Ein universeller Diktatorenroman
Ngugi wa Thinog'o stammt aus einer kenianischen Bauernfamilie. Er schreibt nicht in Englisch, der Sprache, in der er studiert hat, sondern kehrt 1977 zu seiner Muttersprache Gikuyu zurück. "Herr der Krähen" hat er in Gikuyu verfasst und auch ins Englische übersetzt.
Der namenlose afrikanische Diktator in Ngugi wa Thiong'os Roman "Herr der Krähen" wirbt bei der Global Bank um Gelder für sein Projekt "Marching to Heaven", eine Art Turmbau zu Babel. Allerdings verliert "Seine Allmächtige Vortrefflichkeit" die Sprache, kann nur noch das Wort "wenn" ausstoßen und schwebt aufgebläht wie ein Luftballon unter der Zimmerdecke. Der Herrscher leidet an einem Fall von Weiß-Wahn: Er wünscht sich so sehr, weiß zu sein, dass er Sprache und Körper verliert.
In dieser Szene ist alles enthalten, was Ngugi wa Thiong'os "Herrn der Krähen" ausmacht: die Beschreibung einer menschenverachtenden Diktatur, die Analyse der afrikanischen Identitätsprobleme und die beißende Satire auf die Machtgierigen. Fast 1000 Seiten Diktatorenroman, fragt man sich ja vor der Lektüre, kann man das aushalten? Nicht nur das, lautet die Antwort, man freut sich über jede einzelne Seite, weil Ngugi wa Thiong'os Roman vor Witz und Fantasie nur so sprüht. Das Buch hat lange gebraucht bis zu uns, unter anderem weil, Ngugi wa Thiong'o in seiner Muttersprache Gikuyu schreibt und seine Bücher danach selbst ins Englische übersetzt. Thomas Brückner wiederum beweist bei der Übertragung ins Deutsche viel Witz und Geschick.
"Herr der Krähen" spielt in der fiktiven Freien Republik Aburiria, deren Bürger natürlich ganz und gar nicht frei sind. Der Herrscher will im Zentrum der Hauptstadt mit "Marching to Heaven" seinen gottähnlichen Status zementieren. Nach dieser Ankündigung bildet sich vor der Baufirma eine schier endlose Warteschlange aus Arbeitslosen, die endlich auf ihre Chance hoffen; Warteschlangen im ganzen Land sind die Folge. Als Verursacher aller Unbill in Aburiria wird bald der "Herr der Krähen" ausgemacht: Er heißt eigentlich Kamiti, hat nach seinem Hochschulabschluss in Indien jahrelang vergeblich nach Arbeit gesucht und reiht sich nun ein in das Heer der Bettler in der Hauptstadt.
Eher zufällig gibt er sich als Zauberer aus, entdeckt tatsächlich seine heilenden Fähigkeiten und verliebt sich in die Untergrundkämpferin Nyawira. Während Ngugi wa Thiong'o die Regierenden, übrigens auch die westlichen, als kriecherische, machtgierige Intriganten beschreibt, tappt er nicht in die Falle, seine zwei Gegenfiguren edel, hilfreich und gut zu zeichnen: Kamiti und Nyawira sind keine strahlenden Helden, sondern Vertreter des Volkes, die Fehler und Schwächen haben, sich aber nicht korrumpieren lassen wollen. Am Schluss überschlagen sich die Ereignisse, der Diktator hebt unter internationalem Druck "Baby D" (Demokratie) aus der Taufe. Aber die Hoffnung auf Veränderung stirbt so schnell, wie der Herrscher selbst als Krokodilfutter endet.
Ngugi wa Thiong'os Vorlage für Aburiria war Kenia unter Präsident arap Moi, der den Schriftsteller verfolgen und ohne Anklage ins Gefängnis werfen ließ. Aber "Herr der Krähen" ist ein universeller Dikatorenroman, in seiner Bildhaftigkeit und seinem erzählerischen Schwung denen des magischen Realismus von Vargas Llosa oder García Márquez ähnlich, aber im Stil einer ausufernden mündlichen Erzählung gehalten. Man denkt beim Lesen natürlich auch an die Diktatoren-Dämmerungen in der arabischen Welt und die Frage, was dort nun aus "Baby D" wird. "Herr der Krähen" ist eine so komische wie schockierende Lektüre im Herbst des arabischen Frühlings.
Besprochen von Dina Netz
Ngugi wa Thiong'o: Herr der Krähen
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A1 Verlag, München 2011
944 Seiten, 29,90 Euro
In dieser Szene ist alles enthalten, was Ngugi wa Thiong'os "Herrn der Krähen" ausmacht: die Beschreibung einer menschenverachtenden Diktatur, die Analyse der afrikanischen Identitätsprobleme und die beißende Satire auf die Machtgierigen. Fast 1000 Seiten Diktatorenroman, fragt man sich ja vor der Lektüre, kann man das aushalten? Nicht nur das, lautet die Antwort, man freut sich über jede einzelne Seite, weil Ngugi wa Thiong'os Roman vor Witz und Fantasie nur so sprüht. Das Buch hat lange gebraucht bis zu uns, unter anderem weil, Ngugi wa Thiong'o in seiner Muttersprache Gikuyu schreibt und seine Bücher danach selbst ins Englische übersetzt. Thomas Brückner wiederum beweist bei der Übertragung ins Deutsche viel Witz und Geschick.
"Herr der Krähen" spielt in der fiktiven Freien Republik Aburiria, deren Bürger natürlich ganz und gar nicht frei sind. Der Herrscher will im Zentrum der Hauptstadt mit "Marching to Heaven" seinen gottähnlichen Status zementieren. Nach dieser Ankündigung bildet sich vor der Baufirma eine schier endlose Warteschlange aus Arbeitslosen, die endlich auf ihre Chance hoffen; Warteschlangen im ganzen Land sind die Folge. Als Verursacher aller Unbill in Aburiria wird bald der "Herr der Krähen" ausgemacht: Er heißt eigentlich Kamiti, hat nach seinem Hochschulabschluss in Indien jahrelang vergeblich nach Arbeit gesucht und reiht sich nun ein in das Heer der Bettler in der Hauptstadt.
Eher zufällig gibt er sich als Zauberer aus, entdeckt tatsächlich seine heilenden Fähigkeiten und verliebt sich in die Untergrundkämpferin Nyawira. Während Ngugi wa Thiong'o die Regierenden, übrigens auch die westlichen, als kriecherische, machtgierige Intriganten beschreibt, tappt er nicht in die Falle, seine zwei Gegenfiguren edel, hilfreich und gut zu zeichnen: Kamiti und Nyawira sind keine strahlenden Helden, sondern Vertreter des Volkes, die Fehler und Schwächen haben, sich aber nicht korrumpieren lassen wollen. Am Schluss überschlagen sich die Ereignisse, der Diktator hebt unter internationalem Druck "Baby D" (Demokratie) aus der Taufe. Aber die Hoffnung auf Veränderung stirbt so schnell, wie der Herrscher selbst als Krokodilfutter endet.
Ngugi wa Thiong'os Vorlage für Aburiria war Kenia unter Präsident arap Moi, der den Schriftsteller verfolgen und ohne Anklage ins Gefängnis werfen ließ. Aber "Herr der Krähen" ist ein universeller Dikatorenroman, in seiner Bildhaftigkeit und seinem erzählerischen Schwung denen des magischen Realismus von Vargas Llosa oder García Márquez ähnlich, aber im Stil einer ausufernden mündlichen Erzählung gehalten. Man denkt beim Lesen natürlich auch an die Diktatoren-Dämmerungen in der arabischen Welt und die Frage, was dort nun aus "Baby D" wird. "Herr der Krähen" ist eine so komische wie schockierende Lektüre im Herbst des arabischen Frühlings.
Besprochen von Dina Netz
Ngugi wa Thiong'o: Herr der Krähen
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
A1 Verlag, München 2011
944 Seiten, 29,90 Euro