Ein unvergleichliches Trauma-Team
Veit Harlan war der Regisseur von "Jud Süß" und eine zentrale Figur in der Nazi-Filmindustrie. Sein kürzlich verstorbener Sohn Thomas wirft in "Veit" Schlaglichter auf die "Generation der Schufte" - und beschreibt seine eigene Fixierung auf die Schuld des Vaters.
Der Rahmen dieses Buches ist ein Sterbe-Tableau: Veit Harlan moribund in Capri, eine Zeremonie des Abschieds. Der Regisseur von "Jud Süß" hat den verlorenen Sohn 1964 herbeigerufen; und Thomas Harlan (1929-2010), der seinen filmkunstbesessenen, gesellschaftlich erfolgreichen, im Umgang charmant-gewitzten Vater bis in die Nachkriegszeit verehrte, ist gekommen: "Ich lag neben ihm, als er starb."
"Veit" ist so knapp wie der Titel, eine Verdichtung im doppelten Sinn: Komprimierung und Poetisierung, mit Schlaglichtern auf die "Generation der Schufte", mit zentralen Szenen aus den Biografien von Vater und Sohn: Veit Harlan, wie er 1940 mit Goebbels und Kristina Söderbaum die umjubelte Uraufführung von "Jud Süß" bei den Filmfestspielen von Venedig erlebte, Thomas Harlan, wie er mit dem – grandios porträtierten – Freund Klaus Kinski ein Münchner Kino anzündete, weil es Harlan-Filme zeigte.
Dass er für lange Jahre Deutschland verließ, hing damit zusammen, dass seine Vorteile als "Sohn des nationalsozialistischen Trösters und Filmgotts" nach 1945 nicht aufhören wollten: "weil ich meines Namens wegen in einem solchen Maße den Freundlichkeiten und der Sympathie meiner Mitbürger ausgeliefert war, dass ich umsonst bekam, wofür andere bezahlen mussten…" Allein dieser Satz ist ein beklemmendes Stück frühbundesdeutscher Mentalitätsgeschichte.
Aber hat die lebenslange Fixierung auf die Schuld des Vaters nicht auch etwas von einer fixen Idee? Schließlich war Veit Harlan kein Himmler oder Heydrich. Eben drum! Bei denen gibt es kein moralisches Zwielicht, ihr Großverbrechertum steht außer Frage. Anders bei all den geschönten Biografien, wo die Einschätzung oft schwankt zwischen Mitläufer und Massenmörder. Das lässt keine Ruhe. Hat der Vater in der Nazi-Filmindustrie seine erbärmliche Schuldigkeit getan – oder hat er erbarmungswürdige Schuld auf sich geladen? Von diesem Zwiespalt, der ein Abgrund ist, hat Thomas Harlans Moralismus seinen Impetus bezogen.
"Veit" hat er wenige Monate vor seinem Tod diktiert. Unverkennbar sind die kunstvoll wuchernden Satzgebilde, der kraftvolle Rhythmus der Sprache. Trotzdem hat das Buch etwas Mündliches in seiner gesanghaften Form der Vater-Beschwörung, in der pathetischen Du-Anrede: "Du unabschätzbarer unter den Tätern, tatenloser Gewaltmensch, tadelloser Gewalttäter". Schließlich wird Veit zum beinahe kafkaesken Vatergott, der dem Sohn die Schuld der Selbstgerechtigkeit vergeben möge. Aus dem anklagenden "wegen Dir" wird das leidende "an Deiner Statt": "Vater, ich bin bereit, deine Schuld auf mich zu nehmen" – die Paradoxie besteht freilich darin, dass der Vater diese Schuld nie akzeptierte.
Es ist, als würde der Durst nach Schuld Thomas Harlan überleben. Dieser Vater und dieser Sohn waren ein unvergleichliches Trauma-Team. Mit dieser lapidaren Feststellung darf man das biblische Nachfolge-Pathos und die bisweilen schmerzensmännliche Verquältheit von "Veit" unterlaufen. Um hinzuzufügen: Es ist eine große Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Thomas Harlan: Veit
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011
156 Seiten, 17,95 Euro
"Veit" ist so knapp wie der Titel, eine Verdichtung im doppelten Sinn: Komprimierung und Poetisierung, mit Schlaglichtern auf die "Generation der Schufte", mit zentralen Szenen aus den Biografien von Vater und Sohn: Veit Harlan, wie er 1940 mit Goebbels und Kristina Söderbaum die umjubelte Uraufführung von "Jud Süß" bei den Filmfestspielen von Venedig erlebte, Thomas Harlan, wie er mit dem – grandios porträtierten – Freund Klaus Kinski ein Münchner Kino anzündete, weil es Harlan-Filme zeigte.
Dass er für lange Jahre Deutschland verließ, hing damit zusammen, dass seine Vorteile als "Sohn des nationalsozialistischen Trösters und Filmgotts" nach 1945 nicht aufhören wollten: "weil ich meines Namens wegen in einem solchen Maße den Freundlichkeiten und der Sympathie meiner Mitbürger ausgeliefert war, dass ich umsonst bekam, wofür andere bezahlen mussten…" Allein dieser Satz ist ein beklemmendes Stück frühbundesdeutscher Mentalitätsgeschichte.
Aber hat die lebenslange Fixierung auf die Schuld des Vaters nicht auch etwas von einer fixen Idee? Schließlich war Veit Harlan kein Himmler oder Heydrich. Eben drum! Bei denen gibt es kein moralisches Zwielicht, ihr Großverbrechertum steht außer Frage. Anders bei all den geschönten Biografien, wo die Einschätzung oft schwankt zwischen Mitläufer und Massenmörder. Das lässt keine Ruhe. Hat der Vater in der Nazi-Filmindustrie seine erbärmliche Schuldigkeit getan – oder hat er erbarmungswürdige Schuld auf sich geladen? Von diesem Zwiespalt, der ein Abgrund ist, hat Thomas Harlans Moralismus seinen Impetus bezogen.
"Veit" hat er wenige Monate vor seinem Tod diktiert. Unverkennbar sind die kunstvoll wuchernden Satzgebilde, der kraftvolle Rhythmus der Sprache. Trotzdem hat das Buch etwas Mündliches in seiner gesanghaften Form der Vater-Beschwörung, in der pathetischen Du-Anrede: "Du unabschätzbarer unter den Tätern, tatenloser Gewaltmensch, tadelloser Gewalttäter". Schließlich wird Veit zum beinahe kafkaesken Vatergott, der dem Sohn die Schuld der Selbstgerechtigkeit vergeben möge. Aus dem anklagenden "wegen Dir" wird das leidende "an Deiner Statt": "Vater, ich bin bereit, deine Schuld auf mich zu nehmen" – die Paradoxie besteht freilich darin, dass der Vater diese Schuld nie akzeptierte.
Es ist, als würde der Durst nach Schuld Thomas Harlan überleben. Dieser Vater und dieser Sohn waren ein unvergleichliches Trauma-Team. Mit dieser lapidaren Feststellung darf man das biblische Nachfolge-Pathos und die bisweilen schmerzensmännliche Verquältheit von "Veit" unterlaufen. Um hinzuzufügen: Es ist eine große Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Thomas Harlan: Veit
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011
156 Seiten, 17,95 Euro