"Ein unverantwortlicher Rückschritt"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der Biologe Michael Succow hat angesichts der geplanten Föderalismusreform vor einer "enormen Aufweichung vorhandener gesetzlicher Grundlagen" im Umweltschutz gewarnt. In Deutschland drohe sich der Kleinmut durchzusetzen, während die ganze Welt über den zentralen Schlüsselbegriff der Nachhaltigkeit diskutiere, sagte Succow. Selbst Umweltpolitiker wie Sigmar Gabriel hätten bei der Föderalismusreform "gekniffen".
Von Billerbeck: Die Umweltverbände laufen Sturm gegen die Föderalismusreform, denn statt endlich ein einheitliches Umweltrecht zu schaffen, das bisher zwischen Bund und Ländern in zahllose Zuständigkeiten zersplittert ist, sollen die Zuständigkeiten via Föderalismusreform nur anders aufgeteilt werden. Das deutsche Umweltrecht ist so kompliziert, dass selbst Fachleute Mühe haben, sich im Gewirr der Vorschriften zurechtzufinden. Dennoch ist es bisher nicht gelungen, ein einheitliches Umweltrecht zu schaffen. Bisher konnte wenigstens der Bund Rahmengesetze für beispielsweise Naturschutz- und Landschaftspflege sowie für den Wasserhaushalt erlassen, künftig soll selbst diese Rahmengesetzgebung bis auf einige Ausnahmen wegfallen. Dafür dürfen die Bundesländer sogar vom Bundesrecht abweichen.

Darüber wollen wir jetzt mit Professor Michael Succow sprechen, er ist Biologe und war 1990 kurze vier Monate, eine dennoch sehr prägende Zeit, Vizeumweltminister der DDR und in diesen nur vier Monaten hat er unter anderem das Nationalpark-Programm auf den Weg gebracht. 1997 wurde ihm der Alternative Nobelpreis verliehen und von dessen Preisgeld hat er seine Umweltstiftung gegründet. Was befürchten Sie, wenn die Föderalismusreform durchkommt und das Umweltrecht sozusagen auf die geplante Weise "verschlimmbessert" wird?

Succow: Ja, nichts Gutes. Ich denke, es ist vielleicht so einzuschätzen: Ein Schritt nach vorn, aber drei Schritte zurück. Aktuell hat die Bundesregierung nur ein Ziel: Durch und nicht mehr daran wackeln. Und dieses "durch" und dieses, was da vorgesehen ist, bewirkt, dass die Länder die Möglichkeit kriegen, Abweichungen vorzunehmen zum Bundesgesetz. Und diese Abweichung der Länder, ja, die werden sich danach richten, wo kann ich in dieser Wettbewerbsgesellschaft hier noch einen Investor ranholen, wo kann ich da noch einen Vorteil haben gegenüber einem anderen Land? Das heißt also, es wird auf Landesebene eine enorme Aufweichung vorhandener gesetzlicher Grundlagen geben.

Wenn ich jetzt mal konkret vier Beispiele nennen darf. Die Pflicht zum Aufbau eines europäischen und nationalen Biotopverbundes, darüber haben jetzt die Länder zu befinden, nicht mehr der Bund. Die Landschaftsplanung, die Eingriffsregelung, die Verpflichtung auf gute fachliche Praxis - da gehört die ganze Landnutzung dazu -, die Schutzgebietstypisierung, Umweltmonitoring und auch die Mitwirkung und Klagebefugnis der Naturschutzverbände. Das alles sind Dinge, die jetzt im Rahmen der Abweichungsmöglichkeiten von den Ländern separat geregelt werden können. Und das sind Dinge, die, wie ich denke, ohne Beispiel sind im EU-Europa derzeit und die schon derzeit nicht leichte Situation des Natur- und Umweltschutzes weiter verschlimmern.

Von Billerbeck: Nun hat die Deutsche Umwelthilfe gestern gesagt: Unsinn ist gegen Unsinn ausgetauscht worden und das Land wird mit dem Ergebnis des doppelten Unsinns leben müssen. Nun haben wir ja nicht gerade einen Mangel an Experten für Umweltschutz, Leute wie Sie. Warum holt die Bundesregierung, um dieses Gesetz durchzupeitschen - um das so direkt zu sagen -, nicht fachlichen Rat ein?

Succow: Es ist Rat gegeben. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in einem Sondergutachten - ich habe es hier vorliegen, "Der Umweltschutz in der Föderalismusreform" - sehr explizit, sehr grundsätzlich das Ganze auseinander genommen, kommt zu einem ganz klaren Urteil. Es ist so, dass auch selbst der BDI erklärt, er wäre an einem doch guten Bundesgesetz eher interessiert, weil er eben befürchtet, dass dann die uneinheitlichen Umweltstandards in den einzelnen Ländern fragmentiertes Recht geben, was praktisch das schwierig macht. Auch Glos hat sich ja im Prinzip für - im Bereich Umwelt-, Naturschutz -, für ein relativ starkes Bundesrecht ausgesprochen. So. Das Ganze ist nun scheinbar am Scheitern. Und meine große Hoffnung ist, dass die Abgeordneten - und das muss ja durchs Parlament, es muss ja eine Zweidrittelmehrheit dafür sein -, dass die Abgeordneten der großen Koalition Zivilcourage haben und Mut haben, hier dieses nicht durchgehen zu lassen. Das wäre also wirklich ein unverantwortlicher Rückschritt.

Von Billerbeck: Die Kanzlerin war ja Bundesumweltministerin, wie wir uns noch erinnern, und Sie haben 1991/92 den brandenburgischen Umweltminister beraten. Der ist heute Ministerpräsident und SPD-Chef und segnet genau diese Föderalismusreform ab. Müsste es Matthias Platzeck nicht besser wissen, Herr Succow?

Succow: Ja, unbedingt. Ich freue mich etwas über mein Land Mecklenburg-Vorpommern, was als einziges wohl innerhalb der Regierungen nicht zugestimmt hat. Das ...

Von Billerbeck: Es hat sich aber auch nur der Stimme enthalten.

Succow: Enthalten, ja. Und da spielt sicher die Hochschulpolitik - das ist ein anderes Feld, über das ich genauso unglücklich bin - eine Rolle. Hier, dass auch Gabriel gekniffen hat, finde ich auch nicht hinnehmbar. Und nun, ja, meine einzige Hoffnung eben: Mut der Abgeordneten. Selbst die FDP entdeckt ja nun auf einmal ihre, ja, Neigung zur Umweltpolitik - jedenfalls so entnehme ich es den Medien - und ...

Von Billerbeck: Das ist ganz neu?

Succow: Ja, das ist ganz neu. Also, mutige Abgeordnete, das ist mein Appell, um das zu verhindern. Denn in einer Zeit der Globalisierung können wir nicht diesen wichtigen, zentralen Punkt - es geht um unsere Zukunft und die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftens - hier praktisch wieder zurückfallen. Und wir waren auf gutem Wege, wir waren in Teilen Vorreiter und, ja, ich bin also ganz verzweifelt im Augenblick.

Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit dem Greifswalder Biologen Professor Michael Succow über die Konsequenzen, die dem Umweltschutz durch die Regelungen der Föderalismusreform drohen. Herr Succow, gibt es in der Politik überhaupt noch ein Bewusstsein für die langfristigen Konsequenzen auf die Umwelt, die so ein unter Finanzdruck zusammengeschustertes Gesetz bringt? Oder wieso ist das so, dass Themen wie Nachhaltigkeit so schwer durchdringen?

Succow: Ja, alles spricht von Nachhaltigkeit, das ist eines der großen Schlüsselbegriffe jetzt, ja, in der ganzen Welt. Und wenn es dann konkret wird, dann ist wieder Kleinmut, dann ist wieder, ja, ein Nichtbegreifen der Fragen der Zeit, der Notwendigkeiten zu spüren. Und das macht mich eben so traurig, dass eine Bundesregierung, die es besser weiß, die ganz sicher in unserer Welt eine der herausragenden Positionen spielt, die in vielen Bereichen auch Vorreiter war, neues Denken im Umgang mit unseren Naturressourcen brachte, dass die auf einmal rückfällig wird, auf einmal, ja, eben dieses, ja, Augen-zu-und-durch, um zu zeigen, wir sind handlungsfähig, wir sind ein großes Kollektiv, wir können richtige, große Politik machen. Das ist eigentlich so das Beschämende daran.

Von Billerbeck: Deutschland ist ja im Umsetzen von EU-Umweltrichtlinien auch immer sehr langsam gewesen. Also, Landesregierungen haben sich auf wirtschaftliche Notwendigkeiten berufen, wenn sie europäisches Umweltrecht missachteten - bar jeder rechtlichen Grundlage. Es hat beispielsweise immer sehr lange gedauert, bis freie Flächen für den Naturschutz dann ausgewiesen wurden - immer so lange, bis man kurz vor der Verhängung einer Strafe stand aus Brüssel. Warum ist Deutschland nicht Vorreiter auf dem Gebiet des Umwelt- und Naturschutzes?

Succow: Ja, es ist schwer nachzuvollziehen, dass wir in diesem doch sehr reichen Deutschland uns so wahnsinnig schwer taten mit der Ausweisung von FFH - also dieser Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien-Gebieten. Dass wir uns so wahnsinnig schwer tun mit einem Umweltmonitoring. Umweltmonitoring, also die Untersuchung der Vegetation der Tier- und Pflanzenwelt in Hinblick auf Veränderung. Gerade jetzt beim Klimawandel sind jetzt enorme Veränderungen festzustellen. Ganze Artengruppen fallen weg, andere, aus dem Süden, wandern ein. Das alles machen viele Länder ganz genau, ganz detailliert. Wir haben uns bisher da gescheut.

Der Bund sagt: Das ist Länderaufgabe; und die Länder sagen: Wir haben kein Geld. So. Und dieser Nachholbedarf, der wird jetzt noch viel, viel akuter werden. Es wird noch viel schlimmer werden, wenn ich sehe, die armen Bundesländer - gerade hier die Nordländer mit ihrem hohen Naturpotenzial - werden nicht in der Lage sein, hier entsprechend zu handeln und sie werden ihre Gesetze aufgrund der momentanen Zwänge entsprechend gestalten. Und das sind Dinge, die einfach für uns nicht hinnehmbar sind - für die gesamte Gesellschaft.

Von Billerbeck: Rückfall in die Kleinstaaterei. Was dem Naturschutz droht, wenn die so genannte Föderalismusreform durchkommt, darüber sprachen wir im Radiofeuilleton mit dem Biologen Professor Michael Succow. Herzlichen Dank.