Ein Teenager in einem Getto
In dem Roman "GraceLand" von Chris Abani geht es um den Teenager Elvis Oke, der in einem chaotischen Getto in Nigerias Hauptstadt Lagos sein Leben führt. Der Junge eifert seinem Namenspaten Elvis Presley nach und verdient einige Dollar zum Überleben. Und er hofft auf die Flucht nach Amerika.
Die Kolanuss ist den Igbo, der größten Ethnie Nigerias, heilig. Die Beschreibung der Rituale rund um die Kolanuss bildet die jeweilige Einleitung der 29 Kapitel des nigerianischen Romans "GraceLand". Von der Kolanuss bis zur Farm Graceland von Elvis Presley zieht der Autor Chris Abani seinen Bogen, um den Leser rasant in die vielfältigen Welten Nigerias in den 70er und 80er Jahren zu entführen.
Elvis Oke lebt 1983 in dem Slum Marokko der nigerianischen Großstadt Lagos. Der 16-Jährige imitiert mit weißer Schminke und weißem Anzug sowie Perücke und Glitzermakeup Elvis Presley tanzend am Strand und verdient so einige Dollars zum Überleben. Das Tanzen hat er durch Filme und die Musik aus dem Grammophon seiner Mutter gelernt. Doch die Zeiten sind schwierig, die Touristen knauserig, der Vater meist betrunken und ungehalten über den Sohn, der nicht arbeitet. Über seinen Freund Redemption erhält Elvis bald lukrativere Jobs. Dabei ist die Grenze zur Kriminalität schnell überschritten, und Elvis sieht sich mit Kokain- und Organhandel konfrontiert. Der Ausstieg aus den dunklen Geschäften scheint lebensbedrohlich. Doch nicht die Weigerung an den illegalen Praktiken des Colonels teilzunehmen, bringt Elvis ins Visier der Militärpolizei, sondern die Protestaktion gegen den Abriss des Slums Maroko.
Bis der Leser zu der bedrückenden Beschreibung der Folter in nigerianischen Gefängnissen gelangt, zeigen sich durch viele Rückblenden die Kindheit in dem Dorf Afikpo und die Entwicklung der Familiengeschichte. Elvis Mutter Beatrice, eine gebildete Frau, stirbt, als Elvis sechs Jahre alt ist. Der Vater kommt über diesen Verlust nicht hinweg, trinkt immer mehr und begehrt nur noch einmal auf, als seine Freunde ihn überreden, sich bei Lokalwahlen als Kandidat aufstellen zu lassen. Da er nicht über die nötigen Gelder zur Bestechung der Wähler verfügt, verliert er nicht nur die Wahlen, sondern auch sein gesamtes Vermögen. Dies hat seinen Umzug in die Slums von Lagos, der größten Stadt Nigerias zur Folge. Eine Metropole, die geprägt wird von brutaler Gewalt, Elend, Schmutz und dem nackten Überlebenskampf der Slumbewohner auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hat Lagos eine große Anzahl von Millionären mit ihren wunderbaren Anwesen, die Stadt entwickelt sich rasant und kopiert jede Entwicklung der so genannten westlichen Welt sofort.
Spätestens bei diesen Beschreibungen zeigt sich, dass Chris Abani weniger für seine Landsleute als für ein europäisches und amerikanisches Publikum schreibt. Viele Informationen und Erklärungen über Nigeria fließen in die Geschichte mit ein, um den Leser zu erklären, wie die Welt von Elvis Oke aussieht. Doch zum Glück geschieht dies nicht belehrend, sondern mit einer Leichtigkeit, der man gerne folgt. Den Rückgriff auf die Traditionen Nigerias, aber auch auf afrikanische Erzählkunst, versucht Chris Abani durch die Umrahmung seiner Kapitel mit der Beschreibung der Koalanussrituale und mit traditionellen Rezepten aus dem Buch von Elvis’ Mutter – einem der wenigen Andenken, die Elvis aus seiner Kindheit hat. Dies schafft einen eigenen Rhythmus, wirkt auf Dauer aber doch etwas ermüdend, genau so wie der Slang in den Dialogen. Der Übersetzer Thomas Brückner hat sich eng an die englische Vorgabe gehalten und doch wirken die Dialoge stellenweise wie schlecht versuchtes Berlinern.
Trotzdem zeigt "GraceLand" einen Sog. Man folgt Elvis auf seinem Weg ins Gefängnis, zu den Straßenkindern und schließlich zur Erlösung ins Flugzeug nach Amerika. Was unseren jungen Helden dort erwartet, das wissen wir nur zu gut. Doch wer die Hölle diesen Jungen überstanden hat, der wird auch weiterhin seinen Weg finden. Diese Botschaft vertritt der Autor schließlich mit seinem eigenen Leben. Chris Abani wird 1966 in Afikpo, Nigeria geboren. Er beginnt mit 16 zu schreiben, kommt wegen seiner Romane mehrfach ins Gefängnis, wird gefoltert und schließlich zum Tode verurteilt. 1991 flieht er nach England und arbeitet heute als Professor in Kalifornien.
Rezensiert von Birgit Koß
Chris Abani: GraceLand
dtv, 2007 aus dem Englischen von Thomas Brückner,
451 Seiten , 9,50 Euro.
Elvis Oke lebt 1983 in dem Slum Marokko der nigerianischen Großstadt Lagos. Der 16-Jährige imitiert mit weißer Schminke und weißem Anzug sowie Perücke und Glitzermakeup Elvis Presley tanzend am Strand und verdient so einige Dollars zum Überleben. Das Tanzen hat er durch Filme und die Musik aus dem Grammophon seiner Mutter gelernt. Doch die Zeiten sind schwierig, die Touristen knauserig, der Vater meist betrunken und ungehalten über den Sohn, der nicht arbeitet. Über seinen Freund Redemption erhält Elvis bald lukrativere Jobs. Dabei ist die Grenze zur Kriminalität schnell überschritten, und Elvis sieht sich mit Kokain- und Organhandel konfrontiert. Der Ausstieg aus den dunklen Geschäften scheint lebensbedrohlich. Doch nicht die Weigerung an den illegalen Praktiken des Colonels teilzunehmen, bringt Elvis ins Visier der Militärpolizei, sondern die Protestaktion gegen den Abriss des Slums Maroko.
Bis der Leser zu der bedrückenden Beschreibung der Folter in nigerianischen Gefängnissen gelangt, zeigen sich durch viele Rückblenden die Kindheit in dem Dorf Afikpo und die Entwicklung der Familiengeschichte. Elvis Mutter Beatrice, eine gebildete Frau, stirbt, als Elvis sechs Jahre alt ist. Der Vater kommt über diesen Verlust nicht hinweg, trinkt immer mehr und begehrt nur noch einmal auf, als seine Freunde ihn überreden, sich bei Lokalwahlen als Kandidat aufstellen zu lassen. Da er nicht über die nötigen Gelder zur Bestechung der Wähler verfügt, verliert er nicht nur die Wahlen, sondern auch sein gesamtes Vermögen. Dies hat seinen Umzug in die Slums von Lagos, der größten Stadt Nigerias zur Folge. Eine Metropole, die geprägt wird von brutaler Gewalt, Elend, Schmutz und dem nackten Überlebenskampf der Slumbewohner auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hat Lagos eine große Anzahl von Millionären mit ihren wunderbaren Anwesen, die Stadt entwickelt sich rasant und kopiert jede Entwicklung der so genannten westlichen Welt sofort.
Spätestens bei diesen Beschreibungen zeigt sich, dass Chris Abani weniger für seine Landsleute als für ein europäisches und amerikanisches Publikum schreibt. Viele Informationen und Erklärungen über Nigeria fließen in die Geschichte mit ein, um den Leser zu erklären, wie die Welt von Elvis Oke aussieht. Doch zum Glück geschieht dies nicht belehrend, sondern mit einer Leichtigkeit, der man gerne folgt. Den Rückgriff auf die Traditionen Nigerias, aber auch auf afrikanische Erzählkunst, versucht Chris Abani durch die Umrahmung seiner Kapitel mit der Beschreibung der Koalanussrituale und mit traditionellen Rezepten aus dem Buch von Elvis’ Mutter – einem der wenigen Andenken, die Elvis aus seiner Kindheit hat. Dies schafft einen eigenen Rhythmus, wirkt auf Dauer aber doch etwas ermüdend, genau so wie der Slang in den Dialogen. Der Übersetzer Thomas Brückner hat sich eng an die englische Vorgabe gehalten und doch wirken die Dialoge stellenweise wie schlecht versuchtes Berlinern.
Trotzdem zeigt "GraceLand" einen Sog. Man folgt Elvis auf seinem Weg ins Gefängnis, zu den Straßenkindern und schließlich zur Erlösung ins Flugzeug nach Amerika. Was unseren jungen Helden dort erwartet, das wissen wir nur zu gut. Doch wer die Hölle diesen Jungen überstanden hat, der wird auch weiterhin seinen Weg finden. Diese Botschaft vertritt der Autor schließlich mit seinem eigenen Leben. Chris Abani wird 1966 in Afikpo, Nigeria geboren. Er beginnt mit 16 zu schreiben, kommt wegen seiner Romane mehrfach ins Gefängnis, wird gefoltert und schließlich zum Tode verurteilt. 1991 flieht er nach England und arbeitet heute als Professor in Kalifornien.
Rezensiert von Birgit Koß
Chris Abani: GraceLand
dtv, 2007 aus dem Englischen von Thomas Brückner,
451 Seiten , 9,50 Euro.