Ein verdammt hartes Land

Von Margarete Blümel |
Nach der Antarktis ist Australien der trockenste Kontinent der Welt. Wenn der Busch vertrocknet ist, reicht ein einziger Funke, um ein Inferno auszulösen. Andernorts in Australien lösen heftige Wolkenbrüche Überflutungen des Landes aus. Während Farmer über eine Zunahme extremer Wetterlagen klagen, gehören sie für die Ureinwohner genauso wie Überflutungen und Feuersbrünste seit Menschengedenken zum Charakter ihres Landes.
Wenn sich die Australier Ende Januar in Sydney an ihrem Nationalfeiertag der Besiedlung des Kontinents durch die Europäer erinnern, scheint in der Regel die Sonne warm und freundlich. Dort, im Hyde Park der Stadt, versammeln sich Festteilnehmer auf den Rasenflächen, lauschen den Bands und essen und trinken, was Kühltaschen und Imbissstände hergeben. Auf einem großen Podium sitzen die diesjährigen Australier des Jahres, Menschen, die ihrer besonderen Leistungen wegen geehrt und mit einer Prämie bedacht werden. Rechts vor der Bühne haben es sich die künftigen Staatsbürger auf Klappstühlen so gemütlich wie möglich gemacht. In wenigen Minuten werden sie einen feierlichen Eid auf die australische Verfassung ablegen. Ein paar der Frauen putzen sich verstohlen die Nase, während die Männer den Schweiß von Oberlippe und Stirn wischen - und die Tränen aus den Augenwinkeln gleich mit.

Viele der hier angekündigten Neubürger leben schon seit etlichen Jahren in Australien. Damit wissen sie auch, dass ihre Heimat nicht nur das viel besungene "Glückliche Land" ist, ein von der Sonne verwöhnter, ausgedehnter Kontinent, der jedem soviel Platz bietet, wie er gerade benötigt. Nein, sie haben auch die Redewendung "It's a rough country, mate! " gehört, mit der Alteingesessene ihre Unterhaltungen immer wieder würzen – "Ein verdammt hartes Land, mein Lieber!"

Tom Shirt sitzt im Büro der Feuerwehr – Leitstelle Sydney. Gemeinsam mit fünf Kollegen ist er zur Verstärkung der örtlichen Mannschaft hergekommen. Normalerweise lebt und arbeitet er in den Blue Mountains, einer etwa 120 Kilometer von Sydney entfernt gelegenen Region:

"Manche Leute scheinen zu erwarten, dass im Falle eines Buschfeuers sofort ein Feuerwehrwagen vor ihrer Tür steht. Leider ist es so, dass unsere Ressourcen ziemlich begrenzt sind. Wenn zum Beispiel irgendwo ein richtig großes Feuer durchgeht, sind die Kapazitäten schnell erschöpft. Bewohner, die aus der Stadt kommen und noch nicht so lange hier vor Ort leben, haben eine völlig falsche Auffassung von solchen Dingen. Sie verstehen auch nicht, wie dieses Geschehen sich auf die Bevölkerung, auf ihren Zusammenhalt, auf das Miteinander, auswirkt. Aber sobald es dann einmal passiert ist, wird ihnen doch einigermaßen klar, wie schwierig das Leben hier draußen zuweilen sein kann. "

Alte Felszeichnungen der Aborigines belegen, dass der Kontinent bereits vor vielen tausend Jahren von Bränden, Dürrezeiten und massiven Überflutungen gebeutelt wurde. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die zum Teil verheerenden Naturereignisse in Australien immer wieder als "größte Dürre aller Zeiten" und als "schlimmste Brände, die je da gewesen sind" bezeichnet. Der zeitliche Radius, innerhalb dessen die Bewohner Australiens ihren Schrecken über die Naturgewalten an bestimmten Parametern festmachen, ihn aufzeichnen und vergleichen, ist allerdings sehr beschränkt, sagt Carmel Thompson:

"Ich würde schon sagen, dass es inzwischen mehr solcher Kalamitäten gibt. Ob das Ganze aber wirklich schlimmer geworden ist, ob also die Brände heftiger und die Dürren ausgeprägter sind, das hängt von den Messinstrumenten ab, die zur Verfügung standen und stehen. Wenn Sie mal die großen Feuer in Victoria im Jahre 1939 zum Vergleich heranziehen. (...) Dies waren die ersten Feuersbrünste überhaupt, die eingehend wissenschaftlich untersucht worden sind. Aber es gab eine Menge Dinge, die man zu dieser Zeit noch nicht wusste. Dementsprechend wurde geschätzt und geraten. Heute verfügen wir über Computer, die Modelle entwerfen, wie die Feuer sich entwickeln. Ihre Ausbreitung lässt sich präziser voraussagen. Eine Aussage wie: 'Diese Feuer sind weit schlimmer als die von 1939' steht also auf wackligen Beinen. Wir können das nicht wirklich vergleichen. Und deshalb wissen wir es nicht."
Carmel Thompson ist Lehrerin, wohnt im Norden des Bundesstaates New South Wales und hat zwei größere Buschfeuer unbeschadet überstanden. In ihrem Ort gibt es seit ein paar Jahren ein Bürgerkomitee. Seine Betreiber organisieren Benefizkonzerte für die Opfer von Bränden und besonders schlimmen Dürren.

Außerdem haben sie einen Seelsorgedienst ins Leben gerufen: Damit kommen regelmäßig zwei Pastoren aus der nächsten größeren Stadt in den Ort. Einen landwirtschaftlichen Berater hat das Komitee dafür engagiert, einmal in der Woche mit den Farmern das Nötigste zu besprechen. Etwa ob es das Risiko wert sein könnte, die einheimischen Schafe zu verkaufen und auf Tiere aus Südafrika umzusteigen – eine Spezies, die aus einer trockenen Zone stammt und mit sehr viel weniger Wasser auskommt. In der Schule bespricht Carmel mit den Kindern, welchen Verlockungen Landbewohner ausgesetzt sind. Worin die Vor – und Nachteile bestehen können, wenn sie, wie so oft in den vergangenen Jahren, in die Städte abwandern oder in Regionen, in denen der Bergbau lukrative Gehälter verspricht. In ihrer Freizeit ist Carmel außerdem bei der freiwilligen Feuerwehr. Sie berät Neuankömmlinge dabei, wie sie sich im Falle eines herannahenden Feuers zu verhalten haben:

"Zunächst mal füllen Sie alle Eimer, die Sie im Hause haben und natürlich auch die Badewanne mit Wasser. Sie legen die richtige Kleidung bereit. Die Prämisse ist, so wenig Haut wie möglich den Flammen auszusetzen. Und: Auf keinen Fall synthetische Bekleidung, weil die hoch brennbar ist. Bei der Gelegenheit appellieren wir übrigens an das Prinzip der Nachbarschaftshilfe. Und da praktisch in jeder Straße ein freiwilliger Feuerwehrmann wohnt, animieren wir die Leute dazu, Kontakte zu knüpfen. All das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Anwohner aktiv geworden sind und ziemlich gut vorbereitet waren."

Die Verhaltensmaßregeln beim Herannahen eines Buschfeuers könnte Bob Sutor aus dem Stegreif herunterbeten. Er ist Aborigine, wohnt in einem Caravan im Buschland etwa zweihundert Kilometer von Carmel entfernt. Ebenfalls eine staubtrockene Gegend. Obwohl nahebei vor ein paar Wochen urplötzlich eine wahre Sintflut auf die Bewohner der Kleinstädte herabgeregnet ist. Hunderte von Häusern und Höfen waren von der Außenwelt abgeschnitten. Aus Bächen wurden in minutenschnelle Flüsse, auf denen am nächsten Tag obszön aufgeblasene Kuhkadaver und Schafskörper trieben.

Doch daran will Bob Sutor im Augenblick nicht denken. Ähnlich wie Carmel Thompson, verfolgt er die größte Party Australiens im Fernsehen. Gerade hält einer der Sponsoren der Australia-Day-Feier eine Rede zum Thema Versöhnung. Weiße und Aborigines seien doch eine große Familie, die sich dieses wunderschöne Land teile, sagt der Mann von der Commonwealth Bank. Und: Möge Gott Sie alle, möge er Australien schützen!

Sponsor, Australia Day: " May we experience first hand Aboriginal culture, the extended family, caring and sharing. May the focus of our Australia Day Celebration guide us to true reconciliation extended family, as we care and share beautiful land. May god bless you all, may god bless Australia!" Applaus

Erinnerungen, für die Bob Sutor inzwischen nur noch ein schmales Lächeln übrig hat. Solche Aussagen seien ebenso wenig wert wie die Versprechungen der Regierung in punkto Klimaschutz. Schließlich rede bei allen Entscheidungen die Kohleindustrie ein wichtiges Wörtchen mit. Die Weißen, sagt Bob Sutor, hätten nie auf das Land gehört und sie täten es immer noch nicht:

"Das hätten sie von Anbeginn tun sollen. Aber nicht mal die Verantwortlichen heute können derart wichtige Fragen gescheit beantworten. Es ist eindeutig so, dass man sich mit alldem gründlich befassen muss."

Wie sei es möglich, dass ausgerechnet Australien ein Viertel der weltweit vertriebenen Wolle herstelle? Wo doch für die Produktion von Wolle besonders viel Wasser benötigt werde! Und dann die exzessive Viehhaltung – die den Boden auslauge und dafür sorge, dass darauf danach keine Pflanzen mehr gedeihen könnten.

Doch einige Dinge, räumt Bob Sutor ein, ließen sich wohl auch beim besten Willen weder aufhalten noch dezimieren. Die Überflutungen zum Beispiel. Auch die Dürrezeiten nicht. Klimawandel hin oder her – von alledem hätten schon seine Ahnen und Urahnen mehr als reichlich gehabt. Was aber Häufigkeit und Ausmaß der Brände betreffe – da könnten die Weißen mit der nötigen Prophylaxe einiges erreichen.

Bob Sutor: "Unsere Leute haben während der kälteren Perioden immer schon das sogenannte 'Back Burning', das kontrollierte Abbrennen von Gräsern und Unterholz, betrieben. Wenn dann später ein Feuer herannahen sollte, findet es weniger Zündstoff. Und durch die lichten Stellen kann es nicht so ausgreifen, wie es das bei dichtem Bewuchs tun würde. Und selbstverständlich gehörte immer dazu, dass vor allem das unmittelbar ans Haus grenzende Land von Strauchwerk und anderen Gewächsen bereinigt wurde."

Bob Sutor schaut aus dem Seitenfenster seines Caravans. Es hat zu regnen begonnen. Zeit, die Gummistiefel aus der Koje zu holen. Wenn der Regen noch ein paar Stunden lang anhält, wird sich das Wasser, das in dem ausgetrockneten, harten Boden nicht versickern kann, in großen Lachen sammeln.

Die Erfahrungen der Aborigines, die beim Australia Day regelmäßig ausdrücklich in die "australische Familie" miteinbezogen würden, seien leider überhaupt nicht relevant, meint Bob Sutor. Obwohl die Ureinwohner seit mehr als vierzigtausend Jahren hier lebten, sich trotz der Unbilden der Natur als Jäger und Sammler behaupten konnten, weil sie einfache Dinge beherzigten: Sie förderten das Wachstum der Pflanzen, die ihr Jagdwild bevorzugte, indem sie das Gestrüpp verbrannten. Und sie ernährten sich vom Bush Tucker, der Nahrung des Buschlandes. Schon in Ordnung, sagt Bob Sutor, dass die Bewohner von Sydney keine gerösteten Honigameisen zum Frühstück haben wollten. Auch verständlich, dass nicht jeder in den Busch ziehen wolle, um dort ein Känguru zu speeren. Aber warum müsse auf diesem erztrockenen Kontinent die falsche Landwirtschaft betrieben werden? Warum griffen die Farmer nicht auf die vielen wildlebenden Ziegen zurück, die völlig genügsam seien? Und zum wiederholten Mal: Wieso bedienten sich die Weißen nicht regelmäßig des altbewährten "Backburning"?

Bob Sutor: "Das Unterholz abzuflämmen, damit die Bäume nicht so leicht Feuer fangen, gehört zu meinem Hauptanliegen. Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass im Frühjahr dann wieder saftiges Gras nachwächst. Das kontrollierte Abbrennen ist der sicherste Weg. Auf diese Weise haben meine Vorfahren hierzulande immer wieder kräftige, grüne Bäume und gesunde Wälder geschaffen."

Etwa vier Fahrtstunden von Bob Sutor entfernt, in Sydney, haben sich die meisten Teilnehmer der größten Party des Landes im Vergnügungsviertel Darling Harbour versammelt. Der Höhepunkt des Australia Day ist das am späten Abend zelebrierte Feuerwerk vor der Kulisse des Hafens und der umliegenden Wolkenkratzer.

Der Feuerwehrhauptmann Tom Shirt ist kein Freund von Massenveranstaltungen und Feuer in allen Nuancen hat er überreichlich in seinem Berufsalltag. Heute hat er nichts weiter getan, als sich für den potenziellen Einsatz bereitzuhalten. Nun macht er sich gemeinsam mit Eric Berry auf den fast zweieinhalbstündigen Heimweg in die Blue Mountains:

"In meinem bisherigen Leben habe ich die Erfahrung machen müssen, dass sich die Wetterverhältnisse hier bei uns definitiv verschlechtert haben. Das Wetter zeigt jetzt mehr Extreme. Wenn es stark regnet, dann wird das ganz schnell wirklich heftig. Und wenn die Sonne eigentlich ohnehin schon kräftig vom Himmel knallt, dann legt sie inzwischen immer noch einen drauf. Ich war lange Zeit ziemlich skeptisch, wenn der Begriff Klimawandel fiel, aber was das angeht, habe ich meine Meinung gründlich geändert."

Carmel Thompson hat den Fernseher abgeschaltet und sitzt bei einer Tasse Tee auf der Veranda. Ihr gegenüber grasen ein paar Kängurus. Viel Nahrung finden die Tiere auf der Wiese nicht mehr. Würde die Abendsonne das Grasland nicht in ein so sanftes Licht tauchen, sähe man, dass das Gras die eher leblose Farbe von Flachs angenommen hat:

"Man muss sich immer wieder klarmachen, dass man in einer Region lebt, die sehr anfällig für Buschfeuer ist. Aber das ist auch Teil dessen, was diese Gegend schön sein lässt. Nicht die Brände natürlich, sondern die Vegetation, die den Feuern Nahrung bietet. Es ist wichtig, eins zu sein mit dieser Umgebung und darüber Bescheid zu wissen, wie man in und mit ihr lebt."

Der Feuerwehrmann Eric Berry ist ebenso froh wie sein Chef Tom, der Großstadt Sydney nun wieder den Rücken kehren zu können. Auch wenn das bedeutet, dass er vielleicht schon gleich nach der Heimkehr zum nächsten Einsatz gerufen wird:

"Es schien sich eine ganze Weile lang darauf eingependelt zu haben, dass wir so etwa alle fünfzehn Jahre mit einem wirklich großen Feuer rechnen mussten. Die Abstände sind aber mittlerweile kürzer geworden. Und wenn das Feuer kommt, hat es jetzt fast jedes Mal eine enorme Kraft, der wir nur wenig entgegensetzen können. Und nicht zu vergessen: Es leben mehr Menschen in den betroffenen Gebieten. In einiger dieser Regionen wohnen inzwischen zehn Mal so viele Leute wie noch vor ein paar Jahren. (…) Andererseits ist es aber auch sehr wichtig, sich daran zu erinnern, dass Buschfeuer in Australien seit jeher ganz natürliche Vorkommnisse sind. Die Buschbrände sind seit sicher vierzigtausend Jahren bekannt und auch die ersten europäischen Siedler, die 1788 hierherkamen, haben bald damit Bekanntschaft machen müssen. Wir können und müssen mit den Feuern leben. Denn die Frage ist ja nicht, ob das nächste Buschfeuer kommen wird. Nein, sie lautet: Wann wird es kommen?"