Ein wahrer Filmfreak

Von Vanja Budde · 13.02.2012
Bei der Berlinale versammeln sich nicht nur die Stars, sondern es gibt auch etwas für den Film-Nachwuchs - nämlich den Preis für den besten Erstlingsfilm. Mit dabei in der Jury ist die Libanesin Hania Mroué.
"Mein Bruder und ich haben mit Ballett und Klavierunterricht angefangen, als wir noch sehr klein waren. Wir haben viele Konzerte und Tanzaufführungen besucht. Obwohl damals Bürgerkrieg im Libanon herrschte. Es war nicht leicht, die meisten Menschen hatten nur das Überleben im Sinn. Ich fühle mich daher sehr privilegiert, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die in Zeiten des Krieges die Kunst schätzt."

"Kunst", das ist das große Stichwort für die heute 37-jährige Hania Mroué. Sie ist klein, mädchenhaft hübsch und ein Energiebündel. Während sie offen und unbefangen erzählt, gestikuliert sie so heftig, dass ihre großen goldenen Ohrringe ins Schaukeln geraten. Kunst sei alles für sie, ein Werkzeug zur Selbsterkenntnis, das dem Leben Reichtum und Tiefe verleiht, sagt sie.

Der Sprössling einer Mittelstandsfamilie studiert zwar nach der Schule kurz Wirtschaft, weil sie keine Ahnung hat, was sie tun will im Leben. Aber schon nach drei Monaten ist klar: Das ist nichts für sie. Stattdessen wird sie mit 18 Jahren Mitglied einer Tanz-Companie und tourt um die Welt.

Weil sie auch andere Kunstformen interessieren, studiert Hania Mroué gleichzeitig Filmproduktion in Beirut. Und wird so Mitglied einer Clique aus Filmemachern, Drehbuchschreibern, Schauspielern und Produzenten, die sich gemeinsam gegen die Zensur stemmt. Mit dem Abschluss in der Tasche gründet sie mit den Freunden die "Cinema Days of Beirut": die Beiruter Filmtage.

"Damals fing ich an, arabische Arthouse-Filme zu gucken und beschloss, dem unabhängigen arabischen Kino mein Leben zu widmen – das hatte ich überhaupt nicht geplant, aber wenn das, was du auf der Leinwand und im Fernsehen zu sehen bekommst, so gar nichts mit dir zu tun hat und deinem Leben, der Politik und Kultur in deinem Land, das ist so frustrierend."
Damals beherrscht die ägyptische Filmindustrie unangefochten nicht nur den Markt im Libanon, sondern in der ganzen Region. Das heißt für Hania und ihre Freunde: Ägyptische Klassiker, also Musicals gucken oder Actionstreifen. Das muss anders werden, beschließt die quirlige junge Frau - und setzt sich an die Spitze einer Kollektivgründung:

"Die Idee war, eine neue Bewegung des unabhängigen libanesischen und arabischen Kinos zu starten. Das war eine spontane Idee, wir hatten keinerlei Erfahrung und keine Kontakte. Also haben wir als Erstes die Beiruter Filmtage aus der Taufe gehoben, das war damals das erste Filmfestival der Region."

Dort laufen sie: Arabische Arthousefilme, die das Leben zeigen, wie es wirklich ist. Die vom Alltag in Beirut und Damaskus erzählten, von den Träumen, Hoffnungen und Ängsten der vielen unter 30-Jährigen in der Region. Und die in Zukunft sicher die großen politischen Umwälzungen zum Thema machen werden.

"Ich weiß nicht, in welche Richtung sich die arabische Welt verändert. Der Wandel geschieht nicht über Nacht, sondern ist ein langer Prozess. Klar ist aber: Was der Arabische Frühling bewirkt, ist ein neues Bedürfnis, zu dokumentieren, was vor sich geht. Aus der Sicht der Betroffenen, nicht der Medien. Es waren vor allem junge Leute, die die Revolutionen gestartet haben. Und sie wollen ihre Geschichte aus ihrem persönlichen Blickwinkel erzählen."

Um den Filmen, die sie so liebt, auch ein dauerhaftes Forum zu geben, hat Hania Mroué 2006 das Metropolis Art Cinema gegründet, das erste Arthousekino im Libanon. Ein mühsames Unterfangen, denn sie hatte weder einen Businessplan noch Investoren. Ihre Familie half aus.

"Vielleicht muss man ein bisschen verrückt sein, um in dieser Region etwas zu erreichen. Und das ist eine Stärke der Libanesen und Araber allgemein: Die Fähigkeit, mit extremen und manchmal wirklich ganz absurden Bedingungen fertig zu werden. Und auf sehr instabilem Grund zu überleben."

Kurz drauf hebt die Pionierin einen Verleih aus der Taufe, der arabische und internationale Autorenfilme herausbringt. Damit nicht genug nimmt sie einen Job im Emirat Katar an: Für das Doha Film- Institut organisiert sie als arabische Programmchefin das dortige Filmfestival. Allein vom Zuhören wird einem ganz schwindelig. Wie schafft sie das bloß? Hania Mroué lacht.

"Es ist leicht, denn nichts davon ist für mich nur ein Job. Ich wurde geboren dafür und will nichts anderes machen. Es macht mich einfach nur glücklich, junge Filmemacher zu unterstützen und mit dem Kino ‚Metropolis’ zum kulturellen Leben in Beirut beizutragen."

Derzeit plant Hania Mroué eine Cinemathek in Beirut, in der die Klassiker des arabischen Filmschaffens laufen sollen, die es nicht auf DVD gibt. Geheiratet hat sie zur Erleichterung ihrer Familie endlich und Kinder will sie nun auch. Diese Aufgabenfülle bewältigt sie sicher mit großem Organisationstalent und eiserner Disziplin? Hania Mroué verneint lachend: Ihr Leben sei das totale Chaos. Aber es mache Spaß.


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