Ein Tourismusort in der Coronakrise

Reit im Winkl, Ruhe im Winkl

23:36 Minuten
Skispringer ohne Schnee
Wer es ernst meint mit dem Sport, trainiert in Reit im Winkl auch im Sommer. © Deutschlandradio
Von Heinz Schindler |
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Fast ein Jahr lebt das bayerische Reit im Winkl jetzt mit der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen. Wie kommt der Ski- und Wanderort damit zurecht, dass ihm durch Lockdowns und Grenzschließungen ein Großteil der Besucher weggebrochen ist?
Die Hektik auf der vierspurigen Autobahn acht zwischen München und Salzburg lasse ich an der Abfahrt Bernau hinter mir. Auf der Landstraße bin ich schon bald fast alleine. Langgezogene Kurven vor dem Panorama der Chiemgauer Alpen eröffnen immer wieder neue Perspektiven auf einer Strecke von fast dreißig Kilometern.
Dann liegt es wieder vor mir: das Ski- und Wanderdorf Reit im Winkl. Ein Stück Bilderbuchbayern. Die katholische Kirche mit ihrer gelben Fassade und dem Zwiebelturm im Mittelpunkt des Ortes. Drumherum die Häuser, ganz alpenländisch, fast alle mit Holzgiebeln und Balkonen, aus denen mir im Sommer die Geranien aus den Blumenkästen entgegenzufallen schienen.

Eine zwiespältige Ruhe liegt über dem Ort

Jetzt aber, im Winter, ist Ruhe. Eine zwiespältige Ruhe – denn einerseits werben sie hier genau damit, dass man runterkommen kann vom städtischen Alltag. Andererseits verströmt der Lockdown eine Ruhe, die lähmt und die sich niemand gewünscht hat, sagt der Erste Bürgermeister Matthias Schlechter:
"Corona beeinflusst das Leben in Reit im Winkl stark. Dadurch, dass wir ja eine sehr intensiv touristisch geprägte Gemeinde sind und Corona ja sehr in den Bereich Tourismus und Vermietungsbetriebe eingreift, sind wir natürlich seit dem Lockdown oder Shutdown intensiv davon betroffen. Dazu kommt noch die Lage an der Grenze nach Österreich, die uns natürlich sowohl touristisch als auch von den Arbeitskräften her, insbesondere den Grenzpendlern stark betroffen hat. Und die Nachwirkungen, insbesondere im touristischen Bereich, wirken ja noch an."
Die nahe Grenze zu Österreich rückte den Ort im Sommer in die Schlagzeilen. Genauer: deren Verlauf quer über den Golfplatz des Golfclubs Reit im Winkl/Kössen.
"Wir sind in Europa der einzige grenzüberschreitende Golfclub", erklärt Clubmanager Martin Scholtys. "Die Grenze ist zwischen Loch fünf und Loch sechs. Also das fünfte Loch hört direkt an der Grenze auf, das sechste geht danach los. Direkt rüberspielen kann man nicht, aber man überquert eben die Grenze, wenn man unseren Platz spielt. Das war bisher für uns ein super Marketing-Tool, diese Einzigartigkeit, gepaart mit den unglaublichen Ausblicken, die man auf unserer Bahn hier auf den Wilden Kaiser und auch auf Reit im Winkl genießt. Nur in Corona-Zeiten und mit geschlossenen Grenzen hat sich das halt ins Gegenteil verkehrt."
Flatterband machte die für gewöhnlich kaum wahrgenommene Grenze wieder sichtbar. Dazu auf beiden Seiten Uniformierte, die das Flatterband sicherten. Evi Mittermaier, die Präsidentin des Golfclubs, fühlte sich unwohl:
"Es hat Polizei patrouilliert und darauf geachtet, ob auch jemand nur spazieren geht. Ob jemand die Grenze überquert. Und das ist schon grotesk. In unserer Zeit kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Das hat uns schon ein bisserl verunsichert, weil man ja nicht wusste: Mache ich was falsch? Darf ich jetzt da stehen, darf ich nicht? Es war schade, weil wir ja praktisch auf unserem eigenen Grundstück die Grenze hatten, wir durften unser eigenes Grundstück nicht betreten. Das war wirklich eigenartig."

Deutsche Golfer durften nur die deutschen Löcher spielen

Dass nach dem ersten Lockdown auch die Wiedereröffnung ihren ganz eigenen Charakter hatte – wen wundert's? Denn erst durften im Sommer nur die Österreicher und nur auf ihrer Seite spielen, dann die Deutschen auf den restlichen Löchern. Es ging bisweilen sogar noch ein wenig skurriler zu, erzählte mir Manager Martin Scholtys bei meinem Besuch im September:
"Es gab auch wirklich sonderbare Situationen, weil wir Mitglieder haben, die haben einen Wohnsitz in Österreich und einen Wohnsitz in Deutschland. Denen war es dann gestattet, sechs Löcher in Österreich zu spielen. Mussten sich dann in ihr Auto setzen, nach Reit im Winkl fahren und durften dann die deutschen zwölf Löcher spielen. Sie durften aber eben nicht über diese drei, vier Meter breite Straße gehen. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Ich sage mal, na klar muss es irgendwo Regeln und Grenzen geben. Aber in der Praxis sieht das halt oft komisch aus."
Gelebtes Europa im Corona-Jahr 2020. Im aktuellen Lockdown liegt der Schnee über Grenze und Golfclub, wo man sich für die neue Saison vor allem eine Wiederbelebung des Vereinslebens wünscht.
Die Golfer stehen damit nicht allein. Auch der Gebirgstrachten-Erhaltungsverein "Dö Koasawinkla" tritt seit einem Jahr weitaus weniger in Erscheinung als gewohnt. Obwohl er ein breites Spektrum abdeckt: Von der Pflege des Brauchtums bei Heimatabenden für die Touristen über Schuhplatteln und Dirndldrahn im Wettbewerb mit anderen Vereinen bis hin zur Förderung des Zusammenhalts in Reit im Winkl. Dabei hat er auch eine umfangreiche Jugendarbeit. Schon im Alter von fünf oder sechs Jahren kommen die Kinder zu den Koasawinklan. Die Trachten werden bezuschusst, vom Verein und vom Freistaat Bayern im Rahmen der Brauchtumspflege. Erst als junge Erwachsene kaufen sie sich ihre eigene, erzählt Graz Mühlberger, der Vorstand:
"Die Kinder sind relativ stolz drauf, dass sie die Tracht anziehen können. Es gibt ja viele Veranstaltungen, zum Beispiel die Erstkommunion oder auch der Schulbeginn, ganz wichtig, wo immer wieder die Buben und Dirndl dann beim ersten Schultag in Tracht erscheinen."

Die Tracht als bestes Gewand

450 Mitglieder haben die Koasawinkla. Der Trachtenverein begleitet in Reit im Winkl kirchliche ebenso wie weltliche Feste. Von Fasching über Fronleichnam, Erntedank bis in den Advent hinein. Eine analoge Form von Social Media.
"Der Trachtenverein ist natürlich auch ein Verein, der eine bestimmte Ortszugehörigkeit erfordert. Und meistens ist man schon stolz, wenn man jetzt diese Tracht präsentieren kann. Bei uns heißt ja die Tracht auch: Das ist eigentlich unser bestes Gewand. Und das zieht man natürlich auch gern bei solchen hohen Anlässen mit an."

Seit 120 Jahren besteht der Trachtenverein und hat den Zuschlag dafür erhalten, das Gautrachtenfest auszurichten. Hierbei treffen sich alle 23 im Chiemsee-Alpenverband organisierten Trachtenvereine. Im Leben eines Trachtlers kommt dies nur drei- oder viermal vor, so Ehrenvorstand Michael Neumaier:
Porträt von Michael Neumaier und Graz Mühlberger in Trachten.
120 Jahre besteht der Trachtenverein in Reit im Winkl in diesem Jahr. Ob das Fest im Juli stattfinden kann, ist aber noch unklar.© Deutschlandradio / Heinz Schindler
"So ein Fest richtet man bei uns alle 20 Jahre aus. Und da muss der ganze Ort mithelfen. Sämtliche Vereine braucht man da. Und das sind natürlich schon Dimensionen mit, ich sag mal, 4500 Mitwirkenden beim Festzug. Und das sind unsere 23 Gauvereine, die wir haben. Dann hat man auch noch benachbarte Vereine und befreundete Vereine. Und da sprechen wir dann schon von einer Dimension, wo es auch wirtschaftlich eine ganz schöne Herausforderung ist."
Aktuell herrscht vor allem Ungewissheit darüber, ob das Fest im Juli stattfinden kann. Im März soll entschieden werden, ob die Koasawinkla ein stilles Jubiläum feiern müssen.

Skisprung-Übungen in der Turnhalle

Wie der Trachtenverein, so hat auch der Wintersportverein etwa 500 Mitglieder, was ungefähr einem Fünftel der Einwohnerzahl von Reit im Winkl entspricht. Gold-Rosi Mittermaier ist ebenso Mitglied wie der Skisprung-Nachwuchs, den ich im September in der Turnhalle der kleinen Grundschule besucht hatte. Mit einem kleinen Rollwagen fuhren sie auf einer umgestürzten Bank auf einen Mattenstapel zu. Übten ihre Absprünge.
Der achtjährige Leopold Hinterberger, der für das Training eine Dreiviertelstunde Anfahrt aus Frasdorf auf sich nimmt, freute sich auf seinen ersten Wettkampf, hatte aber auch Respekt davor.
"Angst hat man immer ein bisschen, finde ich, aber es geht dann schon. Dann freut man sich ja immer wieder, wenn man's geschafft hat."
"Die Anfangshocke, die geht. Aber dann, das richtige Abspringen. Dass man es am richtigen Zeitpunkt macht."
"Wie trainierst du es am besten?"
"Eigentlich immer auf der Schanze. Daheim dann so Übungen. Die Anfahrtshocke so richtig tief, dann übt man halt daheim ein bisschen und auf der Wackelscheibe das Gleichgewicht."

Skisprungkämpfe - bis auf Weiteres ausgesetzt

Franziska Frohwieser, ebenfalls acht Jahre alt, hatte da schon ein wenig mehr Erfahrung. Und ist wie viele Kinder familiär vorbelastet.
"Mein Papa hat früher gesprungen und mir macht's einfach mega Spaß. Also die Flüge. Und umso größer die Schanze, umso weiter oben fliegst du. Und wenn du gerade richtig springst, richtig von der Schanze erwischst, dann fliegst du richtig, richtig hoch."
Dann aber kam der Lockdown. Doch Franziska und Leopold hatten mit ihrer Trainerin Caroline Göpfert das richtige Timing erwischt. Nicht nur im Wettkampf, sondern um überhaupt einen Wettkampf zu haben und all dem Trockentraining einen Sinn zu geben.
"Die Skisprungkämpfe, so wie wir sie normalerweise kennen, sind im Winter bislang alle ausgefallen. Und bis auf Weiteres auch ausgesetzt. Glücklicherweise kann man Skispringen ja nicht nur im Winter, sondern auch im Herbst. Und am letzten Tag, als es noch möglich war, hat tatsächlich noch eine Mini-Tournee stattfinden können. In dieser regionalen Wettkampfserie starten schon die ganz Kleinen und da hat der Leopold seinen ersten Wettkampf bestreiten können. Es freut mich wahnsinnig, dass er gewonnen hat. Und in der Mädchenklasse hat die Franziska gesiegt."
"Ich hab's geschafft, weil, ich wollte einfach mal eine größere Schanze und hab richtig Lust gehabt. Und dann bin ich einfach raufgegangen und hab's durchgezogen. Und in der Luft, da hebst du halt dann ab und da fliegst du richtig weit, das fühlt sich richtig toll an."
Und auch für Leopold heißt es demnächst: höher, um weiter zu kommen.
"Mein nächstes Ziel ist K20 springen, die nächstgrößere Schanze und deswegen übe ich jetzt gerade den Auslauf."

Wegen Corona ist nur Einzeltraining möglich

Im Rahmen der Corona-Auflagen dürfen die kleinen Skispringer derzeit nur Individualtraining erhalten. Der Sport eignet sich dafür hervorragend, der Trainer bleibt am Rand der Schanze im Trainerturm, die Skispringer auf der Schanze. Das ist zwar nicht optimal, aber schöner als virtuell oder gar nicht zu trainieren, ist es allemal.
"Ja, ist schon schade. Aber ich bin auch froh, dass wir wenigstens trainieren können."

Für das Trainerteam des Wintersportvereins bedeutet das Mehraufwand. Statt zwei oder drei Trainingseinheiten pro Woche sind es nun sieben oder acht. Doch das Wichtigste ist, dass die Kinder weder dem Verein noch dem Sport verloren gehen, sagt Caroline Göpfert. Im achten Jahr leitet sie die Trainingsgruppe. Einige der anfänglichen Teilnehmer sind inzwischen im Sportinternat und nehmen an internationalen Wettkämpfen teil.
Porträt von Leopold Hinterberger mit Helm auf der Skisprungschanze.
Skisprung-Nachwuchs Leopold Hinterberger konnte im Sommer noch darauf hoffen, im Winter seine ersten Wettbewerbe bestreiten zu können.© Deutschlandradio / Heinz Schindler
"Es schaut so aus, als wenn die Kinder einfach versuchen, jede Möglichkeit zu nutzen, ins Training zu kommen. Ich habe wirklich große Sorge gehabt, dass wir Kinder verlieren könnten. Dass einfach Kinder aufhören mit dem Skispringen. Aber wenn man dann sieht, mit welcher Freude die Kinder trainieren. Dass sie schon mit einem großen Strahlen im Gesicht zum Training kommen und das alles wirklich wegen dem Skispringen selbst machen und nicht nur wegen Wettkämpfen – dann weiß man ja, wofür man das macht."
Denn die ständige Konkurrenz ist die Spielkonsole daheim, mit schnellen Erfolgen und ohne Corona-Maßnahmen. Andererseits hat man aus der Not heraus selbst virtuelle Wettbewerbe für die Landeskader-Athleten erfunden. Die Sprünge werden gefilmt und eingeschickt, dann via Internet von den Verbandstrainern bewertet.
"Was den Kindern an dieser virtuellen Durchführung der Wettkämpfe besonders gefällt, ist, dass es abends die Siegerehrung als Youtube-Livestream gibt. Dort werden die Sieger-Videos noch mal gezeigt und die Preise, die sie gewonnen haben, und die Medaillen. Und natürlich sitzt die ganze Familie vorm Fernseher und schaut sich das an."

Mit dem Lockdown "war Ende"

Wintersport, das ist in Reit im Winkl aber nicht nur der im Verein organisierte, sondern eben auch der touristische. Andreas Mühlberger betreibt eine Langlaufschule und hatte sich auf arbeitsreiche Tage eingestellt.
"Die Buchungen für Langlaufkurse, die Anfragen im Geschäft, die waren wie üblich. Das war alles im Rahmen. Mit dem Lockdown ist dann ganz klar der Schnitt gekommen. Und von diesem Tag an war Ende."
Normalerweise hätte er gar keine Zeit für ein Gespräch mit mir. Neben der Langlaufschule betreibt er noch ein Sportartikelgeschäft und einen Skiverleih. Drei Standbeine und alle wackeln.
"Wir warten auf Öffnung, auf das Ende. Und werden dann versuchen, alles noch reinzupacken oder nachzuholen. Aber ist klar: Momentan steht alles. Es ist kein Unterricht möglich, es ist kein direkter Verkauf möglich, als Spezialist im Bereich Langlauf ist das natürlich immer mit einer sehr umfangreichen Beratung verbunden. Und das ist momentan jetzt einfach sehr schwierig."

Volle U-Bahnen in den Städten, aber kein Skifahren erlaubt?

Insgeheim, das höre ich durch, ist die aktuelle Saison abgehakt.
"Wir sind eigentlich schon zufrieden, wenn der nächste Winter mit Auflagen, mit Einschränkungen wieder funktioniert. Sodass wir zumindestens wieder Gäste begrüßen können. Natürlich mit Auflagen. Das ist uns klar, dass wir das nicht von heute auf morgen wegbringen. Aber wir sind gerüstet, wir haben uns viele Sachen überlegt, viel umgesetzt, viel probiert."
Etwa kleinere Gruppen in der Skischule oder das weiträumige Präparieren der Pisten. Wie auf der Winklmoosalm, Heimat von Olympiasiegerin Rosi Mittermaier und grenzübergreifendes Skigebiet mit den Ländern Salzburg und Tirol. Wobei derzeit nichts und niemand "übergreifen" soll. An der Grenze ist Schluss, betont Florian Weindl.
"Ich stehe auch da und denke, mit dem Skifahren, das ist doch eine schöne Sportart. Und den Schnee genießen. Aber wir dürfen natürlich nicht rüberfahren. An dem direkten Übergang ist eine Tafel und der Hinweis, dass hier einfach die Grenze ist. Und das reicht aus, da sind die Leute also so vernünftig. Das funktioniert, aber es schmerzt natürlich. Viele haben eine Saisonkarte gekauft. Und wenn ich die Bilder aus den Städten sehe, wie es in den U-Bahnen oder in den S- Bahnen oder in den Zügen zugeht: ich glaube, dann ist das ein bisschen überzogen worden. Aber... ist so."

Skifahren nur für Einheimische

Wagen wir dennoch einen kurzen Blick über die Grenze. Nicht in die direkte Nachbarschaft, aber in den Salzburger Lungau, mit dem Auto etwa anderthalb Stunden von Reit im Winkl entfernt. Auch dort wirbt man mit Schneesicherheit, kleinen Strukturen bei den Vermietern sowie damit, Ruhe in der Natur zu finden.
"Der Salzburger Lungau ist sehr abhängig vom Tourismus", sagt Madeleine Pritz, die Geschäftsführerin der Tourismusregion Salzburger Lungau.
"Das heißt, wir haben pro Tourismusjahr ungefähr 1,5 Millionen Nächtigungen. Das aufgeteilt auf zwei Drittel Wintertourismus, ein Drittel Sommertourismus. Man muss aber ganz klar festhalten, dass wertschöpfungsmäßig der Wintertourismus sehr viel stärker ist. Gerade das Weihnachtsgeschäft und das Neujahrsgeschäft, das macht alleine rund 70 Prozent der Wertschöpfung im Wintertourismus aus. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass da dann auch vermehrt größere Betriebe offen haben. Die Skischulen haben offen. Das heißt, Dienstleistungsanbieter, die sonst nicht geöffnet haben im Sommer, haben natürlich im Winter offen und drum ist da auch mehr Wertschöpfung generell immer."
Jeweils 40 Prozent der Urlauber kommen aus Deutschland und Österreich, der Rest vor allem aus den Benelux-Ländern. In diesem Winter hatten die Einheimischen den Beschlüssen der österreichischen Regierung zufolge die Skilifte und Loipen für sich.
"Es dürfen halt keine Gäste kommen. Wir Einheimischen können gut Ski fahren gehen, Schneeschuhwandern gehen, Skitouren gehen. Man kann sich auch in den Sportgeschäften eine Ausrüstung ausleihen. Das heißt, Skiverleih oder Langlaufverleih, das ist alles gegeben. Kann man sich holen. Da haben wir im Salzburger Lungau sicherlich auch aufgrund unserer geografischen Lage – dass wir eingebettet sind in den Niederen Tauern und so ein bisschen ein eigener Bezirk sind – dass es wirklich ziemlich reibungslos abläuft."

Hoffen auf den Sommer

Insgesamt ist es aber auch hier zu ruhig. Viele Stammgäste hatten ihren Aufenthalt mehrfach umgebucht, erst dann storniert. Den kleinen Orten fehlt das Leben, den Geschäften die Kunden und den Gemeinden die Kurtaxen. Im Lungau hoffen sie auf den Sommer.
"Diese Frustration, dass sie viel Aufwand betrieben haben für Maßnahmen, was seitens Regierung vorgegeben wurde, das spürt man eigentlich nicht so. Weil die Betriebe, gerade die Beherbergungsbetriebe oder die Gastronomie sehr sehr froh wären, wenn sie endlich aufsperren dürften und ein halbwegs normales Geschäftsjahr möglich wäre. Dann sind sie eigentlich froh, wenn sie überhaupt aufsperren dürfen und dann nehmen sie solche Maßnahmen gern in Kauf."
Zurück nach Reit im Winkl. Hier ist es gerade so ruhig wie gewöhnlich im November, wenn sich die letzten Herbsturlauber verabschiedet haben und die Vermieter durchatmen und sich auf die Wintersaison und die Feiertage vorbereiten. Doch diesmal scheint das November-Bild eingefroren zu sein, sagt Florian Weindl, der Leiter der Tourist-Info:
"Es ist extrem ruhig. Ich meine, das kann man an Zahlen festmachen. Über Weihnachten oder an den Hauptzeiten wären bis zu 4000 Gäste im Ort. Jetzt sind gerade einmal 2000 Einwohner, die punktuell, wo man die sieht. Es ist wirklich nichts los."
Luftaufnahme des bayerischen Skiorts Reit im Winkl in der Dämmerung.
Im Februar 2020 war in Reit im Winkl die Welt noch in Ordnung. Seit dem Pandemiausbruch in Deutschland steht dort mehr oder weniger alles still.© imago images / Westend61
An den äußeren Bedingungen im schneesicheren Ort liegt das nun wirklich nicht.
"Der Winter war gut, wir hätten pünktlich Schnee gehabt. Wir haben eine traumhafte Winterlandschaft. Man kann Winterwandern, man kann Schneeschuhgehen, es wäre alles vorbereitet gewesen, die Sonne scheint. Traumhafte Verhältnisse, wir haben einmal über einen halben Meter Pulverschnee gehabt. Es war wirklich sensationell. Man wollte am liebsten in den Schnee reinspringen und sich darin kugeln, weil es einfach so schön ist."
Bürgermeister Matthias Schlechter ist in diesen Wochen beinahe schon seelsorgerisch unterwegs. Verteilt warme Worte an all diejenigen, die ihm ihre Situation schildern. Mehr kann er nicht tun.
"Es ist ja schon ein bisschen traurig oder manchmal herzzerreißend. Die Häuser sind alle gut beieinander, jeder Dienstleister wäre in den Startlöchern. Die Pensionen würden gerne vermieten, die Gasthäuser würden gerne Leute bewirten. Jeder würde gerne. Und erstmals eigentlich in der Geschichte des Reit im Winkler Tourismus ist das, was du eigentlich gerne machst und was dein Lebensinhalt ist, untersagt. Und das drückt schon sehr aufs Gemüt der Einheimischen."

Täglich 11.000 Euro Einnahmeverlust allein durch die Kurtaxe

Auch der Gemeinde fehlen Einnahmen. Bei 4000 Gästen und 2,70 Euro Kurtaxe sind das fast 11.000 Euro – jeden Tag! Die wenigen Tagestouristen lassen bestenfalls beim "Click and collect", also beim Onlinebestellen und -abholen, Geld im Ort.
"Das ist natürlich nicht das, was sich jeder wünscht. Also jetzt im Winter sich eine Pizza zu holen oder einen Schweinsbraten und den dann irgendwo im Freien zu sich nehmen zu müssen, ist natürlich auch kein Spaß. Das wäre im Sommer anders. Das ist von der Konsumentenseite her gesehen und von der Anbieterseite fehlt natürlich ein Riesenanteil an Umsatz. Ein kleiner Ort wie Reit im Winkl hätte ja nie so viele Gastronomie-Sitzplätze und diese Leistungsfähigkeit, wenn wir den Tourismus nicht hätten. Und das ist ja bis auf wenige Prozent alles heruntergefahren."
Im Herbst noch waren Bürgermeister und Tourismuschef optimistisch. Urlaub in der Natur sei mit Abstand möglich. Man hatte die Vermieter und Gaststättenbetreiber in Hygienemaßnahmen geschult. Die wiederum hatten investiert und der Probelauf während der Lockerungen hatte funktioniert. Nun aber erscheint all das vergebens.
"Mit viel Aufwand hat man sich da Konzepte überlegt, wo man Laufwege entwickelt in den Geschäften, damit sich die Leute so wenig begegnen wie nur möglich. Der Aufwand wäre sehr sehr groß betrieben worden, ist aber leider Gottes nicht belohnt worden. Wir als Gemeinde haben uns auch, was die Langlaufloipen betrifft, wir hätten sie insgesamt breiter ausgestaltet, Sammlungsplätze bei Straßenüberquerungen hätten wir so groß präpariert, dass auch da die Begegnungsmöglichkeiten deutlich reduziert worden wären. Also viel coronagerechter als bei uns wäre ein Urlaub nicht möglich gewesen."

"100 Prozent Rückgang"

Lisa Ruh vermietet Ferienwohnungen. Ihre wirtschaftliche Bilanz des Corona-Winters ist so einfach wie schmerzlich:
"Ja, das ist ganz einfach: null von null hebt sich. Das ist eine ganz einfache Rechnung. 100 Prozent Rückgang. Logischerweise, weil wir ja seit 2. November geschlossen haben. Wir haben Beherbergungsverbot. Das heißt, ich darf gar keinen Gast nehmen. Ich dürfte wohl einen Geschäftsreisenden bei mir beherbergen. Aber davon gibt es nicht allzu viele, die jetzt viel zu tun hätten in Reit im Winkl."
Erstaunlich ruhig und abwartend sei die Stimmung bei ihren Kollegen. Denn es gibt viele private Vermieter, deren Existenz zwangsläufig in Frage gestellt wird.
"Die Regierung unterscheidet da zwischen dem gewerblichen Vermieter und demjenigen, der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung hat. Und der Letztere, der kriegt komplett gar nichts. Man muss ja so sagen: Sie würden jetzt offenkundig gar keinen Unterschied erkennen, ob Sie bei einem gewerblichen Vermieter wohnen oder bei einem Vermieter, der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung versteuert, weil das ist nämlich eine reine steuerrechtliche Frage, wie man das Ganze handhabt und wie man seinen Betrieb aufzieht. Aber da, wie gesagt, würden Sie jetzt keinen Unterschied bemerken. Aber in der finanziellen Hilfe merkt der Vermieter das jetzt schon, weil der eine was kriegt und der andere kriegt gar nix."

"Diskos und Partys gibt es bei uns nicht"

Auch Touristikchef Weindl kritisiert in diesem Punkt die Politik. Ihn stört vor allem die landläufige Wahrnehmung von Wintersport, sei es in München oder im Rest der Republik.
"Wintersport ist in der Politik sehr konzentriert worden auf Alpinskifahren und dann noch auf die Partymeile. Und das ist bei uns nicht. Wir haben Sport und Erholung in Ruhe und im Sonnenschein und im Schnee als Slogan. Wir haben keine Diskos und bei uns gibt es die Party nicht. Wir haben Winterwandern, wir haben Loipen, wir haben sportlich Aktive, wir haben Leute, die Ruhe und Erholung suchen. Diese Reduzierung von der Politik an den Wintersport hat mir sehr weh getan, weil wir ein anderes Image aufbauen und ein anderes Produkt verkaufen."
Die Grenze nach Tirol ist erneut geschlossen. Mit jeder Maßnahme heißt es mehr: Durchhalten, abwarten und mit jedem Corona-Gipfel die Saison noch ein wenig mehr abschreiben. Die Einsamkeit zu genießen und ruhig durchzuatmen fällt im Luftkurort manch einem zunehmend schwer. Wie schwer, vermag ich aus den Gesprächen nur zu erahnen. Und doch ist da die Hoffnung. Auf Ostern, auf den Sommer, wenn auch wohl mit Masken.
"Ich hoffe und glaube schon, dass wir in einen Sommer kommen, wie sich der letzte glücklicherweise entwickelt hat. Zum einen touristisch, aber zum anderen auch gesellschaftlich. Das war ja letztes Jahr im Frühjahr, da hat man ja richtig an der Körpersprache der Menschen gemerkt, der Frühling kommt. Die Infektionszahlen damals sind gefallen und da ist die Zuversicht wieder ins Land zurückgekehrt. Und auch von der Stimmung her, wo auch diese Einschränkungen in der Gastronomie akzeptiert wurden. Ich bin da zuversichtlich."
Damit steht Bürgermeister Schlechter nicht allein. In den Gesprächen kommt immer wieder der Wille durch, auszuharren und anzupacken. Und der Zusammenhalt der Menschen, die bei allen eigenen Sorgen den Blick für den Nächsten nicht verlieren. So kann es gelingen, diese Corona-Zeiten mental zu überstehen. In Reit im Winkl vielleicht eher als anderswo.
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