommen ist, steht sehr viel stärker für eine Generation, die schon mit der Existenz des Staates aufgewachsen ist.
König: Lassen Sie uns über diese Gründergeneration noch einen Satz verlieren: Das waren ja doch widersprüchliche Menschen. Auf der einen Seite europäisch geprägt, mit Denkmustern, die ja einer europäischen Tradition entsprechen oder ihr zumindest verpflichtet sind, andererseits aber auch Menschen, die in merkwürdiger Verachtung zum Beispiel den in Palästina ansässigen Menschen gegenüber waren, eine Verachtung, die so gar nicht zu diesen europäischen Traditionen passte. Also Ben Gurion, Golda Meïr, Menachem Begin, Jithak Rabin, Ariel Scharon, die wirken alle wie Solitäre in der politischen Landschaft Israels. Sind sie das oder haben sie auch so etwas wie eine politische Kultur geschaffen, an die andere Jüngere jetzt anknüpfen können?
Freitag: Na ja, diese europäische Tradition ist natürlich eine zweigespaltene, denn - vielleicht nicht gerade eine Verachtung für die Palästinenser, aber doch ein gewissermaßen nicht Wahrnehmen der einheimischen Bevölkerung ist ja durchaus eine gewissen Tradition, die man auch im europäischen Kolonialismus hat wahrnehmen können. Insofern ist diese europäische Tradition ja auch eine in sich durchaus gebrochene. Ich will jetzt keineswegs sagen, dass alle diese Personen das so gesehen haben, aber es ist doch auffällig, dass beispielsweise in den Memoiren von Abu Eban die Palästinenser fast nicht auftauchen. Das ist so als wäre - und das gehört ja auch zum Gründermythos Israels, der sehr historisch oft überliefert wird - dass man gewissermaßen in ein leeres Land kam, dem man dann erst die Zivilisation gebracht habe. Die anwesenden Palästinenser werden gewissermaßen als arme Bauern, denen man etwas zu bringen hat, dargestellt. Wenn man sich die israelische Geschichtsschreibung anschaut. Anknüpfen können sicherlich Jüngere an den sehr starken Nationalismus, der mit dieser Generation natürlich auch verbunden ist, der Kampf für die Existenz eines jüdischen Staates in Israel in dem als historisch angesehenen Heimatland der Juden und das ist sicherlich auch etwas, woran unabhängig von der politischen Orientierung die jungen Politiker anknüpfen werden.
König: In den 60ern war ja Israel wirklich sehr europäisch geprägt. Heute hat man von außen den Eindruck eines nicht mehr nur jüdischen, sondern eines auch sehr orientalischen Landes. Wie hat sich Israel innerlich verändert in den letzten vier, fünf Jahrzehnten?
Freitag: Na ja, zum einen hat in der Tat der Anteil der orientalischen Juden sehr stark zugenommen. Das hat teils mit Vertreibungen, teils Auswanderungswellen aus den arabischen und islamischen Nachbarstaaten zu tun, die nach der Staatsgründung 1948 und dann auch jeweils nach den Kriegen stattgefunden haben. Es ist ja auch kein Zufall, dass der neue Chef der Labour-Partei selbst ein marokkanischer Einwanderer ist. Dieses Land ist zunehmend gespalten.
Es gibt ein sehr stark religiös geprägten Flügel und hier kann man diese Spaltung zwischen orientalischen und - ich sage jetzt mal grob - westlichen Juden gar nicht so allgemein aufrecht erhalten, denn unter den sehr stark religiös geprägten Israelis befinden sich auch sehr viele beispielsweise amerikanische Emigranten, aber auch eben in Israel aufgewachsene und natürlich auch orientalische Juden und an einem sehr stark säkular geprägten Judentum. Und das sind sehr heftige Konflikte in der israelischen Gesellschaft. Ferner gibt es natürlich massive soziale Spannungen, Spaltungen und Auseinandersetzungen.
König: Noch mal zurück zu Ariel Scharon: In einer israelischen Zeitung war jetzt eine Prophezeiung hochrangiger Likud-Politiker zu lesen, Zitat: "Ariel Scharon wird das politische Establishment in Israel zertrümmern und aus den Ruinen ein System bauen, das für die kommenden Jahre stabil sein wird". Nun ist die politische Karriere Scharons überraschend zu Ende gegangen. In was für einem Zustand befindet sich die israelische Gesellschaft und wie wird sie reagieren auf ein Leben ohne den Politiker Scharon?
Freitag: Das ist relativ schwierig vorher zu sagen. Diese Zertrümmerung des politischen Systems bezieht sich zu einem erheblichen Teil jedenfalls auf die Gründung einer neuen politischen Partei durch Scharon, die sogenannte Kadima-Partei, die ja dann auch gleich von dem ehemaligen Labour-Führer Shimon Peres unterstützt worden ist und eben auch einer ganzen Reihe von ehemaligen Likud-Politikern. Das deutet darauf hin, dass die beiden großen Parteien, die immer in Koalitionen auch mit kleineren Parteien das politische Leben Israels lange geprägt hatten, dass diese beiden Parteien doch massiv geschwächt sind. Die andere Frage ist natürlich tatsächlich, ob diese Partei, die ja doch sehr stark um Scharon und seine, wir hatten das ja schon, etwas oft auch widersprüchliche Politik gebaut war, ob diese Partei bereits stark genug ist und genügend Unterstützung hat, um tatsächlich in den kommenden Wahlen im März eine so wesentliche Rolle zu spielen, wie vorher gesagt war.
König: Wobei heute in israelischen Zeitungen Umfragen veröffentlicht wurden, denen zu Folge sie 40 der 120 Parlamentssitze gewinnen wird, auch ohne Scharon, also die Kadima. Das spricht ja ausdrücklich dafür, dass das möglich sein würde.
Freitag: Das ist keineswegs ausgeschlossen. Das würde ich auch nicht sagen, nur glaube ich, ist das im Augenblick auch noch etwas unsicher, und ich denke, wenn klarer ist, was aus Scharon wird, wird sich das vielleicht auch noch einmal neu sortieren. Ich denke, die Kadima-Partei ist in gewisser Weise noch einmal der Versuch, sozusagen das Unmögliche, die Quadratur des Kreises, zu erreichen, nämlich einerseits eben so etwas wie einen Frieden mit den Palästinensern zu erreichen, andererseits aber einseitig definiert durch Israel. Das hat ja Scharons Politik ausgezeichnet, dass er gewissermaßen durch eine Politik der einseitigen Schritte, nämlich zum Beispiel den Rückzug aus Gaza versucht hat, Fakten zu schaffen, die teilweise als Friedenspolitik gesehen wurden, die aber eben nicht im Dialog mit den Palästinensern ausgehandelt wurden, sondern auf Entscheidungen des israelischen Staatschefs beruhten.
König: Aber gehen wir noch mal ein Stück zurück von der Parteipolitik und schauen auf die Gesellschaft Israels. Was ist das für eine Gesellschaft, und was hält sie im Inneren zusammen? Ich stelle mir immer so vor, dass der Scharon da schon eine unglaublich große Rolle spielt. Fällt er aus als Politiker, was passiert dann?
Freitag: Also ich denke, was sie auf alle Fälle zusammen hält, um Ihre erste Frage zuerst einmal zu beantworten, ist der unbedingte Wille, einen israelischen, das heißt auch einen jüdischen Staat, egal ob er nun säkular oder religiös geprägt ist, im Nahen Osten zu erhalten und auch stark zu machen. Ich glaube, darüber sind sich alle einig. Wie dies zu geschehen habe, ob dies ein religiöser oder ein säkularer Staat sein soll, welche Rolle in Zukunft beispielsweise die Gewerkschaften spielen sollen, die in der Anfangsphase Israels eine immense Rolle hatten und auch heute noch sehr viel stärker sind, als man das aus Westeuropa beispielsweise kennt, welche Rolle die wirtschaftliche Liberalisierung spielen soll, die ja heutzutage im Rahmen der Globalisierung überall propagiert wird. All dies sind Fragen, die die israelische Gesellschaft zutiefst spalten. Und in welche Richtung all diese Dinge gehen werden, erscheint mir zurzeit relativ weit offen.
König: Erstaunlich ist ja, dass das demokratische System Israels im Allgemeinen erstaunlich reibungslos funktioniert. Wird es auch diese Krise meistern?
Freitag: Ich denke, im Prinzip schon, das ist eine doch inzwischen sehr starke demokratische Tradition, die sich ja auch dadurch auszeichnet, dass meistens, das es fast immer eigentlich Koalitionsregierungen gegeben hat. Das heißt, dass unterschiedliche politische Kräfte miteinander verhandeln mussten, so dass auch gar nicht die Gefahr bestand, jedenfalls in den letzten Jahrzehnten, dass eine Partei sozusagen alleine die Herrschaft dauerhaft übernimmt.
König: Die Rolle Ariel Scharons in der israelischen Geschichte, ein Gespräch mit der Historikerin Ulrike Freitag vom Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin.