Ein Überblick über die Kultur des Islams
Von Literatur über bildende Kunst und Architektur bis hin zu Musik und Textilien: Peter Heine beschreibt die Kultur der islamischen Welt - und erinnert an die Errungenschaften, die unter muslimischer Herrschaft zur Blüte gelangten.
Es ist eine gewaltige Aufgabe, eine Kulturgeschichte der islamischen Welt zu schreiben. Das Gebiet, um das es geografisch gesehen geht, ist riesig, die Formen der Kultur äußerst unterschiedlich – da lassen sich Essenz und Gemeinsamkeiten nur mit Mühe herausarbeiten.
Der Islamwissenschaftler Peter Heine hat es gewagt. Er beschreibt auf rund 240 Seiten Literatur, bildende Kunst und Architektur genauso wie Musik und Textilien – alles mit vielen Bildern anschaulich illustriert.
Erfreulich ist, dass Heine nicht nur auf die arabische Welt und den Iran schaut, sondern auch nach Südostasien – den Teil der islamischen Welt, der in Europa gerne vergessen wird. Auch sonst ist der Blick des Westens eingeschränkt. Er konzentriere sich viel zu sehr auf die politische und ideologiebestimmte Seite des Islams, beklagt Heine zu Recht:
Dabei ist in Vergessenheit geraten, dass unter islamischer Herrschaft eine Vielzahl von kulturellen Errungenschaften zur Blüte gelangte. In manchen Fällen fungierten Muslime als Vermittler zwischen dem Wissen der klassischen Antike und dem westlichen Abendland, in anderen machten sie das christliche Europa mit kulturellen Errungenschaften Indiens und Chinas bekannt. Dabei übten sie aber mehr als eine 'Briefträgerfunktion' aus. Vielmehr entwickelten sie auf dieser Basis philosophisches Gedankengut, medizinische Methoden oder technische Konstruktionen weiter.
Immerhin: Das Interesse im Westen an Kunst aus der islamischen Welt wächst. Im Berliner Gropius Bau waren dazu zwei herausragende Ausstellungen zu sehen. Die Schau "Taswir" zeigte 2009 Kunst und Kultur des Islam von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein Jahr später präsentierte das Haus die Schätze aus dem Fundus des britischen Sammlers Karim Agha Khan – eine Ausstellung mit faszinierenden Stücken.
Eines der aufregendsten Exponate war ein Kastanienblatt aus dem 19. Jahrhundert, filigran und in goldener Farbe mit einer Koransure bemalt. Überhaupt steht das Wort des Heiligen Buches im Zentrum des Islam, weshalb vor allem die Kalligrafie eine beliebte Ausdrucksform ist, wie Peter Heine erklärt:
Es gehört bis heute zu den guten Werken, die ein Muslim vollbringen kann, den Koran abzuschreiben. Schreiber, die sich durch besondere Kunstfertigkeit auszeichneten, waren hoch angesehen. Das wird daran deutlich, dass die Namen der Verfertiger dieser Schriften im Unterschied zu anderen Künstlern nahezu von Anfang an bekannt waren. Manche Schriftkünstler stiegen in hohe politische Positionen auf. Herrscher verbrachten etliche Zeit damit, den Schreibern bei ihrer Tätigkeit zuzusehen, ihnen sogar das Tintenfass oder den Leuchter zu halten.
Aus der Verehrung für das Wort Gottes sind Meisterwerke der Kalligrafie entstanden. Auch Künstler, die längst der Religion entsagt haben, greifen auf diese Ausdrucksform zurück.
Ein gespaltenes Verhältnis hat der Islam dagegen zum Bildnis von Menschen und Tieren. Strenggläubige Muslime lehnen solche Darstellungen strikt ab, weil sie darin eine Blasphemie sehen – der Mensch maße sich an, Gottes Schöpferwerk zu übernehmen. Sie berufen sich auf eine Überlieferung des Propheten Muhammad, die Peter Heine zitiert:
Der Engel Gabriel bat um Erlaubnis, zum Propheten einzutreten. Er sagte: Tritt ein. Da sagte Gabriel: Wie soll ich eintreten, während in deinem Haus ein Vorhang mit Bildern hängt? Entweder werden ihre Köpfe weggeschnitten oder sie werden zu einem Teppich gemacht, über den man tritt. Denn wir Engel betreten kein Haus, in dem sich Bilder befinden.
Wie streng dieses Bilderverbot auszulegen ist, darüber streiten sich die muslimischen Gelehrten. Absolut untersagt sind Bildnisse vom Menschen generell nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass sie rituell verehrt werden. Soweit die Theorie. In der Praxis des Alltagslebens aber erweist sich der Islam als pragmatisch. Bilder von Menschen sind auch in einem religiösen Kontext zu finden.
Peter Heine zeigt in seinem Band sogar eine Abbildung mit dem Gesicht des Propheten – zugegeben, eine Ausnahme. Beliebt waren schon unter frühen Herrschern Darstellungen von nackten Frauen oder Tänzerinnen, die mit Weinschalen hantierten – eine Provokation für die Frommen unter den Muslimen.
Eine Blüte erlebten Bildnisse vom Menschen dann im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit vor allem in Form von Miniaturen, mit denen Bücher geschmückt wurden. Es entstanden ganze künstlerische Werkstätten, die vor allem die Herrscher porträtierten.
Dabei werden jedoch nicht Individuen in ihrer körperlichen und persönlichen Unverwechselbarkeit gezeigt, sondern der Herrscher in seiner Machtapotheose. Hier mögen nicht zuletzt Marktinteressen eine Rolle gespielt haben. Viele Künstler und ihre Werkstätten waren nicht mehr von einem einzigen herrscherlichen Mäzen abhängig, sondern arbeiteten für einen kleinen, weit verstreuten, aber kapitalkräftigen Markt.
Ausführlich legt Peter Heine den Einfluss Europas und später der USA auf die Kunst des Orients dar – einen Einfluss, der bis heute prägend wirkt:
Viele junge muslimische Künstler hielten sich zu Studienzwecken mehrere Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien oder den USA auf. Sie erhielten ihre Ausbildung an Kunsthochschulen und von international anerkannten Künstlern. Ein Überblick über die Kunstproduktion der vergangenen 50 Jahre in Pakistan würde belegen, dass die Maler und Graphiker sich mit jeder europäischen Kunstrichtung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv auseinandergesetzt haben.
Gerne hätte man von dem emeritierten Professor für Islamwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität etwas mehr über islamische Einflüsse auf die Kunst des Westens gelesen – zumindest in einem Exkurs. Sein Buch ist dort am stärksten, wo es die Kultur des frühen Islam und des Mittelalters beschreibt.
Die Passagen über die Moderne bleiben etwas oberflächlich. So erfährt der Leser wenig über Sängerinnen wie die Ägypterin Umm Kalthoum oder die Libanesin Fairouz, deren Lieder in der arabischen Welt jedes Kind mitsingen kann. Auch den ägyptischen Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfouz handelt Peter Heine allzu knapp ab. Das Kino mit seinem reichen Filmschaffen erwähnt er nur Rande.
Dennoch: Sachlich, oft lexikalisch verschafft er dem Leser – auch dem Laien – einen sehr guten Überblick über die Kultur der islamischen Welt. Dieser Band macht jedenfalls Lust auf mehr.
Peter Heine: Märchen, Miniaturen, Minarette
Eine Kulturgeschichte der islamischen Welt
Primus Verlag, Darmstadt 2011
Der Islamwissenschaftler Peter Heine hat es gewagt. Er beschreibt auf rund 240 Seiten Literatur, bildende Kunst und Architektur genauso wie Musik und Textilien – alles mit vielen Bildern anschaulich illustriert.
Erfreulich ist, dass Heine nicht nur auf die arabische Welt und den Iran schaut, sondern auch nach Südostasien – den Teil der islamischen Welt, der in Europa gerne vergessen wird. Auch sonst ist der Blick des Westens eingeschränkt. Er konzentriere sich viel zu sehr auf die politische und ideologiebestimmte Seite des Islams, beklagt Heine zu Recht:
Dabei ist in Vergessenheit geraten, dass unter islamischer Herrschaft eine Vielzahl von kulturellen Errungenschaften zur Blüte gelangte. In manchen Fällen fungierten Muslime als Vermittler zwischen dem Wissen der klassischen Antike und dem westlichen Abendland, in anderen machten sie das christliche Europa mit kulturellen Errungenschaften Indiens und Chinas bekannt. Dabei übten sie aber mehr als eine 'Briefträgerfunktion' aus. Vielmehr entwickelten sie auf dieser Basis philosophisches Gedankengut, medizinische Methoden oder technische Konstruktionen weiter.
Immerhin: Das Interesse im Westen an Kunst aus der islamischen Welt wächst. Im Berliner Gropius Bau waren dazu zwei herausragende Ausstellungen zu sehen. Die Schau "Taswir" zeigte 2009 Kunst und Kultur des Islam von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein Jahr später präsentierte das Haus die Schätze aus dem Fundus des britischen Sammlers Karim Agha Khan – eine Ausstellung mit faszinierenden Stücken.
Eines der aufregendsten Exponate war ein Kastanienblatt aus dem 19. Jahrhundert, filigran und in goldener Farbe mit einer Koransure bemalt. Überhaupt steht das Wort des Heiligen Buches im Zentrum des Islam, weshalb vor allem die Kalligrafie eine beliebte Ausdrucksform ist, wie Peter Heine erklärt:
Es gehört bis heute zu den guten Werken, die ein Muslim vollbringen kann, den Koran abzuschreiben. Schreiber, die sich durch besondere Kunstfertigkeit auszeichneten, waren hoch angesehen. Das wird daran deutlich, dass die Namen der Verfertiger dieser Schriften im Unterschied zu anderen Künstlern nahezu von Anfang an bekannt waren. Manche Schriftkünstler stiegen in hohe politische Positionen auf. Herrscher verbrachten etliche Zeit damit, den Schreibern bei ihrer Tätigkeit zuzusehen, ihnen sogar das Tintenfass oder den Leuchter zu halten.
Aus der Verehrung für das Wort Gottes sind Meisterwerke der Kalligrafie entstanden. Auch Künstler, die längst der Religion entsagt haben, greifen auf diese Ausdrucksform zurück.
Ein gespaltenes Verhältnis hat der Islam dagegen zum Bildnis von Menschen und Tieren. Strenggläubige Muslime lehnen solche Darstellungen strikt ab, weil sie darin eine Blasphemie sehen – der Mensch maße sich an, Gottes Schöpferwerk zu übernehmen. Sie berufen sich auf eine Überlieferung des Propheten Muhammad, die Peter Heine zitiert:
Der Engel Gabriel bat um Erlaubnis, zum Propheten einzutreten. Er sagte: Tritt ein. Da sagte Gabriel: Wie soll ich eintreten, während in deinem Haus ein Vorhang mit Bildern hängt? Entweder werden ihre Köpfe weggeschnitten oder sie werden zu einem Teppich gemacht, über den man tritt. Denn wir Engel betreten kein Haus, in dem sich Bilder befinden.
Wie streng dieses Bilderverbot auszulegen ist, darüber streiten sich die muslimischen Gelehrten. Absolut untersagt sind Bildnisse vom Menschen generell nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass sie rituell verehrt werden. Soweit die Theorie. In der Praxis des Alltagslebens aber erweist sich der Islam als pragmatisch. Bilder von Menschen sind auch in einem religiösen Kontext zu finden.
Peter Heine zeigt in seinem Band sogar eine Abbildung mit dem Gesicht des Propheten – zugegeben, eine Ausnahme. Beliebt waren schon unter frühen Herrschern Darstellungen von nackten Frauen oder Tänzerinnen, die mit Weinschalen hantierten – eine Provokation für die Frommen unter den Muslimen.
Eine Blüte erlebten Bildnisse vom Menschen dann im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit vor allem in Form von Miniaturen, mit denen Bücher geschmückt wurden. Es entstanden ganze künstlerische Werkstätten, die vor allem die Herrscher porträtierten.
Dabei werden jedoch nicht Individuen in ihrer körperlichen und persönlichen Unverwechselbarkeit gezeigt, sondern der Herrscher in seiner Machtapotheose. Hier mögen nicht zuletzt Marktinteressen eine Rolle gespielt haben. Viele Künstler und ihre Werkstätten waren nicht mehr von einem einzigen herrscherlichen Mäzen abhängig, sondern arbeiteten für einen kleinen, weit verstreuten, aber kapitalkräftigen Markt.
Ausführlich legt Peter Heine den Einfluss Europas und später der USA auf die Kunst des Orients dar – einen Einfluss, der bis heute prägend wirkt:
Viele junge muslimische Künstler hielten sich zu Studienzwecken mehrere Jahre in Deutschland, Frankreich, Italien oder den USA auf. Sie erhielten ihre Ausbildung an Kunsthochschulen und von international anerkannten Künstlern. Ein Überblick über die Kunstproduktion der vergangenen 50 Jahre in Pakistan würde belegen, dass die Maler und Graphiker sich mit jeder europäischen Kunstrichtung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv auseinandergesetzt haben.
Gerne hätte man von dem emeritierten Professor für Islamwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität etwas mehr über islamische Einflüsse auf die Kunst des Westens gelesen – zumindest in einem Exkurs. Sein Buch ist dort am stärksten, wo es die Kultur des frühen Islam und des Mittelalters beschreibt.
Die Passagen über die Moderne bleiben etwas oberflächlich. So erfährt der Leser wenig über Sängerinnen wie die Ägypterin Umm Kalthoum oder die Libanesin Fairouz, deren Lieder in der arabischen Welt jedes Kind mitsingen kann. Auch den ägyptischen Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfouz handelt Peter Heine allzu knapp ab. Das Kino mit seinem reichen Filmschaffen erwähnt er nur Rande.
Dennoch: Sachlich, oft lexikalisch verschafft er dem Leser – auch dem Laien – einen sehr guten Überblick über die Kultur der islamischen Welt. Dieser Band macht jedenfalls Lust auf mehr.
Peter Heine: Märchen, Miniaturen, Minarette
Eine Kulturgeschichte der islamischen Welt
Primus Verlag, Darmstadt 2011