Ein tränenreicher Abschluss

Von Elske Brault |
Schlingensief-Theater ohne Schlingensief? Das geht eigentlich nicht. Zwei Monate nach dem Tod des Regisseurs war das Wiener Burgtheater dennoch beim Hamburger Theaterfestival mit "Mea Culpa" zu Gast. Es wurde eine merkwürdige Mischung aus Trauerfeier und Museumsstück.
"Ich habe ein bisschen Angst," hatte Hauptdarstellerin Irm Herrmann am Morgen vor der Vorstellung eingestanden. Anderthalb Jahre nach der Uraufführung und zwei Monate nach Christoph Schlingensiefs Tod war der Abschluss seiner großen Krebs-Trilogie noch einmal auf der Bühne zu sehen. Und warf die Frage auf: Kann es Schlingensief-Theater geben ohne Schlingensief? Der Regisseur selbst hatte sich dieses Gastspiel in Hamburg zu seinem 50.Geburtstag gewünscht. Es geriet zu einer merkwürdigen Mischung aus Trauerfeier und Museumsstück.

Eigentlich war ja alles ganz genau so wie seinerzeit in Wien: Etwa 30 Menschen wuseln über die Bühne, Opernsänger, vier afrikanische Schönheiten in exotischen Gewändern, alte Herren in roten Anzugjacken wie vom Schützenverein, der Schauspieler Joachim Meyerhoff als Schlingensief-Alter-Ego und Fritzi Haberlandt als seine Gattin Aino Laberenz oder auch als Oda Jaune, die junge Witwe des Malers Jörg Immendorff. Die Szenerie entwickelt sich vom Parsifal-Vorspiel zu einer Satire auf esoterische Heilsversprechen in einer Ayurveda-Klinik, nimmt in kurzen Schwenks Schlingensiefs weltweites Engagement in den Blick, seine "Fliegender Holländer"-Inszenierung im Urwald von Manaus und das geplante Operndorf in Burkina Faso, und landet am Ende beim Ureigensten des Künstlers: Seiner Angst vor dem Tod.

Das alles mit Texten von Goethe bis Slavoy Zizek und mit Musik von Richard Wagner bis Sheryl Crow. Hört sich an nach Chaos, Überforderung und der bei Schlingensief typischen Überlappung von Bedeutungsebenen, wirkte aber zumindest im ersten Teil erschreckend sinnvoll und geordnet. Wenn der wunderbare Joseph Damian Ortiz Garcia als dunkelhäutiger Parzival singt: "Hilft der Balsam nichts, Afrika birgt dann nichts mehr zu seinem Heil", dann ist das jetzt einfach eine dumpfe Tatsache. Afrika barg nichts mehr zu Schlingensiefs Heil, und sein Tod ist der Anker, der allen losen Versatzstücken seiner Ready-Made-Oper "Mea Culpa" ihren Platz zuweist und sie ordnet zu einem anrührenden, aber eben auch etwas konventionellem Trauerritual.

Erst nach der Pause schwebt Schlingensiefs Geist nicht länger erdrückend über seinen Darstellern, sondern stachelt sie auf: Sie fallen einander auch mal ins Wort, rennen den anderen um, kurz, ein Hauch des Schlingensiefschen Wahnsinns breitet sich aus. Fritzi Haberlandt hat einen ganz großen Auftritt als Aino Laberenz/Oda Jaune: Sie habe ihren bereits von der Krankheit beeinträchtigten Mann einfach geliebt, das sei der Grund gewesen für die Heirat – warum ihr das denn niemand glauben wolle?

Und dann tritt der Meister selbst auf – natürlich nicht leibhaftig, sondern vom Tonband. Schlingensief kommentiert, vermutlich eine Aufzeichnung aus der ursprünglichen Burgtheater-Aufführung, eigene Filmaufnahmen aus Manaus und ruft: "Damals war ich noch so jung, so voller Kraft!" Das ist zum Heulen. Wenn schließlich Joachim Meyerhoff als Schlingensief-Alter-Ego nach einem neuerlichen Versuch, ihn mit Wagner-Musik zur Todessehnsucht zu verführen, schlicht sagt: "Ich will einfach noch nicht", heult ein Teil des Publikums tatsächlich. Es gab am Ende minutenlangen Applaus im Stehen mit Johlen und Fußgetrampel. Da war sie für einen Moment spürbar, die Kraft, die von diesem Berserker ausging.

Und doch markiert dieses Gastspiel einen Wendepunkt. Ein Schlingensief-Stück ohne Schlingensief kann immer nur das Dokument eines unwiederholbaren Moments sein. Der Meister und sein Werk wandern ins Museum. Dazu passt, dass die Kuratorin der Venedig-Biennale, Susanne Gaensheimer, keinen jungen Künstler beauftragt hat, Schlingensiefs Pläne für den Deutschen Pavillon zu bearbeiten und im Geiste eines neuen, eigenen Wahnsinns auszugestalten.

Stattdessen will sie den Deutschen Pavillon für eine Schlingensief-Retrospektive nutzen und den außerhalb Deutschlands wenig bekannten Künstler dem internationalen Publikum nahe bringen. Eine der ersten Aufgaben wird sein, seine Filme mit englischen Untertiteln zu versehen. Das ist auch dringend notwendig: Soll das Operndorf in Burkina Faso je fertig werden, braucht es Unterstützung nicht nur aus Deutschland.
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