Ein Totenbuch mit 38.000 Namen
Mit einer Gedenkstunde wurde an den Bau des Konzentrationslagers Buchenwald vor 70 Jahren erinnert. Im Mittelpunkt des Gedenkens an das KZ, in dem 56.000 Menschen umgebracht wurden, stand die erstmalige Vorstellung eines Gedenkbuches mit den Namen aller recherchierbarer Toten.
"Willem Ver A, 30.11.1914 Rotterdam, Niederlande - 7.5. 1945 Buchenwald
Gerrit Herman Aalders, 5.5.1905, Enschede, Niederlande - 24.8.1944 Buchenwald
Gerrit van Aalst, 12.12.1907 Rotterdam, Niederlande - 10.08.1942 Buchenwald."
Es sind dicke Bücher, dicker, als je ein prall gefüllter Aktenordner, die der Stiftungsratsvorsitzende der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora, Thüringens Kultusminister Jens Goebel, heute den Überlebenden überreicht hat. Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Die einen nahmen es andächtig, andere wie eine Trophäe. In den großen Blättern zwischen den dicken schwarzen Kladden stehen Namen, Geburtsdaten und -orte und Sterbedaten und -orte. Nichts als Namen und Zahlen.
Goebel: "Die Namen von 38.049 Toten konnten nun in zehnjähriger intensiver Forschungsarbeit ermittelt werden. Zahlreiche Archive von Warschau bis Washington wurden von den 17 Mitarbeitern des Projektes aus Deutschland, Spanien, den USA und Russland ausgewertet. Oft mussten Angaben aus verschiedenen Quellen rekonstruiert werden, was die ohnehin schwierige Arbeit noch komplizierter machte."
Ein paar wenige Worte hat Jens Goebel zum Totenbuch gesagt. Die groben Daten, und dass nun den Nummern des KZ wieder die Namen zurückgegeben werden.
"Jean Yves Marie Abales, 7.12.1898 Plougoulm, Frankreich - 28.2.1944, Buchenwald
Chantscha Abbasow, 16.10.1919, Pako, Russland - 6.4. 1945, Buchenwald
Amiran Abchasow, 15.4.1921, Niwsjan, Georgien - 11.8.1944, Buchenwald"
Es ist die Arbeit von 17 Menschen. Zwei von ihnen haben richtig Herzblut hineingesteckt. In den letzten Wochen waren sie auf kaum etwas anderes ansprechbar, als auf das Totenbuch.
Sabine Stein steht am Lesegerät für Mikrofilme im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald. Auf Film 55 der Kopien, die die Alliierten von der Häftlingskartei gemacht haben, und die die Gedenkstätte vor wenigen Jahren aus Amerika angekauft hat, könnte er stehen, der Tibor Szilagy, den sie gerade sucht.
"So, sind wir ja schon bei Szilagi, suchen wir noch den Tibor. Also der Nachname stimmt schon mal."
Sein Name stand auf einer der Listen des Buchenwald Außenlagers Ohrdruf. Sechs Seiten, dreispaltig eng bedruckt.
"Genau. In dem Fall haben wir ihn."
Einer mehr. Ein Name mehr zu einer Nummer. Hier nun mit vielen Angaben zu seiner Person. Erfasst im sogenannten Zugangsbogen. Dr. Tibor Szilagy erhält seinen Eintrag im Totenbuch.
"Einesteils ist es die Freude oder auch die Genugtuung, dem Toten wieder eine Erinnerung zu geben. Andererseits steigt man in das tägliche Grauen hinab, wenn man sieht: so viele Leben hat das gekostet."
Drei Zimmer weiter: Harry Stein hat einen Zettel an der Bürotür. Wegen der Arbeit am Totenbuch will er nicht gestört werden. Er will es 70 Jahre nach Gründung des KZ den Überlebenden und der Öffentlichkeit übergeben. Aber: so akribisch viele Listen geführt wurden - es ist eine Sisyphos-Arbeit, die Namen zu recherchieren. Obwohl das KZ eigens ein Standesamt eingerichtet hatte.
"Diese Totenbücher des Standesamtes sind dann immer dünner geworden, je größer die Häftlingszahlen wurden, weil ganze Gruppen von Toten dort nicht mehr standesamtlich aufgenommen wurden. Das betraf zuerst die Russen, dann die Polen, dann die jüdischen Häftlinge, die gar keinen standesamtlichen Eintrag mehr erhielten, sondern nur in den täglichen Veränderungsmeldungen erstmals als Todesfall ausgewiesen werden."
Diese einzelnen Meldekarteien zu lesen, ist nicht einfach. Zum Beispiel, bei so eilig ausgefüllten Zetteln mit Namen, wie
Stein: "C R M I LL E, also 'Crmlle' - der Name ist so überliefert. Aber finden den Namen in keiner Datei, in keiner Datenbank."
In den Krankenbaumeldungen, in den Vermerken über die Außenlager - die jeweils eigene Nummern vergaben - recherchierten Harry Stein, Sabine Stein und ein Dutzend weiterer Mitstreiter ganze Biografien. Suchten Namensgleichheiten, verglichen mit der Datenbank in Yad Vashem, fanden am Ende nach zehn Jahren Arbeit 38.000 Namen mit Geburts- und Strebedatum und -ort. Und fanden tatsächlich diesen Italiener, der in Wahrheit Kurt-Walter Cruzil hieß.
"Die Absicht war ja, mit dem Gedenkbuch einen Grabstein aus Papier zu schaffen. Das heißt: Auf dem Grabstein muss der Name richtig geschrieben sein."
"Alexander Butschkowski, 13.5.1891, Chodecz, Polen - 15.12. 1939 Buchenwald
Max Paul Richard Büttelmann, 16.4.1880 Leipzig-Gohlis, Sachsen - 10.12.1941 Buchenwald"
38.049 Namen sind nun identifiziert. Es fehlen noch: 8000 sowjetische Kriegsgefangene, von denen kein einziger Name bekannt ist und vor allem die Toten der Evakuierungsmärsche. Die Gedenkstätte will langfristig alle ihre Namen recherchieren.
Das Totenbuch, das heute der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist ein Meilenstein. Ab Herbst soll es auch zu kaufen und später auch im Internet zugänglich sein. Viele Familien werden Gewissheit über das Leben von Angehörigen finden. Auch wenn etliche Spalten nur kryptische Hinweise auf das verschollene Leben enthalten.
Gerrit Herman Aalders, 5.5.1905, Enschede, Niederlande - 24.8.1944 Buchenwald
Gerrit van Aalst, 12.12.1907 Rotterdam, Niederlande - 10.08.1942 Buchenwald."
Es sind dicke Bücher, dicker, als je ein prall gefüllter Aktenordner, die der Stiftungsratsvorsitzende der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora, Thüringens Kultusminister Jens Goebel, heute den Überlebenden überreicht hat. Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Die einen nahmen es andächtig, andere wie eine Trophäe. In den großen Blättern zwischen den dicken schwarzen Kladden stehen Namen, Geburtsdaten und -orte und Sterbedaten und -orte. Nichts als Namen und Zahlen.
Goebel: "Die Namen von 38.049 Toten konnten nun in zehnjähriger intensiver Forschungsarbeit ermittelt werden. Zahlreiche Archive von Warschau bis Washington wurden von den 17 Mitarbeitern des Projektes aus Deutschland, Spanien, den USA und Russland ausgewertet. Oft mussten Angaben aus verschiedenen Quellen rekonstruiert werden, was die ohnehin schwierige Arbeit noch komplizierter machte."
Ein paar wenige Worte hat Jens Goebel zum Totenbuch gesagt. Die groben Daten, und dass nun den Nummern des KZ wieder die Namen zurückgegeben werden.
"Jean Yves Marie Abales, 7.12.1898 Plougoulm, Frankreich - 28.2.1944, Buchenwald
Chantscha Abbasow, 16.10.1919, Pako, Russland - 6.4. 1945, Buchenwald
Amiran Abchasow, 15.4.1921, Niwsjan, Georgien - 11.8.1944, Buchenwald"
Es ist die Arbeit von 17 Menschen. Zwei von ihnen haben richtig Herzblut hineingesteckt. In den letzten Wochen waren sie auf kaum etwas anderes ansprechbar, als auf das Totenbuch.
Sabine Stein steht am Lesegerät für Mikrofilme im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald. Auf Film 55 der Kopien, die die Alliierten von der Häftlingskartei gemacht haben, und die die Gedenkstätte vor wenigen Jahren aus Amerika angekauft hat, könnte er stehen, der Tibor Szilagy, den sie gerade sucht.
"So, sind wir ja schon bei Szilagi, suchen wir noch den Tibor. Also der Nachname stimmt schon mal."
Sein Name stand auf einer der Listen des Buchenwald Außenlagers Ohrdruf. Sechs Seiten, dreispaltig eng bedruckt.
"Genau. In dem Fall haben wir ihn."
Einer mehr. Ein Name mehr zu einer Nummer. Hier nun mit vielen Angaben zu seiner Person. Erfasst im sogenannten Zugangsbogen. Dr. Tibor Szilagy erhält seinen Eintrag im Totenbuch.
"Einesteils ist es die Freude oder auch die Genugtuung, dem Toten wieder eine Erinnerung zu geben. Andererseits steigt man in das tägliche Grauen hinab, wenn man sieht: so viele Leben hat das gekostet."
Drei Zimmer weiter: Harry Stein hat einen Zettel an der Bürotür. Wegen der Arbeit am Totenbuch will er nicht gestört werden. Er will es 70 Jahre nach Gründung des KZ den Überlebenden und der Öffentlichkeit übergeben. Aber: so akribisch viele Listen geführt wurden - es ist eine Sisyphos-Arbeit, die Namen zu recherchieren. Obwohl das KZ eigens ein Standesamt eingerichtet hatte.
"Diese Totenbücher des Standesamtes sind dann immer dünner geworden, je größer die Häftlingszahlen wurden, weil ganze Gruppen von Toten dort nicht mehr standesamtlich aufgenommen wurden. Das betraf zuerst die Russen, dann die Polen, dann die jüdischen Häftlinge, die gar keinen standesamtlichen Eintrag mehr erhielten, sondern nur in den täglichen Veränderungsmeldungen erstmals als Todesfall ausgewiesen werden."
Diese einzelnen Meldekarteien zu lesen, ist nicht einfach. Zum Beispiel, bei so eilig ausgefüllten Zetteln mit Namen, wie
Stein: "C R M I LL E, also 'Crmlle' - der Name ist so überliefert. Aber finden den Namen in keiner Datei, in keiner Datenbank."
In den Krankenbaumeldungen, in den Vermerken über die Außenlager - die jeweils eigene Nummern vergaben - recherchierten Harry Stein, Sabine Stein und ein Dutzend weiterer Mitstreiter ganze Biografien. Suchten Namensgleichheiten, verglichen mit der Datenbank in Yad Vashem, fanden am Ende nach zehn Jahren Arbeit 38.000 Namen mit Geburts- und Strebedatum und -ort. Und fanden tatsächlich diesen Italiener, der in Wahrheit Kurt-Walter Cruzil hieß.
"Die Absicht war ja, mit dem Gedenkbuch einen Grabstein aus Papier zu schaffen. Das heißt: Auf dem Grabstein muss der Name richtig geschrieben sein."
"Alexander Butschkowski, 13.5.1891, Chodecz, Polen - 15.12. 1939 Buchenwald
Max Paul Richard Büttelmann, 16.4.1880 Leipzig-Gohlis, Sachsen - 10.12.1941 Buchenwald"
38.049 Namen sind nun identifiziert. Es fehlen noch: 8000 sowjetische Kriegsgefangene, von denen kein einziger Name bekannt ist und vor allem die Toten der Evakuierungsmärsche. Die Gedenkstätte will langfristig alle ihre Namen recherchieren.
Das Totenbuch, das heute der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist ein Meilenstein. Ab Herbst soll es auch zu kaufen und später auch im Internet zugänglich sein. Viele Familien werden Gewissheit über das Leben von Angehörigen finden. Auch wenn etliche Spalten nur kryptische Hinweise auf das verschollene Leben enthalten.