Ein Vorkämpfer für die europäische Idee
Die Idee Europas musste einen langen Weg gehen bis sie zu unserem Jahrhundertprojekt werden konnte. Ein ganz früher Vorreiter der Europäischen Idee war Friedrich Schiller. Sein Wallenstein ist vielleicht das europäischste aller Dramen und nimmt alle europäischen Machttragödien schon vorweg. Und doch, wir tun uns schwer mit Schiller.
Praktisch jeder, der die deutsche Sprache spricht, hat ihn schon tausendfach zitiert. Seine Stücke und Opern, die nach seinen Theaterstücken komponiert wurden, sind legendär. Wer aber inszeniert ihn noch - den ganzen Wallenstein? Und wer liest heute noch Schiller? In der Schule muss man nicht, nachher hat man kaum Anstöße oder auch nur die Zeit, sich in diese merkwürdig pathetische Welt hineinzuversetzen. Später würde man ihn dann gern verstehen, kann aber kaum, weil der Schlüssel der frühen Jahre fehlt. So verflüchtigt sich der große Dichter, der im 19. Jahrhundert noch als einer unserer größten im Olymp gefeiert wurde. Ist es denn noch angebracht, ihn heute zu feiern, wie geplant, in aufwendigen Veranstaltungsreihen, großzügig gefördert von Kulturstiftungen und einer stattliche Summe aus dem Haushalt der Bundeskulturstaatsministerin?
Warum ist Schiller, der studierte Regimentsarzt, uns kaum noch Vorbild und Vordenker - wahrscheinlich nicht einmal für die Literatur von heute. Unsere Kultur hat sich sehr weit entfernt von echter Begeisterung und Leidenschaft, für die der junge Schiller steht, und auch vom Formgespür des älteren klassischen Schiller. Überhaupt pflegen wir die Klassiker kaum. Wenn der große Dichter auch nicht als Vorbild geehrt wird, als Sprachverführer ist er unübertroffen. Nehmen wir nur den enormen Zitatenschatz, den er uns hinterlassen hat, "Dem Manne kann geholfen werden" (letzter Satz der Räuber), "Durch diese hohle Gasse muss er kommen" (Wilhelm Tell), "Donner und Doria" (Fiesco), oder "Ich hab' hier bloß ein Amt und keine Meinung" (aus Wallensteins Tod). Alles wunderbare Sätze, die ihren Charme bis heute behalten haben. Unsere dichte und flächendeckende Theaterlandschaft mit seinen Ensembles, das Politische am Theater, seine Relevanz für die Städte Europas, auch das hat Friedrich Schiller entscheidend geprägt.
Es sieht so aus, als würden wir das Schillerjahr 2005 doch zum Anlass nehmen, den Dichter wieder aus dem Dämmerschlaf im Bücherschrank zu befreien und es noch einmal mit ihm zu versuchen. Denn mag auch der Tenor, die Emphase der schillerschen Sprache ungewohnt sein, für unsere auf neue Medien und Top-News geprägten Ohren und Hirne, und unsere zum Zynismus neigende Sprache, so ist er doch in seinen Stücken bis heute merkwürdig dicht und gegenwartsnah. Das Schillersche Werk erzählt von Begeisterung, vom Kampf für die Freiheit und gegen den Despotismus, für die europäische Idee, für so etwas Seltenes und Seltsames wie die Liebe. Das gleiche gilt auch für seine theoretischen Abhandlungen. Seine Gedanken über das Theater, seine Briefe über die Aufgabe der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts, seine historischen Untersuchungen, sie alle sind Texte, auf denen genau genommen unsere heutige Sicht der europäischen Dinge fußt.
Unsere "Klassiker" sind so weit aus der Zeit entrückt wie ungehobene Schätze im Ozean. Schon die Erinnerung an Alexander von Humboldt, den großen Geist des 18. Jahrhunderts hat uns vor Augen geführt, wie weltbürgerlich gewandt und interessant die deutschen Klassiker und ihre Zeit, jenes wunderbare 18. Jahrhundert waren. Wenn auch nicht so weit gereist wie Humboldt, so war Schiller doch auch ein internationaler Geist. Immer auf der Spur der neuen Dinge. Seine Stücke spielen in England, Spanien, der Schweiz und in Frankreich. Wir, die Europäer von heute, haben die Aufgabe, uns neu unseren Nachbarn zuzuwenden, uns wirklich für sie zu interessieren, offen zu sein, die Integration voranzutreiben und dabei die Freiheit und Leidenschaft nicht aus dem Blick zu lassen. Ein bisschen Sturm und Drang und vor allen Dingen Gedankenfreiheit könnte da schon nützlich sein!
Antje Vollmer, geboren 1943, studierte Evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg, Tübingen und in Paris. Von 1983-1990 war sie Mitglied der Fraktion Die Grünen im Deutschen Bundestag, 1993/94 Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin.
Seit 1994 ist sie wieder Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
Antje Vollmer wurde u. a. mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille und dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet und erhielt den Masaryk-Orden der Tschechischen Republik für Verdienste um die deutsch-tschechische Aussöhnung (verliehen durch Staatspräsident Vaclav Havel)
Veröffentlichungen u. a.: "Kein Wunderland für Alice - Frauenutopien" , "Die schöne Macht der Vernunft: Auskünfte über eine Generation" , "Heißer Frieden. Über Gewalt, Macht und das Geheimnis der Zivilisation".
Warum ist Schiller, der studierte Regimentsarzt, uns kaum noch Vorbild und Vordenker - wahrscheinlich nicht einmal für die Literatur von heute. Unsere Kultur hat sich sehr weit entfernt von echter Begeisterung und Leidenschaft, für die der junge Schiller steht, und auch vom Formgespür des älteren klassischen Schiller. Überhaupt pflegen wir die Klassiker kaum. Wenn der große Dichter auch nicht als Vorbild geehrt wird, als Sprachverführer ist er unübertroffen. Nehmen wir nur den enormen Zitatenschatz, den er uns hinterlassen hat, "Dem Manne kann geholfen werden" (letzter Satz der Räuber), "Durch diese hohle Gasse muss er kommen" (Wilhelm Tell), "Donner und Doria" (Fiesco), oder "Ich hab' hier bloß ein Amt und keine Meinung" (aus Wallensteins Tod). Alles wunderbare Sätze, die ihren Charme bis heute behalten haben. Unsere dichte und flächendeckende Theaterlandschaft mit seinen Ensembles, das Politische am Theater, seine Relevanz für die Städte Europas, auch das hat Friedrich Schiller entscheidend geprägt.
Es sieht so aus, als würden wir das Schillerjahr 2005 doch zum Anlass nehmen, den Dichter wieder aus dem Dämmerschlaf im Bücherschrank zu befreien und es noch einmal mit ihm zu versuchen. Denn mag auch der Tenor, die Emphase der schillerschen Sprache ungewohnt sein, für unsere auf neue Medien und Top-News geprägten Ohren und Hirne, und unsere zum Zynismus neigende Sprache, so ist er doch in seinen Stücken bis heute merkwürdig dicht und gegenwartsnah. Das Schillersche Werk erzählt von Begeisterung, vom Kampf für die Freiheit und gegen den Despotismus, für die europäische Idee, für so etwas Seltenes und Seltsames wie die Liebe. Das gleiche gilt auch für seine theoretischen Abhandlungen. Seine Gedanken über das Theater, seine Briefe über die Aufgabe der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts, seine historischen Untersuchungen, sie alle sind Texte, auf denen genau genommen unsere heutige Sicht der europäischen Dinge fußt.
Unsere "Klassiker" sind so weit aus der Zeit entrückt wie ungehobene Schätze im Ozean. Schon die Erinnerung an Alexander von Humboldt, den großen Geist des 18. Jahrhunderts hat uns vor Augen geführt, wie weltbürgerlich gewandt und interessant die deutschen Klassiker und ihre Zeit, jenes wunderbare 18. Jahrhundert waren. Wenn auch nicht so weit gereist wie Humboldt, so war Schiller doch auch ein internationaler Geist. Immer auf der Spur der neuen Dinge. Seine Stücke spielen in England, Spanien, der Schweiz und in Frankreich. Wir, die Europäer von heute, haben die Aufgabe, uns neu unseren Nachbarn zuzuwenden, uns wirklich für sie zu interessieren, offen zu sein, die Integration voranzutreiben und dabei die Freiheit und Leidenschaft nicht aus dem Blick zu lassen. Ein bisschen Sturm und Drang und vor allen Dingen Gedankenfreiheit könnte da schon nützlich sein!
Antje Vollmer, geboren 1943, studierte Evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg, Tübingen und in Paris. Von 1983-1990 war sie Mitglied der Fraktion Die Grünen im Deutschen Bundestag, 1993/94 Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin.
Seit 1994 ist sie wieder Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
Antje Vollmer wurde u. a. mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille und dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet und erhielt den Masaryk-Orden der Tschechischen Republik für Verdienste um die deutsch-tschechische Aussöhnung (verliehen durch Staatspräsident Vaclav Havel)
Veröffentlichungen u. a.: "Kein Wunderland für Alice - Frauenutopien" , "Die schöne Macht der Vernunft: Auskünfte über eine Generation" , "Heißer Frieden. Über Gewalt, Macht und das Geheimnis der Zivilisation".