Ein technisches Genie
Der kanadische Raumfahrt-Experte Michael J. Neufeld zeigt in der Biographie "Wernher von Braun" den Ingenieur aus preußischem Junkersgeschlecht als technisches und organisatorisches Genie, als Lebemann und Charismatiker. Neufeld verfolgt die deutsche und die amerikanische Karriere von Brauns mit gleichermaßen großer Kennerschaft und schreibt dabei (auch) eine kurze Geschichte der Raumfahrt.
So gut Michael Neufeld die Lebensgeschichte Wernher von Brauns erforscht hat - das Romanhafte bleibt. Da liest ein 13-jähriger Junge das Büchlein "Die Rakete zu den Planetenräumen" (Hermann Oberth), verbessert schlagartig seine Noten in Physik und Mathematik, nimmt sich vor, Raketen zu entwickeln, um einst mit ihnen den Himmel zu erobern, übt sogleich mit feuerwerksgetriebenen Bollerwagen - und gut 40 Jahre später betreten Menschen den Mond, angereist mit Saturn V, praktisch einer von Braun-Rakete.
Neufeld behält den atemberaubenden Parabelflug dieses Lebens immer im Auge, ohne die Menge der Rückschläge, Brüche und Frustrationen zu unterschlagen. Er überträgt die Faszination, ohne ihr zu erliegen.
Schnell wurde aus dem jungen Raumfahrtnarren der Leiter der Peenemünder Raketenforschung, der als NSDAP-Mitglied und SS-Untersturmführer mehrfach vor Hitler referierte, sich mit Albert Speer gut verstand, seine Forschung pflichtbewusst auf Kriegsziele umstellte (die V2 sollte London vernichten und den Endsieg sichern), kurz, zum bedeutenden Akteur im Dritten Reichs aufstieg. Folgt man Neufeld, hat der lebensfrohe von Braun seine Skrupellosigkeit bei der Beschäftigung von KZ-Häftlingen unter mörderischen Umständen kaum empfunden.
Er unterstellte sich dem Zwang technischer und organisatorischer Probleme, nicht aber moralischen Diktaten. Selbst als von Braun nach dem Krieg zum US-Wissenschaftsstar aufgestiegen war und auf die Nazi-Vergangenheit durchleuchtet wurde, lavierte er heftig, um seinen Ruf zu retten - ohne dass ein inneres Drama um Schuld und Verantwortung zu erkennen wäre. Immerhin fragte sich von Braun, ob "die Intelligenz der Menschen mit der Technik Schritt halten wird" und wurde, wie um sein Gewissen zu beruhigen, bekennender Christ.
Neufeld kennt das deutsche und das amerikanische Werk von Brauns, die Schauplätze, die Quellen, die Technikentwicklung hier und drüben gleichermaßen. Der transatlantische Blick ist seine Stärke, Genauigkeit bis ins Detail seine Methode. Alles Technische wird wohl dosiert, ingenieurswissenschaftliche Examina bleiben aus.
Es fehlt nicht an politischen, ethischen und wissenschaftstheoretischen Reflexionen, doch Neufeld hält sich stets an den roten Faden der Lebensgeschichte. Deutlich wird, dass von Braun Visionär und kindlicher Träumer war, doch deshalb weder abgründig noch grüblerisch.
Als schneidiger Tatmensch war der Ingenieur auch der beste Image-Designer seiner selbst. Ich greife nach den Sternen hieß von Brauns Lebensgeschichte als Film. Der Satiriker Mort Sahl verfremdete: "Ich ziele auf die Sterne, aber manchmal treffe ich London." So lakonisch ist Neufeld nicht.
Begeistert geht er mit von Braun auf Raumfahrt, und mit Distanz verfolgt er, wie der Sonnyboy immer stärkere Vernichtungswaffen baut. Das Erschrecken über von Braun breitet sich beim Leser subtil aus.
Besprochen von Arno Orzessek
Michael J. Neufeld: Wernher von Braun: Visionär des Weltraums,
Siedler Verlag, München 2009, 685 Seiten, 17,95 Euro
Neufeld behält den atemberaubenden Parabelflug dieses Lebens immer im Auge, ohne die Menge der Rückschläge, Brüche und Frustrationen zu unterschlagen. Er überträgt die Faszination, ohne ihr zu erliegen.
Schnell wurde aus dem jungen Raumfahrtnarren der Leiter der Peenemünder Raketenforschung, der als NSDAP-Mitglied und SS-Untersturmführer mehrfach vor Hitler referierte, sich mit Albert Speer gut verstand, seine Forschung pflichtbewusst auf Kriegsziele umstellte (die V2 sollte London vernichten und den Endsieg sichern), kurz, zum bedeutenden Akteur im Dritten Reichs aufstieg. Folgt man Neufeld, hat der lebensfrohe von Braun seine Skrupellosigkeit bei der Beschäftigung von KZ-Häftlingen unter mörderischen Umständen kaum empfunden.
Er unterstellte sich dem Zwang technischer und organisatorischer Probleme, nicht aber moralischen Diktaten. Selbst als von Braun nach dem Krieg zum US-Wissenschaftsstar aufgestiegen war und auf die Nazi-Vergangenheit durchleuchtet wurde, lavierte er heftig, um seinen Ruf zu retten - ohne dass ein inneres Drama um Schuld und Verantwortung zu erkennen wäre. Immerhin fragte sich von Braun, ob "die Intelligenz der Menschen mit der Technik Schritt halten wird" und wurde, wie um sein Gewissen zu beruhigen, bekennender Christ.
Neufeld kennt das deutsche und das amerikanische Werk von Brauns, die Schauplätze, die Quellen, die Technikentwicklung hier und drüben gleichermaßen. Der transatlantische Blick ist seine Stärke, Genauigkeit bis ins Detail seine Methode. Alles Technische wird wohl dosiert, ingenieurswissenschaftliche Examina bleiben aus.
Es fehlt nicht an politischen, ethischen und wissenschaftstheoretischen Reflexionen, doch Neufeld hält sich stets an den roten Faden der Lebensgeschichte. Deutlich wird, dass von Braun Visionär und kindlicher Träumer war, doch deshalb weder abgründig noch grüblerisch.
Als schneidiger Tatmensch war der Ingenieur auch der beste Image-Designer seiner selbst. Ich greife nach den Sternen hieß von Brauns Lebensgeschichte als Film. Der Satiriker Mort Sahl verfremdete: "Ich ziele auf die Sterne, aber manchmal treffe ich London." So lakonisch ist Neufeld nicht.
Begeistert geht er mit von Braun auf Raumfahrt, und mit Distanz verfolgt er, wie der Sonnyboy immer stärkere Vernichtungswaffen baut. Das Erschrecken über von Braun breitet sich beim Leser subtil aus.
Besprochen von Arno Orzessek
Michael J. Neufeld: Wernher von Braun: Visionär des Weltraums,
Siedler Verlag, München 2009, 685 Seiten, 17,95 Euro