Ein Schulungsabend des Ambulance-Service-Nord. Die Stimmung ist gut, das Thema ernst. Sterbende behutsam transportieren, das wollen einige neue ehrenamtliche Vereinsmitglieder an diesem Abend lernen. Das Fahrzeug, das den Namen "Lizzy" trägt, ist der Dreh- und Angelpunkt für die letzten Wünsche der Sterbenden.
"Lizzy" soll nicht wirken wie eine rollende Intensivstation
Frank Wenzlow zeigt mir das "Vermächtnis", wie er es nennt, seiner verstorbenen Frau Lizzy.
"Das Erste, was dir wahrscheinlich auffällt, sind diese großen Scheiben. Das sind die Panoramafenster, damit ein Fahrgast, wenn er zum Beispiel auf der Trage drauf ist, entsprechend rausgucken, aber nicht jeder reingucken kann."
"Habt ihr auch 'ne Heizung drin?"
"Selbstverständlich. Wir haben nicht nur eine Heizung, wir haben einen zweiten Heizkreislauf, weil die sind natürlich wesentlich wärmeempfindlicher als wir, die werden dann auch über diese Leiste hier gesteuert. Die Musik kannst du hier steuern, die Lautsprecher, damit die berieselt werden… Wir haben alles, was medizinisches Equipment ist, weitestgehend versteckt eingebaut, damit man eben nicht den Eindruck hat, auf einer rollenden Intensivstation zu liegen."
'Wohin soll es denn gehen?', fragt Helge. Obwohl er das natürlich weiß. 'An die Schlachte', ruft Ines, und ihre Stimme überschlägt sich. Die Schlachte ist eine Bremer Restaurantmeile direkt an der Weser. 'Einen saufen'. 'Saufen!', ruft ihr Sohn Dominik von hinten und reckt kurz die Faust hoch. Er filmt Ines und den Innenraum ausgiebig. 'Caipi, Tapas, Zigaretten, so wie früher!' Ines hüpft, soweit das jedenfalls geht.*
Zum letzten Mal mit Freundinnen einen draufmachen. Das war der letzte Wunsch von Ines. Helge, ein Vereinsmitglied des Ambulance-Service-Nord, ist in diesem Fall der Fahrer dieser Tour. Außerdem sind auch immer Palliativpflegekräfte mit dabei. Und bei einigen Sternfahrten eben auch Journalist und Autor Alexander Krützfeldt.
Ehrenamtlich arbeitende Palliativpflegekräfte sind bei den Fahrten mit dem Ambulance-Service-Nord immer dabei.© Natalie Putsche
Als ich allein mit Frank Wenzlow in seinem Wohnzimmer sitze, wo er seine verstorbene Frau Lizzy gepflegt hat, versuche ich mir, noch bevor ich den umgebauten Rettungswagen gesehen habe, vorzustellen, wie man einen Sterbenden ans Meer transportiert. Meine Idee davon scheint unrealistisch. Wenzlow selbst wollte seiner Frau diesen Wunsch erfüllen. Vom gemeinsamen Zuhause aus, in der Nähe von Bremen, bis ans Meer fahren.
"Es sind ja nicht anderthalb Stunden. Man muss ja auch wieder zurückkommen. Dazu kommt der Aufenthalt vor Ort. Du kannst nichts machen, wenn du diesen Fahrgast nicht bewegen kannst. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Menschen in diesem Stadium: Lizzy war auf 46 Kilogramm abgemagert, hing an der Morphinpumpe, hing an der künstlichen Ernährung, war gequält von Brechreiz, von Hautvergiftungserscheinungen. Definitiv mit einem normalen Fahrzeug überhaupt nicht zu bewegen. Und da hab ich für mich entschieden: Das ist der Weg, den ich zukünftig gehen will."
Seit dem Tod von Lizzy konzentriert sich der Ambulance-Service-Nord, der vorher vor allem Erste-Hilfe-Kurse angeboten hat, nur noch auf die letzten Wünsche.
Einmal brachten sie einen Patienten zusammen mit einer Hamburger Initiative ins Stadion zum Rolling-Stones-Konzert. Der Fahrgast wollte mit Mick Jagger auftreten, hatte ein Kollege gesagt, und Frank nur gedacht: Das wird nie klappen. Aber sie riefen trotzdem das Management an. Das saß in New York und die sagten sofort zu. Und da stand er dann, der Mann, neben Jagger auf einer riesigen Bühne im Volksparkstadion.*
Alle arbeiten ehrenamtlich
"Unser Team ist zur Zeit 16 Leute umfassend, alles Ehrenamtliche. Vom Mediziner bis zum Postboten ist alles dabei", sagt Wenzlow. Die Arbeit des Vereins ist spendenfinanziert. Organisatorisch und logistisch nicht immer einfach. Sie nimmt einen Großteil von Wenzlows Zeit in Anspruch. Doch die Fahrten, auch wenn er nicht mehr so oft selbst mitfährt, sind sein Lebensinhalt geworden. Und er zum Problemlöser. Denn er will noch konkreter auf die Wünsche der Sterbenden eingehen können.
"Im Moment haben wir zwei Transportfahrzeuge. Und wir haben ein Zugfahrzeug für einen Anhänger", sagt er. "Weil, wir haben in diesem Jahr ein Wattmobil und ein Untergestell dazubekommen, ein geländegängiges für die Trage, damit man ins Watt raus kann, an den Strand, in die Wälder, für den Friedwald und ähnliche Geschichten."
Eine andere Fahrt, letztes Jahr. Eine Frau wollte nochmal zu ihrer Tochter. Das Problem: Sie hatten Streit. Und die Frau hatte ihrer Tochter noch gar nichts von dem Besuch erzählt. Da meinte Frank: So ginge das nicht. 'Wir kreuzen doch da nicht mit dem Rettungswagen auf, ihre Tochter weiß von nichts und wird an der Tür vor vollendete Tatsachen gestellt.' Manche Wünsche sind eben undurchführbar.*
"Du musst durchhalten, das ist dein Tag am Samstag"
Und auch wenn es seltsam klingt, selbst bei den
Sternenfahrten gibt es so was wie Stoßzeiten. In den Wintermonaten finden weniger Fahrten statt als im Frühling und Sommer. Die Bereitschaft. sich bei gutem Wetter nochmal unter großer Anstrengung nach draußen zu wagen, ist eben größer. Sylvia Neumanns Mutter war die allererste, die an einer Sternfahrt teilnehmen konnte.
"Ich hab zu ihr gesagt: Du musst durchhalten, das ist dein Tag am Samstag. Du kommst nach Hause, wir warten dort auf dich."
Sylvias Mutter habe sich nicht nur nochmal in ihre vertraute Umgebung, sondern auch nochmal ihr Lieblingsgericht gewünscht.
"Ich hab gesagt: Egal, was du haben möchtest, und wenn du Sauerkraut mit Erdbeeren haben möchtest, dann kriegst du Sauerkraut mit Erdbeeren. Das ist vielleicht das Liebevollste, was man am Ende eines Lebens noch jemandem zu Gute machen kann. Wenn da noch ein Wunsch besteht, Ich hab das schon lange nicht mehr gesehen, oder ich möchte nochmal einen Rollmops essen, was auch immer. Ich denke, Sterbende sollten ermutigt werden, ihre Wünsche offen dazulegen."
Manchmal ist die Arbeit "sehr krass"
Über eine Kleinigkeit muss Sylvia immer noch schmunzeln. Die Mutter habe am Tag der Sternfahrt von ihr nochmal etwas Geld gebraucht. Um den Fährmann zu bezahlen, habe sie gemeint. Mit dem Fährmann ist symbolisch der Tod gemeint, der die Sterbenden abholt, um sie sinnbildlich auf die andere Seite zu bringen. Sylvia habe Frank Wenzlow das Geld in die Hand gegeben, für den Verein. Ein stimmiges Bild: Ein bisschen Fährmann, zumindest eine Art Reiseleiter, ist Frank Wenzlow ja schon.
"Ich kann nur eine Kleinigkeit dazu beitragen, dass die Menschen, die gehen müssen, in Frieden gehen können, dass die Angehörigen immer sagen können: nicht 'hätten wir mal', sondern 'wir haben gemacht'. Und das gibt mir die Befriedigung, damit ich für mich in meinem Leben glücklich sein kann, auch wenn die Arbeit manchmal sehr krass ist."
*Mit gelesenen Passagen von Autor Alexander Krützfeldt aus seinem Buch über die Sternfahrten und die Arbeit von Frank Wenzlow: "Letzte Wünsche", erschienen im Rowohlt Verlag 2018, 240 Seiten, 16,99 Euro.