Ein Text wie ein Schmetterling
Viel erinnert in dieser Erzählung an ein vergebliches Flügelschlagen. Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin hat das Gleichgewicht verloren und ist ins Taumeln geraten. In einer beschleunigten Welt, in der Unmengen von Daten bewegt werden, sucht sie nach Halt.
Am Anfang registriert die Ich-Erzählerin in Angela Krauß’ Buch "Im schönsten Fall", wie es ihr zunehmend schwerer fällt, Rechenaufgaben im Kopf zu lösen. Sie ist verunsichert, denn das sich die Dinge berechnen lassen, hatte für sie durchaus etwas Beruhigendes.
Von einem Leben zwischen Rechner und Liebe erzählt Angela Krauß. Doch das sind nur zwei inhaltliche Primärparameter eines Textes, der sich wie ein bizarr angelegtes Labyrinth unendlich weit verzweigt. Vom ausgestorbenen Schmetterling, der in der Wohnung der Erzählerin hängt, irrlichtert der Text in verschiedene Räume. Flatternd bahnt er sich seinen Weg in die Welt und ist – es dauert nur einen Flügelschlag – einmal in Indien und bereits im nächsten Moment in Los Angeles. Nur der unerkannt bleibende Nachbar der Ich-Erzählerin erinnert von Zeit zu Zeit an das, was sich in unmittelbarer Nähe ereignet. Fällt nebenan etwas herunter, dann wird ihr bewusst, dass sie mit jemandem, den sie nicht kennt, Wand an Wand lebt. Da ist noch wer.
Viel erinnert in dieser Erzählung an ein vergebliches Flügelschlagen. Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin hat das Gleichgewicht verloren und ist ins Taumeln geraten. In einer beschleunigten Welt, in der Unmengen von Daten bewegt werden, sucht sie nach Halt. Doch sie wird von unaufhörlich fließenden Daten- und Informationsströmen mitgerissen. Als sie überlegt, ob sie ihren Freund Karel nicht an ihr gemeinsames Leben erinnern soll, stellt sie fest, dass es dafür "noch zu früh [ist]. Wir konnten es noch nicht erkennen. Es lag ja noch nicht hinter uns."
Der Titel "Im schönsten Fall" ist programmatisch. Wer vom schönsten Fall ausgeht, befindet sich in einem außergewöhnlichen Glücksmoment. Es könnte aber auch sein, dass der "schönste Fall" nur jene kurze Zeitspanne vor dem tödlichen Aufprall ist. In diesem ungewissen Zwischenreich hat Angela Krauß ihre Erzählung angesiedelt. Was stellt man an, wenn man sich im Fallen befindet? Nichts hat in der Erzählung seinen festen Grund. Diese Beobachtung, so die Erzählerin, stammt von einer Frau aus dem "letzten Jahrhundert", eine Wortfügung, die apokalyptisches Gewicht erhält.
Die Sätze von Angela Krauß sind wie Konzentrate. Als wären es Gebilde aus lauter Luft, vollziehen sie in schönster Leichtigkeit die erstaunlichsten Bewegungen. Aber es handelt sich um Bewegungen über einem drohenden Abgrund. Weil alles auf dem Spiel steht, kann sie nicht nur von dem Einen erzählen - stets kommt ihr die Welt in ihrer bedrohten Vielfalt dazwischen. Das versetzt sie in Unruhe.
Angela Krauß’ Ton ist ernst und zugleich hoch artifiziell. In ihren Sprachschwingungen scheinen die Flügelschläge eines Schmetterlings aufgehoben zu sein, die zart sind, und die nur eine erstaunliche erzählerische Kraft besitzen. Ihre Texte nehmen die Schieflage, in der sich die globale Welt befindet, in der Form auf: Sie erzählt immer wieder von Balanceakten. Eine so dichte, eine so filigrane Prosa schreibt gegenwärtig nur Angela Krauß.
Besprochen von Michael Opitz
Angela Krauß: Im schönsten Fall
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
99 Seiten, 14,90 Euro
Von einem Leben zwischen Rechner und Liebe erzählt Angela Krauß. Doch das sind nur zwei inhaltliche Primärparameter eines Textes, der sich wie ein bizarr angelegtes Labyrinth unendlich weit verzweigt. Vom ausgestorbenen Schmetterling, der in der Wohnung der Erzählerin hängt, irrlichtert der Text in verschiedene Räume. Flatternd bahnt er sich seinen Weg in die Welt und ist – es dauert nur einen Flügelschlag – einmal in Indien und bereits im nächsten Moment in Los Angeles. Nur der unerkannt bleibende Nachbar der Ich-Erzählerin erinnert von Zeit zu Zeit an das, was sich in unmittelbarer Nähe ereignet. Fällt nebenan etwas herunter, dann wird ihr bewusst, dass sie mit jemandem, den sie nicht kennt, Wand an Wand lebt. Da ist noch wer.
Viel erinnert in dieser Erzählung an ein vergebliches Flügelschlagen. Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin hat das Gleichgewicht verloren und ist ins Taumeln geraten. In einer beschleunigten Welt, in der Unmengen von Daten bewegt werden, sucht sie nach Halt. Doch sie wird von unaufhörlich fließenden Daten- und Informationsströmen mitgerissen. Als sie überlegt, ob sie ihren Freund Karel nicht an ihr gemeinsames Leben erinnern soll, stellt sie fest, dass es dafür "noch zu früh [ist]. Wir konnten es noch nicht erkennen. Es lag ja noch nicht hinter uns."
Der Titel "Im schönsten Fall" ist programmatisch. Wer vom schönsten Fall ausgeht, befindet sich in einem außergewöhnlichen Glücksmoment. Es könnte aber auch sein, dass der "schönste Fall" nur jene kurze Zeitspanne vor dem tödlichen Aufprall ist. In diesem ungewissen Zwischenreich hat Angela Krauß ihre Erzählung angesiedelt. Was stellt man an, wenn man sich im Fallen befindet? Nichts hat in der Erzählung seinen festen Grund. Diese Beobachtung, so die Erzählerin, stammt von einer Frau aus dem "letzten Jahrhundert", eine Wortfügung, die apokalyptisches Gewicht erhält.
Die Sätze von Angela Krauß sind wie Konzentrate. Als wären es Gebilde aus lauter Luft, vollziehen sie in schönster Leichtigkeit die erstaunlichsten Bewegungen. Aber es handelt sich um Bewegungen über einem drohenden Abgrund. Weil alles auf dem Spiel steht, kann sie nicht nur von dem Einen erzählen - stets kommt ihr die Welt in ihrer bedrohten Vielfalt dazwischen. Das versetzt sie in Unruhe.
Angela Krauß’ Ton ist ernst und zugleich hoch artifiziell. In ihren Sprachschwingungen scheinen die Flügelschläge eines Schmetterlings aufgehoben zu sein, die zart sind, und die nur eine erstaunliche erzählerische Kraft besitzen. Ihre Texte nehmen die Schieflage, in der sich die globale Welt befindet, in der Form auf: Sie erzählt immer wieder von Balanceakten. Eine so dichte, eine so filigrane Prosa schreibt gegenwärtig nur Angela Krauß.
Besprochen von Michael Opitz
Angela Krauß: Im schönsten Fall
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
99 Seiten, 14,90 Euro