Ein tragikkomischer Mutter-Tochter-Konflikt

Gesehen von Hans-Ulrich Pönack |
In ihrem neuen Film spielt Isabelle Huppert eine exzentrische Chaos-Madame, deren größter Traum es ist, an den Strand von Rio de Janeiro zu reisen - was bei ihrer bürgerlichen Tochter auf Unverständnis stößt. Ein komischer Film mit tollen Akteurinnen, meint Hans-Ulrich Pönack.
Es gibt eine europäische Meryl Streep, also eine Schauspielerin, deren Filme immer gesehen werden müssen. Gegebenenfalls auch - wie hier - nicht gleich, sondern etwas später. Die Hauptsache, man hat ihre sämtlichen Auftritte im Filmblick: Isabelle Huppert, geboren am 16. März 1953 in Paris, habe ich seit ihrer Glanzrolle als "Die Spitzenklöpplerin" (1977) nie mehr aus den Augen verlieren wollen. Heute ist sie eine der höchstdekorierten Schauspielerinnen in Europa. Eine Spitzenkünstlerin, die sowohl im Film wie auch auf der Theaterbühne herrscht.

In "Copacabana" spielt sie Babou, eine ungebundene Schlampe - wie ihre 22-jährige Tochter Esméralda meint. Weil Babou nicht nur viel herumgekommen, sondern auch völlig unabhängig ist. Sich von ihrer Tochter aushalten lässt und das Leben so nimmt, wie sie es für richtig hält. Eine exzentrische, schminktechnisch betrachtet vulgäre, laute Chaos-Madame, die gerne immer am Rande lebt und im übrigen von der sonnigen Copacabana in Rio de Janeiro träumt. Orte, Partner und Jobs waren für sie stets unwichtige Flüchtigkeitsmomente. Ihre Tochter ist und plant da völlig anders. Möchte eine bürgerliche Familie gründen, normal leben. Will bald heiraten. Und die Mama auf gar keinen Fall mit dabei haben. Die Tochter schämt sich für ihre Erzeugerin. Was die aufbringt. Ge- und betroffen beschließt Babou also, für sich fortan ein stabileres Leben zu organisieren.

Als erstes besorgt sie sich eine ernsthafte Arbeit. Bei einer Immobilienfirma in der belgischen Küstenregion von Ostende. Dort soll sie Kunden für Ferienappartements anwerben. Angesichts der ungemütlichen kalten Jahreszeit kein leichtes Unterfangen. Zumal die innerbetriebliche Konkurrenz hellwach ist. Doch Babou kann auch anders, wenn sie will. Und diesmal will sie. Allerdings erweist sich dieses ölige Milieu hier auch als ziemlich glatt. Ausrutscher sind schnell möglich.

Der Konflikt der Generationen einmal andersrum. Die Mutter hibbelig, die Tochter erdig. Bodenständig. Die Mutter unanständig, mit vielen emotionalen Defiziten, schräg, schrill und offen, die Tochter dagegen pedantisch, bisweilen intolerant, käsig. Der hierzulande unbekannte 36-jährige Drehbuchautor und Regisseur Marc Fitoussi ergreift bei seinem (nach "La vie d'artiste", 2007) zweiten Spielfilm keine Partei. Überlässt dem Zuschauer die (Be-)Wertung. Verzichtet auf tränenreiche Erklärungs- wie Versöhnungsduelle. Ganz anders beim Zugriff auf die eisige Arbeitswelt. Wo Menschen arbeiten müssen und deshalb Demütigungen hinnehmen. Eklige Zumutungen ertragen, nur um den lausigen Job behalten zu dürfen. Hier wird Marc Fitoussi sehr deutlich.

Sein Film ist eine gelungene Mischung aus tragikomischer Komödie und treffendem Sozialdrama, erinnernd an vergleichbare spitzzüngige britische Konfliktfilme etwa eines Mike Leigh ("Happy-Go-Lucky") oder Ken Loach ("It's A Free World"). Getragen von hervorragenden Akteurinnen: Die 27-jährige Lolita Chammah als sich nach gutbürgerlicher Familienruhe sehnende verzweifelte Esméralda steht im wunderbaren Kampf-Kontrast zu ihrer nicht nur Film-, sondern auch wirklichen Mama Isabelle Huppert. Die sich hier von unkonventioneller, schlauer Schäbigkeit zeigt. Und völlig aus der Generationen-Art fällt. Um endlich ans bunte Rio-Ziel zu gelangen. Auf konsequent nervigen wie komischen Wegen. Toll!

Frankreich / Belgien 2010; Regie: Marc Fitoussi; Darsteller: Isabelle Huppert, Lolita Chammah, Aure Atika, Jurgen Delnaet; ohne Altersbeschränkung; 107 Minuten

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