Ein theologisches Naturtalent
Der Cartoonkünstler Ralf König legt mit "Archetyp" ein Comic-Buch über die Bibel vor. Damit zeigt er, dass er ein theologisches Naturtalent ist.
Der Cartoonkünstler Ralf König hat nach Großtaten wie dem "bewegten Mann" und dem "Kondom des Grauens", mit denen er sich im zeitgenössischen Schwulenkosmos bewegte, dem zeitlos enthobenen Stoff des Buches aller Bücher zugewandt, der Bibel. Sein Comic über den Sündenfall war ein großer Wurf, und dabei längst keine platte Religionskritik, wie man sie öfter im Bereich der Bildchenkunst antreffen kann.
Vielmehr ist König ein theologisches Naturtalent, wenn er auch zu Zeiten da die Kirche noch Macht hatte, auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre. Die Dialoge zwischen Gott dem Herrn und "Luz", der Schlange, die er aus Zitaten der Philosophie- und Theologiegeschichte montierte, waren brillant und sehr komisch.
Der zweite Band seines auf drei Bände ausgelegten Zyklus erzählt die Geschichte von Noah und der Sintflut. Natürlich wird der Bibelliebhaber dem Cartoonisten nachsehen, dass er die Geschichte von Lot und Sodom und Ghomorrha ein wenig zurückverlegt – dem Sodomismus zuliebe, so nannte man früher die Homosexualität, die König auch in diesem Comic so liebevoll behandelt, dass selbst verstockte Heten darüber nachdenken, das Ufer zu wechseln.
Noah, das ist Königs Trick, ist eine Art Scrooge aus Dickens’ Weihachtsgeschichte. Der ist fundamentalistischer als der Herr selbst, der eigentlich kaum etwas gegen Sodom und Ghomorrha hat, und Noah überzeugt seinen Gott vom Plan der Sintflut.
Aber der Herr und Luz, die Schlange, fädeln den Gang der Geschichte raffiniert ein – wie genau das geschieht darf nicht verraten werden, weil die beträchtliche Spannung sonst gefährdet würde. Aber wiederum sind die Schlaglichter auf den Bibeltext theologisch höchst subtil konstruiert.
Ralf Königs neuer Comic ist mindestens genauso gut wie der erste Band "Prototyp", vielleicht noch einen Tick besser: Der Prolog beginnt mit dem leeren weißen Blatt und dort endet die Geschichte auch nach einem wunderbaren, gar nicht kitschigen, sondern frechem Appell an die Menschlichkeit Gottes und an die Verantwortung der Erdlinge.
Die Königsche Theologie würde man vielleicht am ehesten Originensisch und Pelageanisch verorten können: Wie beim häretischen Kirchenvater Origines gibt es einen kosmischen Erziehungsprozess, der selbst Gott noch mit einbezieht. Und wie bei Pelageus, ebenfalls Häretiker, ist der Mensch frei und letztlich auch frei von Erbsünde.
Gott ist in "Archetyp" weiter entwickelt als in Prototyp, wo er mehr oder weniger eitler Tüftler ist, den die Schlange Luz problemlos in die Tasche steckt. Hier ist er jedoch ein Ironiker, der alle Lebewesen in Frieden leben lassen möchte - und ein perfekter Lehrmeister für den Quasi-Taliban Noah. Der Srooge wandelt sich zum herzlichen Opa, und die Welt ist auf Königs Weise gerettet.
Man kann sich sicher sein, dass kein "Prototyp"-Leser vom zweiten Teil enttäuscht sein wird - und dem Autor Wünschen, dass ihm durchs vorweihnachtliche Geschäft ein Scherflein zuteil werde - abgesehen vom Ewigkeitswert dieser wunderbaren theologischen Spekulation.
Besprochen von Marius Meller
Ralf König: Archetyp
Rowohlt, 143 Seiten, 16,90 Euro
Vielmehr ist König ein theologisches Naturtalent, wenn er auch zu Zeiten da die Kirche noch Macht hatte, auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre. Die Dialoge zwischen Gott dem Herrn und "Luz", der Schlange, die er aus Zitaten der Philosophie- und Theologiegeschichte montierte, waren brillant und sehr komisch.
Der zweite Band seines auf drei Bände ausgelegten Zyklus erzählt die Geschichte von Noah und der Sintflut. Natürlich wird der Bibelliebhaber dem Cartoonisten nachsehen, dass er die Geschichte von Lot und Sodom und Ghomorrha ein wenig zurückverlegt – dem Sodomismus zuliebe, so nannte man früher die Homosexualität, die König auch in diesem Comic so liebevoll behandelt, dass selbst verstockte Heten darüber nachdenken, das Ufer zu wechseln.
Noah, das ist Königs Trick, ist eine Art Scrooge aus Dickens’ Weihachtsgeschichte. Der ist fundamentalistischer als der Herr selbst, der eigentlich kaum etwas gegen Sodom und Ghomorrha hat, und Noah überzeugt seinen Gott vom Plan der Sintflut.
Aber der Herr und Luz, die Schlange, fädeln den Gang der Geschichte raffiniert ein – wie genau das geschieht darf nicht verraten werden, weil die beträchtliche Spannung sonst gefährdet würde. Aber wiederum sind die Schlaglichter auf den Bibeltext theologisch höchst subtil konstruiert.
Ralf Königs neuer Comic ist mindestens genauso gut wie der erste Band "Prototyp", vielleicht noch einen Tick besser: Der Prolog beginnt mit dem leeren weißen Blatt und dort endet die Geschichte auch nach einem wunderbaren, gar nicht kitschigen, sondern frechem Appell an die Menschlichkeit Gottes und an die Verantwortung der Erdlinge.
Die Königsche Theologie würde man vielleicht am ehesten Originensisch und Pelageanisch verorten können: Wie beim häretischen Kirchenvater Origines gibt es einen kosmischen Erziehungsprozess, der selbst Gott noch mit einbezieht. Und wie bei Pelageus, ebenfalls Häretiker, ist der Mensch frei und letztlich auch frei von Erbsünde.
Gott ist in "Archetyp" weiter entwickelt als in Prototyp, wo er mehr oder weniger eitler Tüftler ist, den die Schlange Luz problemlos in die Tasche steckt. Hier ist er jedoch ein Ironiker, der alle Lebewesen in Frieden leben lassen möchte - und ein perfekter Lehrmeister für den Quasi-Taliban Noah. Der Srooge wandelt sich zum herzlichen Opa, und die Welt ist auf Königs Weise gerettet.
Man kann sich sicher sein, dass kein "Prototyp"-Leser vom zweiten Teil enttäuscht sein wird - und dem Autor Wünschen, dass ihm durchs vorweihnachtliche Geschäft ein Scherflein zuteil werde - abgesehen vom Ewigkeitswert dieser wunderbaren theologischen Spekulation.
Besprochen von Marius Meller
Ralf König: Archetyp
Rowohlt, 143 Seiten, 16,90 Euro