Ein Vertreter vertritt sich die Beine

Im Debüt-Roman von Kathrin Gerlof ist Teuermann einer der beiden Erzähler, der sich als Vertreter vorstellt. Die Ich-Erzählerin Markov ist eine einsame Frau Mitte dreißig. Sie schreibt in der Altmark eine Doktorarbeit über die Semantik von Führungsgrundsätzen und lässt sich auf Teuermann wegen eines Wortspiels ein.
Ein Männlein liegt im Walde, ganz still und stumm. Es hat sich verirrt und ist ängstlich verwirrt. Markov, die sich beim Pilzesuchen verlaufen hat, erblickt es auf einer Lichtung und beschaut sich den teuer gekleideten Fremden aus der Ferne. Trotz seiner Hilflosigkeit findet sie ihn zum Fürchten: Er macht einen nicht "zurechnungsfähigen Eindruck". Dann springt der Mann auf, weil vor ihm ein Reh über die Lichtung läuft, taumelt in Markovs Richtung und erblickt sie. Markov hebt abwehrend die Hände und glaubt, ihr Schicksal sei besiegelt.

Mit einer zwischen Drohung und Versprechen changierenden Szene beginnt Kathrin Gerlofs "Teuermanns Schweigen". Teuermann heißt der Fremde, der sich als Vertreter vorstellt, und schweigen wird er erst viel später. Denn der übrigens hoch gewachsene Mann mit dem schönen Gesicht ist ein Erzähler von seltenen Gnaden, die Ich-Erzählerin Markov aber eine einsame Frau Mitte dreißig, die in der Altmark eine Doktorarbeit über die Semantik von Führungsgrundsätzen schreibt, ihr Thema als Blendwerk durchschaut und sich auf Teuermann einlässt wegen eines Wortspiels, mit dem er sich vorstellt: "Ein Vertreter vertritt sich die Beine", sagt er, und er habe sich dabei verlaufen.

Für die Erzählung "Teuermanns Schweigen", die der Verlag als Roman ausgibt, nimmt von der ersten Zeile an ihr Tonfall ein. Hinter der Wortkargheit und Lakonie der aus Hamburg stammenden Erzählerin ist die Lebensangst zu spüren – und Lebensangst ist es auch, die Teuermann in ungewöhnlichen Geschichten Zuflucht nehmen lässt. Zwei Gefährdete finden zueinander. Teuermann sucht einen Unterschlupf, um sich vor früheren Geschäftspartnern zu verstecken, und Markov nimmt ihn auf im Tausch gegen Worte.

Teuermanns Geschichten handeln von Tieren und Menschen, von Liebe und Tod: von einer Ziege, einer guten Zuhörerin, die ihrem untröstlichen Besitzer eines Tages abhanden kam; von einem Frosch, der nach einem Hornissenstich tot schien und zwölf Stunden später wieder herumhüpfte; von einem Fuchs, der Hundebisse überlebte; von sich selbst, der sich verstecken müsse, weil er von Betrügereien im Handel mit Restitutionsansprüchen in den neuen Bundesländern wisse; von seiner Zeit als Geschäftsführer mit einer wunderschönen Frau und einer Sekretärin als Geliebte, die beide innerhalb weniger Stunden ums Leben kamen.

Fiktion oder Wahrheit?, fragt Markov anfangs, gibt den Widerstand aber bald auf. Teuermann redet sie "willig", ohne dass sich die Distanz zwischen beiden verringert, und dann beginnt sie selbst zu erzählen, so, wie sich Liebende alles erzählen. Als der Aufenthalt auf dem Land zu Ende geht, Teuermann verschwindet und Markov in der Stadt eine Arbeit annimmt, verliert das Debüt von Kathrin Gerlof, die 1962 im anhaltinischen Köthen geboren wurde und bisher als Journalistin gearbeitet hat, ein wenig von seiner randständigen Skurrilität. Die Arbeit ist sinnentleert, die Menschen langweilen sich zu Tode. Die Stadt steht für vereinsamende Entfremdung, das Land für erzählendes Miteinander. So sehr sich Leser und Kritiker an Lobreden aufs Erzählen erfreuen – das ist dann doch zu platt.

Die Stadt bleibt Episode, weil Markov alsbald erfolgreich nach Teuermann sucht und er sie aus dem Büro erlöst. Danach geht Kathrin Gerlof erneut bemerkenswert spielerisch und unsentimental mit Tragik und Tod um. Abgesehen von kleinen Schwächen ist "Teuermanns Schweigen" ein beeindruckendes Debüt.

Rezensiert von Jörg Plath

Kathrin Gerlof: Teuermanns Schweigen,
Aufbau-Verlag, Berlin 2008,
182 Seiten, 17,95 Euro