Ein üppig grünes Totenreich
Der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Friedhof "Skogskyrkogarden" nahe Stockholm gilt als einzigartig - für Trauernde ebenso wie für Architekturliebhaber. Was macht diesen Ort so besonders? Besuch in einem nordischen Arkadien.
Rund 20 Minuten dauert die U-Bahnfahrt auf der grünen Linie Richtung Farsta Strand vom Stockholmer City-Knotenpunkt "T-Centralen" bis zur Station "Skogskyrkogarden".
Schon am Friedhofseingang ahnt man die Besonderheit dieses Ortes. Vor den weit geöffneten Pforten sind Brunnen zu sehen, daneben Feuer-Ahorn. Ein erster Blick fällt auf die dunkelgrün-laubigen Hänge-Ulmen. In der weiten hügeligen Landschaft dahinter stehen skandinavischen Kiefern: Vor einem liegt ein nordisches Arkadien, ein üppig grünes Totenreich.
"Die Natur sollte die zentrale Rolle spielen. Und die Gräber sind ein Teil der Natur. Sie sehen hier auch keine Grabsteine, schauen Sie mal geradeaus runter, Sie sehen da gar nichts, Sie sehen da nur Bäume."
Seit zwei Jahren zeigt die in Bremen aufgewachsene Schwedin Elisabeth Daude Interessierten den zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden 85 Hektar großen Friedhof. Mit Elisabeth geht es jetzt zur Kolonnadenhalle hoch, zum riesigen Granitkreuz daneben, und oben wird plötzlich klar, was den Unterschied zwischen diesem und deutschen Friedhöfen ausmacht.
"Da hinten sehen Sie ja die Kinder spielen, nicht. Das ist nicht ungewöhnlich, das ist auch nicht unschön. Denn der Tod wird als ein Teil des Lebens gesehen. Das ist zwar ein Platz der Besinnung, und es läuft hier keiner auf den Gräbern herum, aber da hinten, wo die Rasenfläche ist, da kann man sehr schön die Möglichkeit haben als Kind zu laufen."
Dann geht es zum "Meditationslund", dem "Hügel der Besinnung" hoch. Zwar sind die Stufen unten hoch und breit. Doch:
"Je mehr wir uns dem höchsten Punkt nähern, desto schmaler werden die Stufen. Das hat der Architekt Sigurd Leverentz mit Absicht gemacht. Denn es ist schon schwer genug, wenn man da hoch geht und man an die Menschen denkt, die nicht mehr leben, die verstorben sind."
Stauden, Kleingehölz oben, das die Hügelkuppe begrenzt. Der Blick ist weit, geht zum Seerosen-Teich, in dem die Blattmasse flache Kuppeln bildet, als wären unter den Seerosen Fischgräber.
Eine Frau sitzt auf einer Bank hier oben, weint. In einer halbe Stunde, sagt sie, wird die Leiche eines Mitarbeiters von ihr verbrannt werden, mit dem sie sehr eng zusammengearbeitet hat.
Daude: "Wir gehen jetzt den Hügel herunter, und da können Sie jetzt links auch schon sehr schön die Drei Kapellen sehen, und dahinter auch das Krematorium. Das ist das Werk von Gunnar Asplund."
Die Architekten Gunnar Asplund und Sigurd Leverentz waren 1912 noch jung und unbekannt, als man sie mit der Gestaltung des Friedhofs beauftragte. Dass die Stadtväter ein glückliches Händchen mit der Wahl der zwei hatten, zeigt sich erneut auf dem 888 Meter langen Prozessionsweg "Der sieben Brunnen".
Obwohl: "Der Weg hier heißt der 'Weg der sieben Brunnen', die Brunnen sind hier nie angelegt worden, aber Sie sehen hier diese Perspektive. Wir können schon sehen, da ist was ganz am Ende dieses Weges."
Ganz klein, wie entrückt, vorn am Ende des Weges die "Auferstehungskapelle". Von hier aus können die Trauernden den Waldweg zum Meditationshügel gehen.
"Beidseitig des Weges sehen Sie die Kiefern, den dichten Wald hier. Und man sieht hier kaum was von Gräbern, es sind nur ein paar Steine, die waagerecht liegen. Die Gräber ragen nicht heraus. Ein Grabstein ist nicht größer als der andere. Wir haben hier und da mal eine Blume, aber ansonsten steht nur der Name da. Das ist eine Art, wie man begraben werden kann. Es gibt auch Menschen, die wählen noch anonymer begraben zu werden."
"Wir haben eine Mauer um den gesamten Friedhof herum. Diese Mauer ist 3,3 Kilometer lang. Und entlang der Mauer haben wir Gräber, wo nur Platten mit den Namen in die Erde gelassen werden, und die Asche der Verstorbenen in einem kleinen Samtsäckchen versenkt wird."
Dann habe ich Glück. Denn die Friedhofsmitarbeiterin Birgitta öffnet gerade die "Hoffnungskapelle" und ich darf - obwohl das nur mit Führungen erlaubt ist - trotzdem hineinsehen. In diesem Moment stehen plötzlich zwei Ehepaare aus München hinter mir, später erfahre ich, es sind Architekten, die den besonders bei Architekten so berühmten Friedhof besuchen. Birgitta zeigt auf den Kapellenboden.
"Und das Spezielle hier sind die Herzen links. Manchmal ist der Schmerz der Angehörigen so groß, dass sie zu Boden sehen. Und dann sehen sie die Herzen dort."
Eine der Münchnerinnen weiß, was in Schweden geschieht, bevor der Sarg verschwindet.
"Also da wird nicht der Sarg im Grab bestattet, während die Angehörigen und Freunde drumrumstehen, sondern der wird mit Blumen geschmückt, und man geht einmal um den Sarg herum."
Birgitta zeigt noch die anderen Kapellen: Glaube und Heiliges Kreuz. Später frage ich Peter Scheller, einen der Architekten aus München, was er hier macht, und was für ihn diesen Ort – wie für viele Architekten, die den Waldfriedhof besuchen – zu einem besonderen macht.
"Also der Friedhof an sich ist einfach schon mal als Anlage einem ganz anderen sozialen Bild verpflichtet. Der ermöglicht zum Beispiel verschiedene Zeremonien, um Abschied zu nehmen. Es gibt ein Wäldchen, da kann man selbst Asche ausstreuen von der Urne. Es gibt ganz normale Urnenwände, es gibt Gräberfelder, es gibt verschiedene Religionsgemeinschaften, die hier auf einem Friedhof beerdigt sind. Es gibt eine Weite und eine Großzügigkeit, das ist eher auch ein Park als ein Friedhof. Es gibt Aufenthaltsqualität, es gibt ein kleines Café hier, wie wir sehen, da kommen Leute her und essen ein Müsli und trinken eine Tasse Tee. Also es ist nicht mehr so ein tabues Totenreich, sondern es ist so eine andere Art Verwandtschaft zu begegnen später, vielleicht. Das ist hier ein ganz anderer Umgang mit Vergänglichkeit und hat auch eine große Qualität, wenn man hier ist im Sommer, und die Sonne scheint, und sitzt mit einem Kaffee mitten im Friedhof. Und dafür braucht es entsprechende Architektur, das fasziniert mich schon sehr."
Wenig vom Café entfernt die Waldkapelle mit dem goldenen Engel auf dem Dach, der mit geöffneten Armen empfängt.
Daude: ""Sie wissen, bei uns ist es im November wirklich richtig, richtig dunkel. Schon früh am Nachmittag, um halb vier ist es dunkel. Und dann kommen Sie auf diesen Friedhof, und es ist wie ein Lichtermeer. Es ist unbeschreiblich. Da oben auf dem Hügel der Besinnung, wo wir vorhin waren, das sieht aus wie eine Lichtermauer dort oben, und hier unten bei den Gräbern ist alles voll mit Kerzen. Es ist wunderschön."
Links auf dradio.de:
Religiöse und kulturelle Identität im osteuropäischen Film
Orthodoxes Christentum nach deutscher Prägung
Gemeinsam interreligiöse Brücken bauen
Schon am Friedhofseingang ahnt man die Besonderheit dieses Ortes. Vor den weit geöffneten Pforten sind Brunnen zu sehen, daneben Feuer-Ahorn. Ein erster Blick fällt auf die dunkelgrün-laubigen Hänge-Ulmen. In der weiten hügeligen Landschaft dahinter stehen skandinavischen Kiefern: Vor einem liegt ein nordisches Arkadien, ein üppig grünes Totenreich.
"Die Natur sollte die zentrale Rolle spielen. Und die Gräber sind ein Teil der Natur. Sie sehen hier auch keine Grabsteine, schauen Sie mal geradeaus runter, Sie sehen da gar nichts, Sie sehen da nur Bäume."
Seit zwei Jahren zeigt die in Bremen aufgewachsene Schwedin Elisabeth Daude Interessierten den zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden 85 Hektar großen Friedhof. Mit Elisabeth geht es jetzt zur Kolonnadenhalle hoch, zum riesigen Granitkreuz daneben, und oben wird plötzlich klar, was den Unterschied zwischen diesem und deutschen Friedhöfen ausmacht.
"Da hinten sehen Sie ja die Kinder spielen, nicht. Das ist nicht ungewöhnlich, das ist auch nicht unschön. Denn der Tod wird als ein Teil des Lebens gesehen. Das ist zwar ein Platz der Besinnung, und es läuft hier keiner auf den Gräbern herum, aber da hinten, wo die Rasenfläche ist, da kann man sehr schön die Möglichkeit haben als Kind zu laufen."
Dann geht es zum "Meditationslund", dem "Hügel der Besinnung" hoch. Zwar sind die Stufen unten hoch und breit. Doch:
"Je mehr wir uns dem höchsten Punkt nähern, desto schmaler werden die Stufen. Das hat der Architekt Sigurd Leverentz mit Absicht gemacht. Denn es ist schon schwer genug, wenn man da hoch geht und man an die Menschen denkt, die nicht mehr leben, die verstorben sind."
Stauden, Kleingehölz oben, das die Hügelkuppe begrenzt. Der Blick ist weit, geht zum Seerosen-Teich, in dem die Blattmasse flache Kuppeln bildet, als wären unter den Seerosen Fischgräber.
Eine Frau sitzt auf einer Bank hier oben, weint. In einer halbe Stunde, sagt sie, wird die Leiche eines Mitarbeiters von ihr verbrannt werden, mit dem sie sehr eng zusammengearbeitet hat.
Daude: "Wir gehen jetzt den Hügel herunter, und da können Sie jetzt links auch schon sehr schön die Drei Kapellen sehen, und dahinter auch das Krematorium. Das ist das Werk von Gunnar Asplund."
Die Architekten Gunnar Asplund und Sigurd Leverentz waren 1912 noch jung und unbekannt, als man sie mit der Gestaltung des Friedhofs beauftragte. Dass die Stadtväter ein glückliches Händchen mit der Wahl der zwei hatten, zeigt sich erneut auf dem 888 Meter langen Prozessionsweg "Der sieben Brunnen".
Obwohl: "Der Weg hier heißt der 'Weg der sieben Brunnen', die Brunnen sind hier nie angelegt worden, aber Sie sehen hier diese Perspektive. Wir können schon sehen, da ist was ganz am Ende dieses Weges."
Ganz klein, wie entrückt, vorn am Ende des Weges die "Auferstehungskapelle". Von hier aus können die Trauernden den Waldweg zum Meditationshügel gehen.
"Beidseitig des Weges sehen Sie die Kiefern, den dichten Wald hier. Und man sieht hier kaum was von Gräbern, es sind nur ein paar Steine, die waagerecht liegen. Die Gräber ragen nicht heraus. Ein Grabstein ist nicht größer als der andere. Wir haben hier und da mal eine Blume, aber ansonsten steht nur der Name da. Das ist eine Art, wie man begraben werden kann. Es gibt auch Menschen, die wählen noch anonymer begraben zu werden."
"Wir haben eine Mauer um den gesamten Friedhof herum. Diese Mauer ist 3,3 Kilometer lang. Und entlang der Mauer haben wir Gräber, wo nur Platten mit den Namen in die Erde gelassen werden, und die Asche der Verstorbenen in einem kleinen Samtsäckchen versenkt wird."
Dann habe ich Glück. Denn die Friedhofsmitarbeiterin Birgitta öffnet gerade die "Hoffnungskapelle" und ich darf - obwohl das nur mit Führungen erlaubt ist - trotzdem hineinsehen. In diesem Moment stehen plötzlich zwei Ehepaare aus München hinter mir, später erfahre ich, es sind Architekten, die den besonders bei Architekten so berühmten Friedhof besuchen. Birgitta zeigt auf den Kapellenboden.
"Und das Spezielle hier sind die Herzen links. Manchmal ist der Schmerz der Angehörigen so groß, dass sie zu Boden sehen. Und dann sehen sie die Herzen dort."
Eine der Münchnerinnen weiß, was in Schweden geschieht, bevor der Sarg verschwindet.
"Also da wird nicht der Sarg im Grab bestattet, während die Angehörigen und Freunde drumrumstehen, sondern der wird mit Blumen geschmückt, und man geht einmal um den Sarg herum."
Birgitta zeigt noch die anderen Kapellen: Glaube und Heiliges Kreuz. Später frage ich Peter Scheller, einen der Architekten aus München, was er hier macht, und was für ihn diesen Ort – wie für viele Architekten, die den Waldfriedhof besuchen – zu einem besonderen macht.
"Also der Friedhof an sich ist einfach schon mal als Anlage einem ganz anderen sozialen Bild verpflichtet. Der ermöglicht zum Beispiel verschiedene Zeremonien, um Abschied zu nehmen. Es gibt ein Wäldchen, da kann man selbst Asche ausstreuen von der Urne. Es gibt ganz normale Urnenwände, es gibt Gräberfelder, es gibt verschiedene Religionsgemeinschaften, die hier auf einem Friedhof beerdigt sind. Es gibt eine Weite und eine Großzügigkeit, das ist eher auch ein Park als ein Friedhof. Es gibt Aufenthaltsqualität, es gibt ein kleines Café hier, wie wir sehen, da kommen Leute her und essen ein Müsli und trinken eine Tasse Tee. Also es ist nicht mehr so ein tabues Totenreich, sondern es ist so eine andere Art Verwandtschaft zu begegnen später, vielleicht. Das ist hier ein ganz anderer Umgang mit Vergänglichkeit und hat auch eine große Qualität, wenn man hier ist im Sommer, und die Sonne scheint, und sitzt mit einem Kaffee mitten im Friedhof. Und dafür braucht es entsprechende Architektur, das fasziniert mich schon sehr."
Wenig vom Café entfernt die Waldkapelle mit dem goldenen Engel auf dem Dach, der mit geöffneten Armen empfängt.
Daude: ""Sie wissen, bei uns ist es im November wirklich richtig, richtig dunkel. Schon früh am Nachmittag, um halb vier ist es dunkel. Und dann kommen Sie auf diesen Friedhof, und es ist wie ein Lichtermeer. Es ist unbeschreiblich. Da oben auf dem Hügel der Besinnung, wo wir vorhin waren, das sieht aus wie eine Lichtermauer dort oben, und hier unten bei den Gräbern ist alles voll mit Kerzen. Es ist wunderschön."
Links auf dradio.de:
Religiöse und kulturelle Identität im osteuropäischen Film
Orthodoxes Christentum nach deutscher Prägung
Gemeinsam interreligiöse Brücken bauen