Ein Wunder an Präzision und Klangfantasie
Komponist Helmut Lachenmanns Oper zum Märchen wird selten inszeniert. Hier in der Industriehalle der Ruhrtriennale erklingt die Partitur erstmals so, wie der Komponist es sich vorgestellt hatte. Die Bilder, die Regisseur Robert Wilson erschafft, sind leider mit fortschreitendem Abend etwas zu viel.
Ein Anatomisches Theater hat Robert Wilson in die Bochumer Jahrhunderthalle gebaut: einen quadratischen, geschlossenen Raum mit steil ansteigenden Rängen für die Zuschauer. Da, wo in den Universitäten der Frühen Neuzeit der Seziertisch stand, wird der Fall des "Mädchens mit den Schwefelhölzern" untersucht. Seine Todesursache ist rasch ermittelt: Eiseskälte.
Der Dichter Hans Christian Andersen erzählte ein gefühlvolles Märchen, das doch deutlich genug die Kritik an der unbarmherzigen Gesellschaft durchblicken ließ: Unbehaust, hungrig, frierend und einsam lässt er sein Straßenkind zu Tode kommen, einzig das flüchtige Feuerwerk der Streichhölzchen, die es eigentlich verkaufen soll und in seiner Verzweiflung abbrennt, schenkt ihm eine trügerische Illusion von Glück und Geborgenheit.
Das "Mädchen mit den Schwefelhölzern" durchleidet sein Schicksal seit 1997 auch im Musiktheater. Der Komponist Helmut Lachenmann (*1935) nahm das Märchen zur Vorlage seiner ersten und bislang einzigen Oper und verband es mit Texten u.a. von Gudrun Ensslin. Was deutlich genug dafür spricht, dass er auch eine gesellschaftskritische Parabel darin sieht. Sein Werk - als genialer Wurf gefeiert und doch wegen der außerordentlichen hohen Anforderungen selten realisiert - gilt seitdem als letztes großes Musiktheaterwerk des 20. Jahrhunderts – und als eins der extremsten.
Denn Lachenmann verweigert alles, was man unter "Oper" versteht: keine Handlung, keine Rollen, kein verständlicher Text. Und Orchester, Chor und Solisten bringen Klänge hervor, die man auch noch nie im Opernhaus gehört hat: Stimmen, die hauchen, bibbern, ploppen – Instrumente, die Strich- oder Atemgeräusche hörbar werden lassen. Die Musiker bauen Klangschichten auf, die Lachenmann "meteorologische Situationen" nennt. Die Partitur will das Klima erzeugen, von dem Andersens Text erzählt; im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Dazu kommt als zweite Ebene eine Performance, die das visuelle Element des Theaters erschafft. "Musik mit Bildern" hat Lachenmann sein Werk genannt. In der Aufführung der Ruhrtriennale agieren auf der Spielfläche des "Anatomischen Theaters" die Schauspielerin Angela Winkler, weiß geschminkt im weißen Kleid, und der Regisseur Robert Wilson. Sie zeigen - oft mit den für Wilson typischen extrem verlangsamten Gesten - ein Körpertheater, das keine konkrete Handlung, eher einen Ausdruck seelischer Befindlichkeiten widerspiegelt.
Wilson beginnt sehr stark mit eiskalten, blauen, von wabernden Nebeln durchzogenen Bildern. Immer wieder gelingen ihm mit ausgefeilter Lichtregie zwingend suggestive Momente, die Kälte und Verlorenheit erlebbar machen, ohne die Erzählung Andersens vordergründig zu illustrieren. Angela Winkler, die förmlich durchsichtig zu werden scheint, kann die Bilder, die ihr durch den Kopf gehen, unmittelbar auf den Zuschauer übertragen. Eine beeindruckende, hoch konzentrierte und in ihren äußeren Mitteln ganz unaufwendige darstellerische Leistung.
Im Laufe des Abends aber scheint sich die ästhetische Perfektion Wilsons zu verselbständigen zu glatten Hochglanzbildern, die mehr Kunsthandwerk als Kunst sind, an den Tiefpunkten gar Kitsch. Eine hoch über der Bühne schwebende japanische Sho-Spielerin gehört dazu, deren rote Robe von einem roten Scheinwerfer erleuchtet bis auf den Boden fällt. Oder das kleine Mädchen, das gegen Ende versonnen schaukelnd das traurige Schicksal der Märchenheldin ins Positive wendet. Ziemlich eitel dazu noch der Part, den Wilson sich selbst kreiert hat: als leicht abgetakelter Zauberer im glitzernden Smoking scheint er hypnotische Macht über seine Partnerin Angela Winkler und magische Gewalt über Lichtregie, Bühnenversenkungen und Verwandlungen zu gewinnen – mit einer einzigen, arg strapazierten eckig-expressionistischen Geste.
Wenn die Bilder also im Lauf des Abends doch der ständig drohenden Gefahr des "Zuviel" erliegen, so findet die Musik Lachenmanns in der Aufführung der Ruhrtriennale eine zwingende Realisierung. Zum ersten Mal überhaupt erklingt die Partitur so, wie der Komponist es sich vorgestellt hatte: in einem Klangraum, der Publikum und Ausführende vollkommen umschließt. Die Dimension der Industriehalle und Wilsons Raumkonzept der trichterförmigen Architektur machen das möglich. Den Musikern ist die oberste Galerie des "Anatomischen Theaters" vorbehalten. Dort sitzen die Mitglieder des hr-sinfonierorchesters und des ChorWerks Ruhr auf einer umlaufenden Galerie. Das Publikum in seinen Hörsaalreihen sitzt mitten im tönenden Universum von Helmut Lachenmann. Und was die Solistinnen, das Vokalensemble und die Instrumentalisten unter der Leitung von Emilio Pomarico leisten in dieser Aufführung des "Mädchens mit den Schwefelhölzern", das ist wahrhaftig ein Wunder an Präzision und Klangfantasie.
Der Dichter Hans Christian Andersen erzählte ein gefühlvolles Märchen, das doch deutlich genug die Kritik an der unbarmherzigen Gesellschaft durchblicken ließ: Unbehaust, hungrig, frierend und einsam lässt er sein Straßenkind zu Tode kommen, einzig das flüchtige Feuerwerk der Streichhölzchen, die es eigentlich verkaufen soll und in seiner Verzweiflung abbrennt, schenkt ihm eine trügerische Illusion von Glück und Geborgenheit.
Das "Mädchen mit den Schwefelhölzern" durchleidet sein Schicksal seit 1997 auch im Musiktheater. Der Komponist Helmut Lachenmann (*1935) nahm das Märchen zur Vorlage seiner ersten und bislang einzigen Oper und verband es mit Texten u.a. von Gudrun Ensslin. Was deutlich genug dafür spricht, dass er auch eine gesellschaftskritische Parabel darin sieht. Sein Werk - als genialer Wurf gefeiert und doch wegen der außerordentlichen hohen Anforderungen selten realisiert - gilt seitdem als letztes großes Musiktheaterwerk des 20. Jahrhunderts – und als eins der extremsten.
Denn Lachenmann verweigert alles, was man unter "Oper" versteht: keine Handlung, keine Rollen, kein verständlicher Text. Und Orchester, Chor und Solisten bringen Klänge hervor, die man auch noch nie im Opernhaus gehört hat: Stimmen, die hauchen, bibbern, ploppen – Instrumente, die Strich- oder Atemgeräusche hörbar werden lassen. Die Musiker bauen Klangschichten auf, die Lachenmann "meteorologische Situationen" nennt. Die Partitur will das Klima erzeugen, von dem Andersens Text erzählt; im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Dazu kommt als zweite Ebene eine Performance, die das visuelle Element des Theaters erschafft. "Musik mit Bildern" hat Lachenmann sein Werk genannt. In der Aufführung der Ruhrtriennale agieren auf der Spielfläche des "Anatomischen Theaters" die Schauspielerin Angela Winkler, weiß geschminkt im weißen Kleid, und der Regisseur Robert Wilson. Sie zeigen - oft mit den für Wilson typischen extrem verlangsamten Gesten - ein Körpertheater, das keine konkrete Handlung, eher einen Ausdruck seelischer Befindlichkeiten widerspiegelt.
Wilson beginnt sehr stark mit eiskalten, blauen, von wabernden Nebeln durchzogenen Bildern. Immer wieder gelingen ihm mit ausgefeilter Lichtregie zwingend suggestive Momente, die Kälte und Verlorenheit erlebbar machen, ohne die Erzählung Andersens vordergründig zu illustrieren. Angela Winkler, die förmlich durchsichtig zu werden scheint, kann die Bilder, die ihr durch den Kopf gehen, unmittelbar auf den Zuschauer übertragen. Eine beeindruckende, hoch konzentrierte und in ihren äußeren Mitteln ganz unaufwendige darstellerische Leistung.
Im Laufe des Abends aber scheint sich die ästhetische Perfektion Wilsons zu verselbständigen zu glatten Hochglanzbildern, die mehr Kunsthandwerk als Kunst sind, an den Tiefpunkten gar Kitsch. Eine hoch über der Bühne schwebende japanische Sho-Spielerin gehört dazu, deren rote Robe von einem roten Scheinwerfer erleuchtet bis auf den Boden fällt. Oder das kleine Mädchen, das gegen Ende versonnen schaukelnd das traurige Schicksal der Märchenheldin ins Positive wendet. Ziemlich eitel dazu noch der Part, den Wilson sich selbst kreiert hat: als leicht abgetakelter Zauberer im glitzernden Smoking scheint er hypnotische Macht über seine Partnerin Angela Winkler und magische Gewalt über Lichtregie, Bühnenversenkungen und Verwandlungen zu gewinnen – mit einer einzigen, arg strapazierten eckig-expressionistischen Geste.
Wenn die Bilder also im Lauf des Abends doch der ständig drohenden Gefahr des "Zuviel" erliegen, so findet die Musik Lachenmanns in der Aufführung der Ruhrtriennale eine zwingende Realisierung. Zum ersten Mal überhaupt erklingt die Partitur so, wie der Komponist es sich vorgestellt hatte: in einem Klangraum, der Publikum und Ausführende vollkommen umschließt. Die Dimension der Industriehalle und Wilsons Raumkonzept der trichterförmigen Architektur machen das möglich. Den Musikern ist die oberste Galerie des "Anatomischen Theaters" vorbehalten. Dort sitzen die Mitglieder des hr-sinfonierorchesters und des ChorWerks Ruhr auf einer umlaufenden Galerie. Das Publikum in seinen Hörsaalreihen sitzt mitten im tönenden Universum von Helmut Lachenmann. Und was die Solistinnen, das Vokalensemble und die Instrumentalisten unter der Leitung von Emilio Pomarico leisten in dieser Aufführung des "Mädchens mit den Schwefelhölzern", das ist wahrhaftig ein Wunder an Präzision und Klangfantasie.