Schauspiellegende Ilse Ritter

Theater, das an den Menschen glaubt

35:40 Minuten
Ilse Ritter an der Berliner Schaubühne im Stück „Yerma“ (im Vordergrund Caroline Peters).
Getragen von einer großen Freude am Spielen: Ilse Ritter an der Berliner Schaubühne in „Yerma“. © Thomas Aurin
Moderation: Katrin Heise |
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Als Kind erlebte sie auf der Bühne einen Freiheitsrausch. Ilse Ritter hat mit den großen Theaterregisseuren zusammengearbeitet, Thomas Bernhard schrieb ihr ein Stück auf den Leib. Meine beste Rolle, sagt sie, ist immer die, die ich jetzt spiele.
Seit 1963, als sie mit 19 Jahren von Regisseur Hans Bauer in Darmstadt engagiert wurde, steht Ilse Ritter auf der Bühne: „Meine erste Rolle war die eines kleinen Knaben“, berichtet sie: „Das kam mir entgegen, denn ich hatte kurzes Haar. Und habe mich, als ich ein Kind war, oft gern als Jungen gesehen.“
Ritter entdeckte sich quasi selbst. Ihr Vater, ein bekannter Pädagoge, leitete im niedersächsischen Rinteln ein Kinderheim, in dem sie inmitten Dutzender anderer Kinder aufwuchs und früh auf der Bühne stand. Mit 16 Jahren wollte sie von der Schule abgehen und nur noch Theater spielen.

Jugend als Kapital

„Meine Eltern haben das mit organisiert. Mein Vater sagte: 'Lass dich mal prüfen.' Das habe ich getan. Da hieß es: Fangen wir früh mit der Ausbildung an, denn ihre Jugend ist ihr Kapital.“
Getragen von einer großen Freude am Spielen hat sie inzwischen mit fast allen namhaften Regisseuren zusammengearbeitet, auch Claus Peymann, Peter Zadek und Luc Bondy waren dabei.
Derzeit spielt Ritter in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz die Rolle der Helen in Yerma, einem Stück von Federico García Lorca. Helen ist die Mutter einer erwachsenen Frau, die ein Leben lang mit ihrem Kinderwunsch hadert.
„Das ist ein Thema, das alle Frauen ihr Leben lang beschäftigt, auch mich“, meint Ritter. „Ich war zwei Mal schwanger und habe die Kinder nicht bekommen. Ich habe mir nicht zugetraut, das mit der Schauspielerei zu verbinden. Dabei liebe ich Kinder.“

Atmen gegen die Angst

Schwierige Situationen im Leben wie auf der Bühne bewältigt Ilse Ritter auch mit fast 78 Jahren noch mit Techniken der Meditation. So ließen sich Krisen bewältigen, vom Liebeskummer bis zum Lampenfieber.
„Ich mache Atemtraining, das führt in meine Mitte hinein, in ein Empfindungszentrum. Und wenn der Atem ruhig ist, wird man automatisch ruhiger. Ich atme Liebe ein, und atme Liebe aus.“
Das Geheimnis ihres Erfolges sieht die Schauspielerin in der kompletten Hingabe an das Theater, an seine Regisseure und die Erfordernisse der jeweiligen Rollen.
Schauspieler müssten in der Lage sein, sich im übertragenen Sinne in ein leeres Blatt Papier zu verwandeln, aufmerksam zu bleiben und viel Leben in sich zu integrieren, sagt sie:
„Wenn ich in einer Rolle bin, träume ich von ihr, bewege mich anders, das geht bis in ein Grundgefühl hinein. Wichtig ist, sich etwas Kindliches zu bewahren: Staunen können, Empathie haben, sich nicht auf eine Identität festlegen.“

Nicht jeder Theaterskandal lohnt sich

Mit den Jahrzehnten habe sich das Theater verwandelt, und nicht immer nur zu seinem Besten, sagt Ritter.
Auch wenn sie selbst als Schauspielerin viele Provokationen auf der Bühne mitgemacht habe, dabei auch selbst Grenzen überschritten habe und Grenzüberschreitungen ausgesetzt gewesen sei, ende ihr Verständnis für radikale Inszenierungen dort, wo der Mensch an sich zur Karikatur gemacht werde, betont die Schauspielerin:
„Früher haben wir an den Menschen geglaubt. Heute ist das Theater grotesk geworden, weil die Welt grotesk geworden ist. Und mancher Regisseur will uns zeigen, in welchem Alptraum wir leben.“

Weniger Monarchen im Theater

Ilse Ritter hat das Theater in einer Zeit erlebt, als Regisseure noch wie Monarchen auftraten. Dass dies heute weniger geworden sei, begrüßt sie. Denn Schauspieler machten sich auf der Bühne nackt, und das könne ausgenutzt oder aber auch dankbar aufgenommen werden. Sie habe in ihrem Berufsleben beides erlebt, erzählt Ritter.
In der Besinnung des Theaters auf ein anderes Menschenbild sieht die Schauspielerin eine große Chance. Denn wenn das Theater den Menschen "als etwas Einzigartiges" zeigen würde, hätte es auch wieder mehr Gewicht. "Andernfalls gehen die Leute ins Kino.“
(AB)
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