"Ein wunderbar merkwürdiger Gegenstand"

Moderation: Susanne Burg |
Der Fund der Himmelsscheibe von Nebra war eine archäologische Sensation. Nun zählt sie offiziell zum Dokumentenerbe der Unesco. Harald Meller vom Landesmuseum Halle spricht im Interview über die Bedeutung dieses Titels und das faszinierende Geheimnis der Bronzescheibe.
Susanne Burg: Sie ist 32 Zentimeter groß und rund 3600 Jahre alt, die Himmelsscheibe von Nebra. Seit heute zählt sie nun offiziell zum Dokumentenerbe der UNESCO. Aber der Weg dahin war weit. Und dabei muss man gar nicht so weit zurückgehen in der Zeit. Verena Kemna berichtet über den Krimi des Fundes

Burg: Verena Kemna über die abenteuerlichem Wege, die die Himmelsscheibe von Nebra genommen hat, bis sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale gelandet ist. Und der Leiter des Landesmuseums, Harald Mella, sitzt jetzt in einem Studio in Halle. Guten Morgen, Herr Mella!

Harald Meller: Guten Morgen!

Burg: Die Himmelsscheibe von Nebra gehört ab heute offiziell zum UNESCO-Dokumentenerbe, Gedächtnis der Menschheit, Memory of the world. Wie bedeutsam ist dieser Titel für das Landesmuseum, für Deutschland?

Meller: Dieser Titel ist für Deutschland außerordentlich bedeutend. Wenn Sie bedenken, dass bislang nur 17 Gegenstände Teil dieses Weltgedächtnisses sind, des kollektiven Gedächtnisses der Menschheit. Also etwa die gesamten Schriften von Goethe oder das Nibelungenlied oder das Benz-Patent für das erste Auto …

Burg: … die Gutenbergbibel …

Meller: … die Gutenbergbibel und so weiter und so fort. Das sind doch Dinge, die haben eine große Bedeutung, und es werden ja immer Dinge abgelehnt. Das heißt, wir sind schon sehr glücklich, dass die Himmelsscheibe in dieses Dokumentenerbe aufgenommen wird, und das hat eine große Bedeutung.

Burg: Gibt es denn auch konkrete Vorteile für Sachsen-Anhalt, für das Landesmuseum, finanzieller Art etwa?

Meller: Na ja. Es ist ja nicht mit Geld verbunden, sondern zuerst mal mit der Verpflichtung, die Zerstörung oder Beschädigung zu verhindern, und die Himmelsscheibe öffentlich sichtbar zu machen. Beides hat das Land getan. Sie ist im Landesmuseum zu besichtigen für jeden und immer, denn wir leihen sie nicht aus. Und sie ist darüber hinaus sehr, sehr gut geschützt. Beides ist schon vollzogen. Der Vorteil, den so ein Titel hat, ist, dass letztlich die Menschheit weiß, was sind die wichtigsten Dinge, die die Menschheit besitzt. Und das Weltkulturerbe, aber auch das Weltdokumentenerbe haben eine unglaublich große Akzeptanz über alle Länder und Religionsgrenzen hinweg. Und darum sind Listen, auf die man sich international verabredet, auch von ganz besonderer Bedeutung.



Burg: Nun ist es ja so, dass die Himmelsscheibe, schon bevor sie UNESCO-Dokumentenerbe war, eine unglaubliche Faszination ausgelöst hat. Allein in Ihre Ausstellung im Landesmuseum Halle, kamen 300.000 Besucher, als sie dort eröffnet wurde. Die Scheibe hat Künstler inspiriert, sie steht im Mittelpunkt eines Opernoratoriums, das am Mittwoch in Halle uraufgeführt wird – was macht denn Ihrer Meinung nach auch für Nichtarchäologen die Faszination dieser Bronzescheiben aus?

Meller: Also ich habe einmal zusammengestellt, was archäologische Funde überhaupt zu weltweiten Highlights macht, was für Voraussetzungen man dafür braucht, und all das hat die Scheibe. Sie hat eine unglaublich spannende Fund- und Kriminalgeschichte. Sie hat einen Schatzcharakter wegen der Goldelemente. Sie hat ein Geheimnis, denn sie ist nicht so leicht enträtselbar. Die Himmelsscheibe verschmilzt astronomisches Wissen mit Archäologie in perfekter Art und Weise, und die Himmelsscheibe ist etwas völlig Neuartiges. So etwas hat man bis dahin noch nie gefunden. Man hat noch nie ein konkrete Darstellung des Himmels gefunden, die so alt ist, aber auch so rätselhaft ist. Und all das zusammen macht die Himmelsscheibe zu einem wunderbar merkwürdigen Gegenstand und zu einem der zehn wichtigsten Objekte der Archäologie überhaupt.

Burg: Nun können wir das nicht alles hier aufdröseln, aber so ein ganz bisschen können wir uns ja mal heranwagen an diesen Mythos. Wenn man mal vom Äußeren ausgeht: Für den Laien sieht die Himmelsscheibe ein bisschen aus wie ein lachendes Gesicht mit einem zwinkernden Auge. Was ist denn dort tatsächlich abgebildet?

Meller: Es ist abgebildet eine Sonne oder Mond, das ist dieser Vollmond. Dann dieses sichelförmige Objekt, das ist der Sichelmond, wahrscheinlich. Dann unten dieses Grinsen, der grinsende Mund ist sozusagen ein Schiff, das über den Himmel fährt, und seitlich ist noch ein Horizontbogen zu sehen. Das alles wurde zum Teil nachträglich draufgemacht, denn zuerst bestand die Scheibe nur aus Sichelmond, Vollmond und 32 Sternen.

Das war aber das größte Geheimnis, denn damit konnte man einen Lunisolarkalender machen, einen modernen Mond-Sonnen-Kalender. Dieses Wissen ging verloren. Dann hat man einen Horizontbogen angebracht, der den Horizontdurchlauf der Sonne während des Jahres zeigt. Und später hat man das religiöse Symbol des heiligen Schiffes angebracht, das die Sonne transportiert. Das ist alles eine spätere Zutat, als man den eigentlichen Sinn vergessen hatte. Aber die erste Version ist extrem einfach, aber mit extrem komplexem Wissen. Genauso wie E=mc² eine einfache Formel ist, hinter der komplexes Wissen steckt.

Burg: Harald Meller ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Er ist der Leiter des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Dort wird heute mit einem Festakt die Aufnahme der Himmelsscheibe von Nebra in das UNESCO-Dokumentenerbe begangen. Was sagt denn die Himmelsscheibe nun über die Verbindung der Menschen in Europa aus?

Meller: Das kann man ganz einfach sagen. Das Kupfer kommt aus dem Mitterberg-Bergwerk im Salzburger Land. Das Gold und das Zinn kommt aus Cornwall. Sie sehen schon an den Materialien, dass Europa damals verbunden war. In der Bronzezeit brauchten sie Zinn und Kupfer, und diese beiden Elemente wurden durch ganz Europa transportiert. Das Wissen der Himmelsscheibe stammt vermutlich aus dem vorderen Orient zu Beginn. Das heißt, das Europa der damaligen Zeit war vernetzt. Ich glaube, auch damals brauchte man keinen Reisepass, man brauchte nur die Zugehörigkeit zu einem internationalen Netzwerk. Und das gab es damals, das können wir belegen.

Burg: Das, was Sie jetzt erzählen, klingt alles sehr klar. Es ist aber so, dass sehr viele Forscher gearbeitet haben an der Interpretation dieser Himmelsscheibe. Es gibt ja noch ein anderes Faszinosum, das Bauwerk Stonehenge in England aus der Jungsteinzeit. Da wird man wahrscheinlich auch nicht hundertprozentig klären können, was es damit auf sich hat. Welche Geheimnisse werden denn bei der Himmelsscheibe von Nebra bleiben?

Meller: Wissen Sie, Stonehenge ist sehr schwer zu erforschen, weil es so eine lange Forschungsgeschichte hat und weil es viele verschiedene Ausgrabungen gab. Die Himmelsscheibe hat mit Stonehenge eines gemein, nämlich die Ausrichtung zur Sommersonnenwende. Die ist an dem Horizontbogen dargestellt, das ist das gleiche wie Stonehenge. Die Himmelsscheibe wurde von vielen Forschern in einer großen Forschergruppe, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, erforscht. Aber das heißt nicht, dass unsere Interpretation die richtige und letztgültige ist. Wir haben hunderte von Interpretationen zugesandt. Wir halten unsere Interpretation für die plausibelste und wahrscheinlichste. Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass es in zehn oder fünfzehn oder zwanzig Jahren eine andere Interpretation gibt und dass man in 50 Jahren wieder zu unserer Interpretation zurückkommt, denn so ist Forschung. Und wir forschen weiter, und ich denke, die Himmelsscheibe hält noch viele Geheimnisse für uns bereit.

Burg: In Halle an der Saale wird heute gefeiert. Die 3600 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra gehört jetzt zum UNESCO-Erbe Gedächtnis der Menschheit, und das wird heute in einem Festakt offiziell begangen. Über die Bedeutung und Faszination der Himmelsscheibe habe ich mit Harald Meller gesprochen, dem Leiter des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Herr Meller, vielen Dank fürs Gespräch!

Meller: Danke schön, freut mich sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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